Am Fußballplatz des beschaulichen Vorortviertels stoppt die Autokarawane. Der Kandidat springt vom Pickup herunter, er begrüßt die jugendlichen Kicker und ihren Trainer mit Handschlag, macht für die Fotografen ein paar Kopfbälle. Dann lacht er, sitzt wieder auf, unter Hupen setzt sich der Pulk wieder in Bewegung.
Wahlkampf in Paraguay. Auf den ersten Blick ist er nicht zu unterscheiden von dem üblichen Buhlen um Wählerstimmen in anderen lateinamerikanischen Ländern - ein Termin jagt den nächsten, es geht hektisch zu. Doch Fernando Lugo ist ein besonderer Politiker, und der 58-jährige weiß das. Als vor einem Jahr bekannt wurde, dass der Bischof im Ruhestand für das Präsidentenamt kandidieren würde, suspendierte ihn der Vatikan von seinem Priesteramt. "Ich habe nichts anderes erwartet", sagte da der Kandidat.
Mit Fernando Lugo könnte sich in Paraguay politisch eine Menge ändern. Am Sonntag will er mit seiner Mitte-Links-Allianz die Herrschaft der seit 61 Jahren ununterbrochen regierenden Partido Colorados, der Roten, beenden. Die Probleme des Landes sind drückend. Durch den Gensojaboom der letzten Jahre haben sich Landkonflikte zugespitzt. Der Kirchenmann Fernando Lugo hat sie aus nächster Nähe erlebt, gerade für Kleinbauern und Indigene ist er deshalb ein Hoffnungsträger. Ihnen verspricht er eine "integrale Reform", bei der es mit Landzuteilung nicht getan ist. Auch Beratung und günstige Kredite, Förderung des Biolandbaus sowie Gesundheits- und Wohnungsbauprogramme stellt er in Aussicht.
Die größte Herausforderung aber wird die Durchsetzung der Umweltgesetze sein: Brandrodungen und der hemmungslose Einsatz von Pflanzengiften sind in Paraguay üblich. Allerdings wird das nicht ohne Kompromisse abgehen: "Das Sojaprogramm ist wichtig, weil es den größten Posten bei den Deviseneinkünften ausmacht," sagte Lugo. "Aber es darf nicht das einzige Modell sein". Ähnlich wie Brasiliens Präsident Lula da Silva meint er, der landwirtschaftliche Export könne auch von Klein- und Genossenschaftsbauern angebaut werden. Damit ist klar, gegen wen er antritt - das Agrobusiness gehört zu den wichtigsten Machtgruppen im Land, es ist eng mit den Colorados verbandelt.
Der frühere Dorfschullehrer besuchte während der Stroessner-Diktatur das Priesterseminar. Alfredo Stroessner war von 1954 bis 1989 Präsident und Diktator von Paraguay, in dieser Zeit verschwanden tausende Menschen in den Folterkellern. Auch Lugos Familie litt. Sein Onkel, ein oppositionelle Intellektueller, ging nach Haft und Folter ins Exil, ebenso Lugos drei Brüder. Prägende Jahre für den späteren Befreiungstheologen.
Ab 1977 arbeitete Fernando Lugo in Ecuador, wo ihn der "Indianer-Bischof" Leonidas Proaño nachhaltig beeinflusste. Später ging er noch einige Jahre nach Rom, danach wirkte er bis 2005 als Bischof der ländlichen Diözese San Pedro, Jahre, in denen die Bauernbewegungen in Paraguay stark wurden. Lugo unterstützte die Landbesetzer, von denen Dutzende durch die Auftragskiller der Großgrundbesitzer ermordet wurden. Auch er erhielt Morddrohungen. "Wir waren seelsorgerisch und sozial aktiv, wir haben wirtschaftliche Forderungen gestellt", fasst er diese Zeit zusammen. "Aber wir haben gesehen, dass all das nicht reicht."
Zusammen mit seinen Mitstreitern aus der Kleinbauernbewegung unterstützte er die Massenproteste gegen die Colorado-Regierung 2006. In dieser Phase entstand auch die Idee der Präsidentschaftskandidatur, das Regierungsprogramm ließen er und seine Leute landesweit diskutieren. Ähnlich wie andere linke Führungsfiguren in Südamerika sei der Kandidat das "Ergebnis jahrzehntelanger sozialer Prozesse, vor allem in den kirchlichen Basisgemeinden auf dem Land", fasst der Soziologe Hugo Britez das Phänomen Lugo zusammen, dem im katholischen Paraguay natürlich auch seine Vergangenheit als "Bischof der Armen" zugute kommt. "Er ist ein Kirchenmann, das gefällt mir", sagen viele Wähler. Auch die meisten Bischöfe leisten ihrem prominenten Kollegen Schützenhilfe.
Auch bei seiner Wahlkampfkundgebung in Asuncion setzt Fernando Lugo die religiöse Sprache ein, redet von seinem "Glauben" an das Volk, an ein besseres Paraguay. Für seine Anhänger zitiert er einen Satz von Papst Pius XI.: "Die echte Politik ist der höchste Ausdruck der Liebe". Dann ruft er: "Mit dem Herz in der Hand sage ich: Wir hassen niemanden, nicht einmal jene, die mit Lügen und Verleumdungen unsere Ehrlichkeit und Würde beschmutzen wollen". Das Publikum ist begeistert.
