Unruhen in São Paulo nach Tod zweier Jugendlicher

Militärpolizei erschießt zwei 17-Jährige. Schwere Zusammenstöße zwischen protestierenden Anwohnern und Polizei

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Wütende Proteste von Anwohnern in Vila Medeiros nach Bekanntwerden des Todes von Douglas Rodrigues
Wütende Proteste von Anwohnern in Vila Medeiros nach Bekanntwerden des Todes von Douglas Rodrigues

São Paulo. Im Norden von São Paulo ist es nach dem tödlichen Schuss eines Militärpolizisten auf einen Jugendlichen am vergangenen Sonntag zu Protesten und Ausschreitungen

von Anwohnern gekommen. Der 17-jährige Schüler Douglas Rodrigues war mit seinem Bruder im Stadtteil Vila Medeiros in der Peripherie São Paulos unterwegs, als sich ein Polizeiauto näherte und der Beamte Luciano Pinheiro Bispo einen Schuss auf Rodrigues abfeuerte, der den Jugendlichen in die Brust traf. Im Krankenhaus verstarb der Schüler. Laut Militärpolizei handelte es sich um einen "Unfall".

Noch am gleichen Abend kam es in Vila Medeiros zu wütenden Protesten von Anwohnern. Medienberichten zufolge setzten sie Busse und Autos in Brand und blockierten kurzzeitig verschiedene Straßen im Stadtviertel. Die Polizei versuchte die Menge mit Tränengas und Gummigeschossen auseinanderzutreiben. Die Demonstrationen weiteten sich am Montag Abend aus und in mehreren Teilen des Bezirks Jaçanã protestierten Anwohner und blockierten unter anderem die Autobahn Fernão Dias. Wie UOL Notícias berichtet, wurden allein am Montag mindestens 90 Demonstranten festgenommen.

Während die Polizei den Tod des Schülers als Unfall darstellt, glaubt die Mutter des Opfers, Rossana Martins de Sousa, nicht an diese Version: "Es war kein Unfall, es war kein Schicksal, es war Mord", äußerte sie gegenüber der Presse. Der zur Tatzeit anwesende zwölfjährige Bruder sagte aus, Douglas habe kurz nach dem Schuss mit den Worten "Warum hat der Mann auf mich geschossen?" nach dem Motiv des Polizisten gefragt. Der verantwortliche Polizeibeamte Luciano Pinheiro Bispo wurde inzwischen wegen fahrlässiger Tötung festgenommen.

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff äußerte sich am Dienstag via Twitter zum Tod des 17-jährigen Schülers: "Die Gewalt gegen die Peripherie ist der stärkste Ausdruck der Ungleichheit in Brasilien. Wie Douglas sind junge, schwarze Bewohner der Peripherie täglich Opfer der Gewalt. In dieser schmerzhaften Stunde drücke ich meine tiefste Solidarität mit der Familie und den Freunden des Opfers aus."

Am Dienstag Morgen tötete ein Polizist einen weiteren Jugendlichen in einem Randbezirk São Paulos. Der Vorfall ereignete sich im Stadtteil Parque Novo Mundo, nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, an dem am Sonntag Douglas Rodrigues erschossen worden war. Nach Polizeiangaben starb der ebenfalls 17-jährige Jean Silva nach einem versuchten Überfall auf einen Polizeibeamten, der sich in der Region verfahren hatte. Anwohner bestreiten die Version des vermeintlichen Überfalls und erklärten, der Jugendliche sei "kein Verbrecher" gewesen. Auch in Parque Novo Mundo kam es nach dem Tod Jean Silvas zu schweren Zusammenstößen zwischen Anwohnern und Polizeikräften.

Während die Gewalt der Polizei gegen Jugendliche aus der Peripherie kaum Erwähnung in der brasilianischen Presse findet, löste der Angriff auf den Polizeioberst Reynaldo Simões Rossi einen medialen Aufschrei aus. Der Polizist war am vergangenen Freitag am Rande einer Demonstration der Bewegung für Freie Fahrt (MPL) von Protestierenden angegriffen und verletzt worden. Besonders die rechte und konservative Presse nutzte den Vorfall, um die Proteste zu delegitimieren und die Demonstranten als Kriminelle zu brandmarken. Präsidentin Rousseff sowie Politiker aller Lager zeigten sich solidarisch mit dem Polizisten. Opferverbände von Polizeigewalt und linke Aktivisten äußerten unterdessen Kritik am Ungleichgewicht der medialen Berichterstattung über die Vorfälle. Die Bloggerin Maria Frô schrieb mit Bezug auf das überproportionale Medienecho nach dem Angriff auf den Polizisten: "Schluss mit der Heuchelei. Die Militärpolizei tötet Schwarze und Arme jeden Tag!"