Über die Opfer des Konflikts in Kolumbien

Die Friedensdelegation der FARC macht auf Versuche der Regierung und der Medien aufmerksam, die Guerilla zur Hauptverantwortlichen für den Konflikt und seine Opfer zu erklären

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"Es lebe der Frieden": Ab dem 16. August sollen Opfer des Konflikts in Kolumbien an den Friedensgesprächen teilnehmen, die zwischen FARC-Guerilla und der Regierung Kolumbiens in Havanna stattfinden
"Es lebe der Frieden": Ab dem 16. August sollen Opfer des Konflikts in Kolumbien an den Friedensgesprächen teilnehmen, die zwischen FARC-Guerilla und der Regierung Kolumbiens in Havanna stattfinden

Kommuniqué

Havanna, Kuba, Ort der Friedensgespräche

6.August 2014

Nachdem die nationalen Foren über die Opfer abgehalten wurden und darüber berichtet worden ist, möchte die Friedensdelegation der FARC-EP ihre Besorgnis über die Vorstellung zum Ausdruck bringen, die durch verschiedene staatliche Einrichtungen und die Medien über die Realität der Opfer, welche der derzeitige mehr als 65 Jahre andauernde kolumbianische Konflikt verursacht hat, in die Öffentlichkeit und in die kolumbianische Gesellschaft getragen wird.

Wir sprechen hier nicht von den Kriterien, die wir als FARC-EP über die Viktimisierung in Kolumbien haben, sondern wir zeigen die folgenden objektiven Tatsachen auf, die nach unserem Verständnis von jedem genauen Beobachter der kolumbianischen Realität geteilt werden und die den Rahmen für jede Diskussion über Konfliktopfer bilden sollten:

- Der aktuelle Konflikt in Kolumbien reicht zurück vor die Existenz der Guerillagruppen FARC-EP und ELN. Die Erzeugung der Opfer in dem Konflikt reicht daher vor die Existenz von Organisationen zurück, die derzeit im Gespräch mit der nationalen Regierung über die Beendigung des Konflikts sind.

- Im Falle der FARC-EP wurde diese Organisation ursprünglich von Bauern gegründet, die Opfer der Gewalt in kolumbianischen ländlichen Regionen seit Beginn der 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren.

- Gründlichste Statistiken und Studien über die Viktimisierung in Kolumbien zeigen das Profil der Opfer, die Ereignisse, die Opfer forderten sowie die Ausführenden. Jede Diskussion über die Opfer, die versucht, diese Realität zu ignorieren, entsprechen nicht der Realität der Opfer in unserem Land.

- Die wichtigsten Einrichtungen, die die genannten Statistiken und Studien über Opfer kontinuierlich und in strikter Einhaltung der sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden, die von der internationalen Wissenschaftsgemeinde akzeptiert werden, ausgearbeitet haben, sind: Die Datenbank "Nacht und Nebel" der CINEP (CINEP), die Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien, die jährlich vom kolumbianischen Büro des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten Nationen veröffentlicht werden sowie die Datenbanken der "Gruppe des historischen Gedächtnisses".

- Die oben genannten Datenbanken und Berichte stimmen im Großen und Ganzen in den Prozentsätzen von Tätern und Ereignissen, welche Opfer forderten, überein, wobei die Realität wie folgt beschrieben wird: 75 Prozent der Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts in Kolumbien, die Opfer gefordert haben, werden Staatsbediensteten oder Paramilitärs zugeschrieben. Davon werden etwa 45 Prozent paramilitärischen Gruppen und etwa 30 Prozent Staatsbediensteten zugerechnet, vor allem Militär- und Polizeikräften. In Bezug auf die restlichen 25 Prozent werden etwa 17 Prozent den Guerilla-Organisationen und die restlichen acht Prozent gewöhnlichen Kriminellen zugeordnet.

Folglich müssen die Kriterien für die Auswahl der Opfer, die an den Gesprächen in Havanna teilnehmen1, um ihre Viktimisierung darzulegen, genau der Realität der Opfer in Kolumbien entsprechen und deshalb müssen sie soweit wie möglich die Realität, die in diesen Studien, Berichten und Statistiken beschrieben wird, versammeln. Jede Zusammensetzung, die sich von den oben genannten Kriterien unterscheidet, würde dem politischen Zweck der Parteien entsprechen, aber keineswegs der Wirklichkeit der Viktimisierung, die die kolumbianische Gesellschaft erlitten hat.

Die FARC-EP macht sich die Definition von Opfern zu eigen, die in den Punkten 8 und 9 der Resolution 60/147 der UN-Generalversammlung vom 16. Dezember 2005 festgelegt wurde:

"8. Dem vorliegenden Dokument zufolge wird jede Person als Opfer verstanden, die, einzeln oder gemeinsam, Schäden erlitten hat, einschließlich körperlicher oder geistiger Verletzungen, seelischem Leid, wirtschaftlichen Verlusten oder erhebliche Beeinträchtigung ihrer Grundrechte, als Konsequenz von Handlungen oder Auslassungen, die eine eklatante Verletzung der internationalen Menschenrechtsnormen oder eine schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts darstellen. Gegebenenfalls, und in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht, bezieht sich der Begriff "Opfer" auch auf die unmittelbare Familie oder Angehörige des direkten Opfers und auf die Personen, die einen Schaden erlitten haben, als sie eingriffen, um den Opfern in der Gefahr zu helfen oder die Viktimisierung zu verhindern.

