Brasilien / Politik

Die rechte Wut auf Lula

Brasiliens Rechte fürchtet die Popularität des vormaligen Präsidenten, Luiz Inácio Lula da Silva

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Luiz Inácio Lula da Silva
Luiz Inácio Lula da Silva

Es war eine kurze Meldung, unter dem unscheinbaren Titel "Mitteilung an die Presse", die die Bundesstaatsanwaltschaft im Bundesdistrikt in Brasília am Freitag, dem 5. April, um 19:59 auf ihrer Internet-Seite veröffentlichte. In nur 83 Wörtern legte die Staatsanwaltschaft dar, dass sie "die Bundespolizei um die Eröffnung einer Untersuchung gebeten" habe, die "die von dem Unternehmer Marcos Valério Fernandes de Souza gegenüber dem Generalbundesanwalt im September 2012 getätigten Aussagen überprüfen" solle. Scheinbar lapidar legten die Bundesstaatsanwälte dar, dass "der besondere Inhalt dieser Aussage [Valérios] schon in der Presse verbreitet wurde". Ergänzt wird in der "Mitteilung an die Presse" nur noch, dass der Unternehmer Valério behauptet hatte, dass von Seiten einer Tochterfirma der Portugal Telecom in Macau, China, sieben Millionen US-Dollar zugunsten der Arbeiterpartei PT auf Auslandskonten geflossen seien.

Brasiliens Bundesstaatsanwälte wissen um die Dramaturgie ihres Vorgehens, nicht unbedarft sind sie in Fragen, wie mit den Medien umzugehen ist und wie diese genutzt werden können – und wie man Politik macht. Am Freitag Abend nun, eine Minute vor endgültigem Büroschluß in Brasílias Behörden, wurde die "Mitteilung an die Presse", lanciert, so dass die Medien das ganze Wochenende ausführlich Zeit hatten, sich mit der in Umfang und Detaileröffnung durchaus kargen Mitteilung zu beschäftigen. Der dramabewußte Clou der "Mitteilung an die Presse" lag darin, dass die Person, um die es eigentlich darin geht, nicht einmal beim Namen genannt wurde: Brasiliens vormaliger Präsident, Luiz Inácio Lula da Silva.

Der Unternehmer Marcos Valério Fernandes de Souza hatte gegenüber dem Generalbundesanwalt im September 2012 ausgesagt, Lula habe vom sogenannten Mensalão-Skandal gewußt. Dem Mensalão-Skandal zufolge soll die Regierung der Arbeiterpartei PT in den Jahren 2003 bis 2005 systematisch Abgeordnete anderer Parteien mit monatlichen Bestechungen – daher der Name "Großer Monatslohn" – zu Abstimmungen bei Gesetzesvorhaben im brasilianischen Kongress im Regierungssinn bewogen haben. Dieser 2005 bekannt gewordene Skandal hatte die damalige Regierung Lula tief erschüttert. Lulas langjähriger Wegbegleiter in der Arbeiterpartei PT und damaliger Präsidialminister, José Dirceu, musste zurücktreten und wurde im vergangenen Jahr neben mehreren anderen Angeklagten von Brasiliens Obersten Gerichtshof zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Urteil wurde bislang noch nicht vollstreckt, da den Verurteilten noch die Berufung offen steht. Einige der Angeklagten bestreiten bis heute die Existenz des sogenannten "Mensalão". Die Richter von Brasiliens Obersten Gerichtshofs sahen dies bislang freilich anders.

Lula selbst blieb von den Ermittlungen um den Korruptionsskandal stets unbetroffen, er sagte im August 2005, er sei "durch inakzeptable Praktiken betrogen" worden. Lulas Popularität bei der Bevölkerung hingegen blieb trotz des Skandals während seiner Amtszeit ungebrochen, stieg bis zum Ende seiner Amtszeit gar an: als er Ende 2010 aus dem Amt schied, lag die Zustimmung zu seiner Politik im Inland bei 80 Prozent – das hatte es in Brasilien noch nie gegeben.

Es ist dies, was Brasiliens Rechte dem vormaligen Metallarbeiter, aus dem armen brasilianischen Nordosten kommend, nie verziehen hat: Seinen Erfolg. Denn seit zehn Jahren verlieren sie in Brasilien eine Präsidentschaftswahl nach der anderen: 2002 verlor José Serra gegen Luiz Inácio Lula da Silva, 2006 unterlag Geraldo Alckmin erneut Lula und 2010 war es wieder José Serra, der gegen Dilma Rousseff keine Chance hatte. Und ihre größte Befürchtung ist, dass die Arbeiterpartei (PT) auf lange Zeit das Präsidentenamt gleichsam abonniert hat: Wenn nämlich Rousseff die Wiederwahl 2014 schafft und 2018 dann wieder Lula antreten könnte, der nach wie vor große Popularität bei der Mehrheit der Brasilianer genießt. Für sie das reinste Horrorszenario. "Sie" – das ist Brasiliens Rechte, die alte Oligarchie, verbunden mit den großen Medienkonzernen, traditionell in der Hand einiger weniger Familien, einflussreich und mächtig. Aber auch die höhere Mittelklasse, die Lula nie verziehen hat, dass dem aus dem armen Nordosten stammenden Gewerkschafter der Einzug auf den Präsidentensitz im Palácio do Planalto gelang. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich die enorme Aggressivität verstehen, mit der die Rechte im Mensalão-Prozess, bei dem der PT Korruption vorgeworfen wird, ausnutzt, um die PT – und damit Lula zu diffamieren.

