Mexiko / Soziales

Um in Freiheit zu lesen

Gespräch mit dem mexikanischen Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II über sein Projekt "Para leer en Libertad", Leseförderung und historisches Bewusstsein, sowie die Pläne der aktuellen mexikanischen Regierung

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Paco Ignacio Taibo II bei der Verteilung von Büchern auf einer Buchmesse von "Para leer en Libertad"
Paco Ignacio Taibo II bei der Verteilung von Büchern auf einer Buchmesse von "Para leer en Libertad"

Im Rahmen der Internationalen Buchmesse in Havanna stellten der mexikanische Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II und Paloma Saíz das Projekt "Para leer en Libertad" (Um in Freiheit zu lesen) vor. Vor wenigen Wochen jährte sich die Gründung der Gruppe zum dritten Mal, was die beiden Gründungsmitglieder dazu brachte, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Ein Gespräch mit Paco Ignacio Taibo II.


Paco Ignacio Taibo II, was verbirgt sich hinter dem Namen "Um in Freiheit zu lesen"? Wer seid ihr und was wollt ihr erreichen?

Mexiko ist ein Land, das von einem hohen Maß an Ungleichheit geprägt ist. Ein Ausdruck davon ist der geringe Anteil der Bevölkerung, der liest, wofür es mehrere Gründe gibt. Einerseits sind Bücher in Mexiko verdammt teuer und so für viele einfach unerschwinglich. Andererseits gibt es eine hohe, sozusagen kulturelle Hemmschwelle, was das Lesen angeht, vor allem bei den unteren Schichten. Wir wollen erreichen, dass das Lesen wieder als das angesehen wird, was es ist: Eine verdammt schöne Sache. Von einer schulischen Pflicht muss Lesen wieder zu einem Genuss werden. Außerdem geht es uns darum, die Geschichte Mexikos neu zu schreiben. Weg von den Lügen, die uns täglich erzählt werden. Hin zu einer Geschichte aus der Sicht der normalen Menschen unseres Landes. Dabei behandeln wir Themen wie die großen Kämpfe der unteren Schichten oder die Organisationsgeschichte der Linken. Zwar geht es uns also einerseits um die Förderung des Lesens an sich. Die Brigade ist jedoch auch ein klar politisches Projekt. Denn ein Volk das liest, ist ein Volk, das die Fähigkeit zum kritischen Reflektieren besitzt.

Dabei arbeitet ihr immer mit dem Buch als primärem Medium. Wie können wir uns eure Arbeit konkret vorstellen?

Wir organisieren Buchmessen, bei denen im Laufe von fünf Tagen jeweils zehn Debatten stattfinden, oftmals mit sehr bekannten Schriftstellern, und bei denen wir Bücher zu sehr niedrigen Preisen anbieten. Die Brigade organisiert "Tianguis de Libros" (deutsch ungefähr "Büchermärkte"), Konferenzen und die sogenannten "Poesie-Leinen". Dabei hängen wir Gedichte an eine Wäscheleine und fordern die Leute auf, diese zu lesen und sich dann das mitzunehmen, welches ihnen am besten gefällt. Wir arbeiten fast immer unter freiem Himmel, also auf der Straße, auf Plätzen oder in Parks, um so ein größtmögliches Publikum zu erreichen. Bei unserer Arbeit arbeiten wir mit allen zusammen, die das möchten: Mit politischen Gruppierungen, mit örtlichen Autoritäten, mit bewegungsorientierten Basisgewerkschaften oder mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Während den drei Jahren unseres Bestehens haben wir die Erfahrung gemacht, dass das Buch die beste Art und Weise der politischen Bildung darstellt.

Wie du gerade angesprochen hast, gibt es euch nun schon über drei Jahre. Kannst du uns ein Resumé eurer Arbeit geben? Was konnte in dieser Zeit erreicht werden?

Wir haben es vor allem geschafft, eine starke Präsenz im Tal von Mexiko1 aufzubauen. Eine Gegend, in der 20 Millionen Menschen leben. Eine Gegend, in der die Linke die Wahlen gewonnen hat und die eine enorme Anzahl an Basisorganisationen aufweist. In der Stadt haben wir es geschafft eine kontinuierliche kulturell-politische Arbeit aufzubauen, bei der wir in der großen Mehrheit der Fälle das Buch als Speerspitze einsetzen. In Mexiko ergibt sich die paradoxe Situation, dass von den fünf Mexikanern, die sich unter den ersten zehn Schriftstellern auf den Bestsellerlisten befinden, vier der intellektuellen Linken zuzuordnen sind. Es herrscht also eine sehr starke Präsenz von libertären, progressiven, radikalen Gedanken vor. Und mit diesen linken, in der Gesellschaft sehr bekannten Schriftstellern arbeiten wir zusammen.

Mit ihnen organisieren wir Podiumsdiskussionen zu politischen oder geschichtlichen Themen. Neben diesen ganzen, schon beschriebenen Aktivitäten verlegen wir unsere eigenen Bücher. So konnten wir in den letzten drei Jahren 60 Bücher herausbringen. Die werden dann auf den von uns organisierten Konferenzen an die Anwesenden verschenkt. Schätzungsweise haben wir so in den letzten Jahren 250.000 Bücher verteilt. Außerdem haben wir es geschafft einen neuen Diskurs über die Geschichte Mexikos zu etablieren. Wer war wer? Wie lief die Unabhängigkeitsbewegung wirklich ab? Was war die mexikanische Revolution? Wie verliefen die großen Studentenbewegungen? Bei allen diese Aktivitäten konzentrieren wir uns nicht auf ein bestimmtes Stadtgebiet, sondern versuchen möglichst überall präsent zu sein. So schaffen wir es, bis in die abgelegensten Ecken der Stadt vorzudringen.

Seit Dezember hat Mexiko wieder eine PRI-geführte Regierung mit Peña Nieto als neuem Präsidenten. Der hat gleich zu Beginn seiner Amtszeit weitreichende Reformen in verschiedenen Teilen der mexikanischen Gesellschaft angekündigt, zusammengefasst im sogenannten "Pakt für Mexiko". Teil davon ist eine Energiereform, die von vielen Linken als Plan zur Teilprivatisierung des Erdölkonzerns Pemex angesehen wird, sowie eine beträchtliche Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Als Teil seiner neoliberalen Politik hat Peña Nieto eine ganze Reihe von sogenannten Reformen angekündigt. Den größten Angriff stellt dabei die drohende Privatisierung von Pemex dar. Wir als Brigade müssen uns hier natürlich engagieren und dafür sorgen, dass es nicht dazu kommt. In den nächsten Wochen starten wir zusammen mit Morena (neue politische Kraft der mexikanischen Linken, A.d.Ü.) eine nationale Kampagne zur Verteidigung von Pemex und gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Denn mit dieser geht einher, dass bislang von ihr ausgenommene Produkte wie Lebensmittel und Medikamente, aber eben auch Bücher, in Zukunft beträchtlich besteuert werden sollen. Zusammen mit 40 sehr bekannten Schriftstellern werden wir dagegen mobilisieren. Beginnen wollen wir mit dem massenhaften Verteilen von Informationsmaterial und von Büchern. Als nächsten Schritt organisieren wir dann einen landesweiten Kongress, bei dem neben Schriftstellern und Künstlern auch alle wichtigen Persönlichkeiten der mexikanischen Linken anwesend sein werden.

  • 1. Zentrales Tal, in dem Mexiko-Stadt liegt.