Dann wettert er gegen den "Mafiaklüngel", die konservative Colorado-Partei. "Sie haben sich geirrt", ruft Lugo, "aber wir hassen sie nicht, wir lieben sie. Und wir werden ihnen zeigen, dass wir auch auf sie zählen. Aber sie müssen sich ändern, und viele werden Rechenschaft ablegen müssen". Die Colorado-Kandidatin Blanca Ovelar, 50, erwähnt er mit keinem Wort, ebensowenig seinen anderen Rivalen, den umstrittenen Ex-General Lino Oviedo. Gekommen sind heute auch Anhänger der Colorados, sie schwenken ihre roten Fahnen. Unter Jubel verkündet der Kandidat: "Uns freuen die verschiedenen Farben, das Land ändert sich".
Dann ertönt sein Wahlkampfschlager. "Denn er liebt die Demütigen, und er liebt Paraguay, er hegt keinen Groll, er gibt nur Liebe, Lugo hat ein großes Herz", schallt es von der Bühne. Es ist dieser Mix aus Euphorie und religiösem Stil, der die Leute mitreißt. "Nein", ruft der Wahlkämpfer mit heiserer Stimme der Menge zu, "wir haben keinen Groll". Dann spricht er über die vielen Mütter, die auf die Rückkehr ihrer Kinder hoffen - jeder vierte Bürger, über zwei Millionen Menschen haben wegen der miserablen Wirtschaftslage das Land verlassen, nach Argentinien und Brasilien, in die USA und nach Europa.
Oft hält Lugo seine Reden auf Spanisch und Guaraní, der Sprache der Landbevölkerung. "Lugo kann sehr gut damit umgehen", hat der Senator José Nicolás Morínigo beobachtet. "Die Paraguayer argumentieren auf Spanisch, aber sie lieben und hassen auf Gauraní."
Lugos Gegner nennen ihn in einem Atemzug mit Hugo Chávez aus Venezuela und Evo Morales aus Bolivien. Solche Vergleiche und Etikettierungen behagen dem Kandidaten nicht, Polarisierung und Personenkult sind ihm zuwider. Bei Wahlkampfauftritten lässt er seine Verbündeten ausführlich zu Wort kommen.
"Er weiß, wie man Leute zusammenbringt und Kompromisse aushandelt", erklärt der Sozialwissenschaftler Marcial Riquelme. Diesen partizipativen Ansatz beziehe er aus der Befreiungstheologie, betont Lugo gegenüber der taz. "Dort wird den Laien viel Platz eingeräumt. Unsere Regierung wird auch demokratisch und partizipativ sein, alle Bevölkerungsschichten sollen sich beteiligen".
Vielleicht basieren Fernando Lugos gute Umfrageergebnisse - er liegt bei 34,5 Prozent - auch auf seiner vagen Programmtik. Beobachter befürchten deshalb, Lugo könne sich im politischen Systems Paraguays verstricken. Der Anwalt und Agrarexperte Alberto Alderete zum Beispiel ist skeptisch: "Lugo hat keine eigene Basis, um die alten Strukturen zu verändern. Im Kongress werden die Linken ein kleine Minderheit stellen. Bisher ist auch von Umverteilung des Reichtums keine Rede, etwa durch Besteuerung der Sojaexporte wie in Argentinien. Aber immerhin", meint Alderete, "dürften diese Themen bei einem Präsidenten Lugo auf die Tagesordnung kommen".
Am wenigsten strittig ist wohl der "gesunde Nationalismus" des Bischofs. Vom mächtigen Nachbarn Brasilien will er für die Energie aus dem Itaipú-Wasserkraftwerk an der Grenze einen "gerechten Preis" fordern. Der Energiepreis liegt sieben mal so hoch wie der bis 2023 vertraglich festgesetzte, der gerade mal die Betriebkosten deckt. Fernando Lugo möchte seine geplanten Sozialreformen unter anderem mit dem Verkauf von Wasserkraft finanzieren.
Aber noch ist das Zukunftsmusik. Die meisten ParaguayerInnen gehen davon aus, dass nicht Lugo, sondern Blanca Ovelar das neue Staatsoberhaupt wird. "Den Colorados ist bisher noch jede Wahlfälschung geglückt", sagt ein ehemaliger Oppositionsabgeordneter. "Unser Volk ist ungebildet und leicht zu manipulieren. Es gehört quasi zur nationalen Mentalität, für die Colorados zu stimmen". Die kontrollieren auch die Wahlbehörde. Zudem setzt die Regierung ganz offen Hunderttausende Staatsangestellte unter Druck. "Ich habe Angst, dass drei meiner Verwandten bei einem Regierungswechsel ihren Job verlieren", sagt eine Wählerin aus der Hauptstadt. "Schon deswegen werde ich nicht Lugo wählen".
Am Sonntag sollen Staatsanwälte, internationale Wahlbeobachter und Lugo-Anhänger die Wahl überwachen. Eine Prognose wagt Soziologe Britez dennoch nicht: "Alles ist möglich".
Den Originaltext der "tageszeitung" (taz) finden Sie hier.