9. Eine Person gilt als Opfer unabhängig davon, ob der Täter identifiziert, festgenommen, strafrechtlich verfolgt oder verurteilt wurde und unabhängig von der familiären Beziehung, die zwischen dem Täter und dem Opfer möglicherweise existiert."

Die FARC-EP hält es für unangemessen, einen Rahmen für die Diskussion über die Realität der Opfer des Konflikts in Kolumbien zu schaffen, der das oben Ausgeführte ignoriert, oder der es ablehnt, die Definitionen über Opfer zu akzeptieren, die von der internationalen Gemeinschaft formuliert und von der internationalen Rechtsgemeinschaft einstimmig unterstützt werden.

Daher glauben wir, dass die Methodik der Teilnahme der Opfer am Friedensdialog in Havanna sich nach den Kriterien richten sollte, die über die Opfer verursachenden Umstände von den Menschenrechtsorganisationen, internationalen Organisationen und der internationalen Rechtsgemeinschaft akzeptiert werden und damit jegliche Manipulation oder Politisierung der Opfer zu vermeiden.

Wir glauben, dass die Auswahlkriterien für die Opfer, die im gemeinsamen Kommunique Nr. 39 vom 17. Juli 2014 festgelegt und beim Friedensdialog akzeptiert wurden, dringend umgesetzt werden müssen, um den Empfang von Opfern in Havanna nicht weiter hinauszuzögern. Wir verstehen die Verzögerung, die es bei den zuständigen Institutionen für die Auswahl der Opfer im Auswahlprozess entsprechend den Kriterien des besagten gemeinsamen Kommuniques Nr. 39 gibt und rufen dazu auf, dass er konkretisiert wird, damit die Verhandlungsparteien in Angriff nehmen können, was im Zusammenhang mit den festgelegten Kriterien am Ende benannt wurde, das heißt: "die Funktionsweise des Auswahlmechanismus bei jedem der Besuche überprüfen und die nötigen Empfehlungen machen."

Entsprechend glauben wir, dass jede Methode zur Auswahl der Opfer, die in Havanna empfangen werden sollen, den folgenden Kriterien entsprechen muss, wie wir es bereits seit Beginn dieses Friedensprozesses gesagt haben:

- Durch zivile Täter hervorgerufene Opfer: verursacht durch politische, wirtschaftliche und soziale Akteure. Opfer von Machtmissbrauch. Opfer von Prozessen der kollektiven Viktimisierung von Territorien und Gemeinschaften. Mega-Projekte.

- Opfer von Verletzungen des Internationalen humanitären Völkerrechtes: Einsatz von Chemikalien wie Glyphosat, Tötungen von Kämpfern außerhalb des Kampfeinsatzes, missbräuchlicher Einsatz von Gewalt, Sprengsätzen und Minen, Angriffe auf Zivilisten, sexuelle Gewalt als Kriegswaffe, Massaker, Zwangsrekrutierung und Rekrutierung von Minderjährigen unter 15 Jahren.

- Opfer von Menschenrechtsverletzungen: Folter, Verschwindenlassen, Inhaftierung von Zivilisten; politische Verfolgung, die Verfolgung von Gewerkschaftern, sozialen Führern und Verteidigern der Menschenrechte, politischer Genozid, außergerichtliche Tötungen, gezielte Tötungen, willkürliche Verhaftungen.

- Opfer von Vertreibung und Exil

- Vom Konflikt betroffene Kämpfer: Kriegsgefangene auf beiden Seiten; Verletzungen der Rechte von Kombattanten außerhalb des Kampfeinsatzes. Schädigungen der Kämpfer durch die Verletzung des humanitären Völkerrechts.

Friedensdelegation der FARC-EP

  • 1. Ab dem 16. August werden Opfer des internen bewaffneten Konflikts in Kolumbien direkt am Friedensdialog zwischen FARC-Guerilla und Regierung teilnehmen. Dies haben die Delegationen beider Seiten Anfang Juni vereinbart. Fünf Gruppen von jeweils zwölf Personen sollen bei den kommenden fünf Gesprächsrunden "in voller Autonomie ihre Ansichten darlegen". Über die Zusammensetzung der Abordnungen ist in Kolumbien ein Streit sowohl zwischen verschiedenen Opferorganisationen als auch mit den für die Auswahl zuständigen Institutionen entbrannt. Unter anderem fordern Anhänger des früheren Präsidenten Álvaro Uribe, es müsse ausschließlich um die Opfer der Guerilla gehen