Brasilien / Politik

Senat in Brasilien entscheidet über die endgültige Amtsenthebung von Präsidentin Rousseff

Anhörungen von Zeugen geplant. Befragung Rousseffs kommende Woche, Abstimmung voraussichtlich am 31. August. Nötige Zweidrittelmehrheit scheint gesichert

rp_dilma-rousseff-ato-contra-o-golpe-casa-portugal-sao-paulo_00308232016.jpg

Dilma Rousseff am 23. August bei einer Veranstaltung gegen den Putsch des Bündnisses "Volk ohne Angst"
Dilma Rousseff am 23. August bei einer Veranstaltung gegen den Putsch des Bündnisses "Volk ohne Angst"

Brasília. Am heutigen Donnerstag um 14 Uhr MEZ beginnen die Beratungen im brasilianischen Senat über die endgültige Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff. Der Senat wird zunächst acht Zeugen anhören, sechs der Verteidigung von Rousseff und zwei der Anklage. Am 29. August wird die suspendierte Präsidentin eine dreißigminütige Rede im Senat halten und anschließend von den Senatoren befragt werden. Die entscheidende Abstimmung wird nach einer weiteren Debatte voraussichtlich am 30. oder 31. August stattfinden. Zur Bestätigung der Amtsenthebung sind 54 von 81 Stimmen im Senat notwendig. Es wird erwartet, dass diese Zweidrittelmehrheit erreicht wird. Alle Sitzungen des Senats werden im Livestream übertragen.

Präsidentin Rousseff kann ihr Amt seit dem 12. Mai 2016, nach entsprechenden Voten im Parlament und im Senat, nicht mehr ausüben. Das Verfahren wurde vom damaligen Parlamentspräsident Eduardo Cunha, Mitglied der rechtskonservativen Koalitionspartei PMDB, beantragt und mit Verstößen gegen das Haushaltsrecht begründet. Die Regierung soll ohne Zustimmung des Parlaments Gelder staatlicher Banken genutzt haben, um Defizite im Haushaltsbudget zu überbrücken. Dieses Vorgehen wurde von den Vorgängerregierungen ebenfalls angewendet, hatte aber zuvor nie rechtliche Konsequenzen.

Viele Parlamentarier und Juristen, darunter auch auch der ehemalige Präsident des obersten Gerichtshofs (STF), Joaquim Barbosa, sprechen dem Verfahren daher die juristische Legitimität ab. Zuletzt hatte sich überraschend Kátia Abreu, PMDB-Kongressabgeordnete und ehemalige Landwirtschaftsministerin der Regierung Rousseff, gegen die Amtsenthebung ausgesprochen: "Es gibt keine Beweise für das Vergehen, dessen man die Präsidentin beschuldigt, sie darf daher nicht aus einem Amt entfernt werden, in das sie die Mehrheit der Brasilianer gewählt hat. Die Politik sollte sich für so etwas nicht hergeben."

Die sozialen Bewegungen in Brasilien beurteilen das Amtsenthebungsverfahren als "kalten Putsch", der vor allem das Ziel verfolge, laufende Ermittlungsverfahren gegen hochrangige Mitglieder der Regierungskoalition wegen Korruption und Geldwäsche zu stoppen. Zuletzt mussten der ehemalige Parlamentspräsident Eduardo Cunha und drei Minister der Interimsregierung von Michel Temer wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten. Auch Temer (PMDB) selbst, ehemaliger Vizepräsident der Regierung Rousseff und jetziger De-facto-Präsident, wird in mehreren Verfahren schwer belastet.

Die Proteste und Demonstrationen gegen die Interimsregierung unter dem Slogan "Fora Temer" (Weg mit Temer) reißen seit Monaten nicht ab. Während der olympischen Spiele in Rio de Janeiro wurde die Präsenz der internationalen Presse für zahlreiche öffentlichkeitswirksame Aktionen genutzt. Gleichzeitig gewinnen die Proteste aber nicht die Dynamik der Massendemonstrationen von 2013. Ein Grund ist die anhaltende Unbeliebtheit Rousseffs, die erst seit ihrer Amtsenthebung den Schulterschluss mit den sozialen Bewegungen probt. Auch von ihrer eigenen Partei, der Arbeiterpartei PT, wird sie nicht in vollem Umfang unterstützt. So legen viele Kritiker des Amtsenthebungsverfahrens Wert auf die Feststellung, dass sie nicht "für Rousseff" sind, sondern "für die Demokratie".

Sollte der Senat die Amtsenthebung der gewählten Präsidentin endgültig bestätigen, wird anschließend Temer als Präsident vereidigt. Sollte er gleichzeitig ein Verfahren überstehen, das versucht, die Wahl der PT-PMDB-Koalition von 2014 insgesamt für ungültig zu erklären, könnte er bis Oktober 2018 weiter regieren ohne Neuwahlen anzusetzen. Für die Sozialprogramme in Brasilien hätte dies verheerende Folgen. Temer selbst kann sich in den nächsten acht Jahren nicht zur Wahl stellen, er wurde von einem Wahlgericht wegen illegaler Wahlspenden verurteilt. Sollte Rousseff wider Erwarten in ihr Amt zurückkehren können, hat sie sich zu einer Volksabstimmung über vorgezogene Neuwahlen verpflichtet.

Wenn Sie über diesen Artikel mitdiskutieren wollen, nutzen Sie bitte die Kommentarfunktion auf unserer Facebook-Seite oder folgen Sie einfach diesem Link