Dabei haben Lula und seine Nachfolgerin Rousseff den Wohlhabenden im Land objektiv betrachtet keinen Schaden zugefügt. Denn was die Regierung an sozialen Erfolgen erreichte, ging nicht auf Kosten der reichen zehn Prozent des Landes: Die gesetzlichen Mindestlöhne wurden verdreifacht, die Mittelschicht wuchs um über 40 Millionen, die extreme Armut wurde um 40 Prozent gesenkt. Die Kaufkraft der neuen Mittelschicht mag bescheiden anmuten – zu dieser neuen Schicht zählt, wer umgerechnet ab 120 Euro im Monat zur Verfügung hat. Dennoch sind deren wirtschaftliche Bedeutung und die der Sozialtransferprogramme nicht zu unterschätzen, seit Jahren weist der strukturell arme brasilianische Nordosten das höchste Wachstum auf. Bei stabilen Wachstumsraten gelang es Lula, Wohlstand zu verteilen, ohne dabei den Wohlstand der oberen Klassen anzutasten. Bestes Indiz dafür ist der Börsenindex Bovespa in São Paulo: Dieser hat sich in den vergangenen zehn Jahren versechsfacht.

Genau dies aber war stets die linke Kritik an zehn Jahren PT-Regierung: Die gesellschaftliche Umverteilung erfolge nicht von oben nach unten, sondern beruhe auf den bekannten Rezepten Wachstum, Entwicklung und Exportorientierung, flankiert durch Sozialprogramme, die jedoch nicht auf Langfristigkeit angelegt seien. So werde durch Assistentialismus die soziale Spaltung nicht gemindert, sondern allenfalls in einem für Brasilien (zumindest bis Ende 2011) weltwirtschaftlich günstigen Klima auf einem höherem Niveau festgeschrieben. Den Preis für diese Entwicklung zahlen, wie bei den Staudammprojekten Belo Monte oder am Rio Madeira, bei den Stahlwerken oder Bergbauminen, die lokalen Anwohner der Megaprojekte der Energie- und Schwerindustrie, welche die Regierung mit Milliardenbeträgen im ganzen Land massiv fördert – die lokalen Strukturen werden dabei oft einfach überrollt.

Es sind also nicht reale finanzielle Einbußen, die die Rechte seit Jahren vor Wut schäumen lassen. Vielmehr ist die Wut Ausdruck des diffusen Ressentiments der Wohlhabenderen im Lande, den gefühlten Status, ihre Privilegien nicht mehr exklusiv zu haben. Voll sind die Medien mit Kommentaren, die sich darüber mokieren, dass Favela-Bewohner Smartphones nutzen, dass auch die eigene Hausangestellte ein Auto ihr eigen nennt, dass Reisen nach Buenos Aires, Miami oder Paris nicht mehr angesagt seien, da dies so "normal" geworden sei. Im verzweifelten Kampf gegen ihr Horrorszenario einer dauerhaften PT-Regierung greift Brasiliens Rechte nach jedem Strohhalm. Sie nutzt den Mensalão-Prozess, bei dem dieses Jahr die Berufungsverhandlungen anstehen, um das Image der PT dauerhaft zu beschädigen. Besonders auf Lula haben sie es abgesehen. Ihn wollen sie nun endlich auch vor Gericht sehen, ihn haben sie in ihren Internetmedien zum "korruptesten Politiker 2012" wählen lassen. Dabei sind korrupte Praktiken fester Bestandteil so ziemlich aller Parteien Brasiliens. Zu Recht fragen die wenigen linken Medien im Lande immer wieder, warum der Mensalão-Prozess so vergleichsweise schnell (und passgenau zu den Kongress- und Landtagswahlen im vergangenen Jahr) voran kam, während ähnlich gelagerte Korruptionsprozesse gegen Politiker anderer Parteien seit Jahren in den Mühlen brasilianischer Justiz versacken.

Die Rechte in Brasilien hat den Wahlkampf eröffnet. Mehr als anderthalb Jahre Trommelfeuer stehen Lula, Rousseff und der PT bis zu den 2014-Wahlen bevor. Und zimperlich geht Brasiliens Rechte dabei nicht vor. Bei aller seit Jahren geübter und berechtigter Kritik seitens der sozialen Bewegungen in Brasilien an der Regierungspolitik der Arbeiterpartei PT und bei aller eingestandenen Dringlichkeit, die Mensalão-Vorgänge aufzuklären, so ist doch das Vorgehen der brasilianischen Rechten, verbunden mit der alten Oligarchie, allzu offensichtlich: der Arbeiterpartei PT und Lula um jeden Preis schaden zu wollen.