Kolumbien / Politik

Kolumbien: "Wir verhandeln aus Überzeugung, weil es das ist, was die Menschen wollen"

Resumen Latinoamericano im Gespräch mit dem Kommandanten Pablo Beltrán, Leiter der Friedensdelegation der ELN-Guerilla

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Mitglieder der ELN-Guerilla in Catatumbo, Kolumbien
Mitglieder der ELN-Guerilla in Catatumbo, Kolumbien

Kürzlich hatten wir in Havanna die Gelegenheit ein Interview mit dem Kommandanten Pablo Beltrán zu führen, der die Friedensdelegation der ELN (Nationale Befreiungsarmee) leitet. Er beendete damals einen Verhandlungszyklus mit dem scheidenden Präsidenten Juan Manuel Santos.1

In diesem Gespräch geht es vor allem um die Wichtigkeit des Frieden für die geopolitischen Beziehungen zwischen Kolumbien und Venezuela, die Präsenz der USA in Kolumbien und den Vormarsch des Drogenhandels und Paramilitarismus in der Region.

Einige Verlautbarungen von kolumbianischen Militärs und bis hin zu Journalisten besagen, dass die ELN militärisch besiegt ist und deshalb praktisch gezwungen ist, zu verhandeln. Stimmt das?

Wir haben es mit Beschwipsten zu tun, Betrunkenen, trunken vom Sieg, sie sind nicht bei klarem Verstand.. Dessen muss man sich bewusst sein. Die Äußerungen von General Mora, der bei den Verhandlungen mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc) zugegen war und dabei sagte: "Es muss festgestellt werden, dass wir wegen unserer Siege hier zusammensitzen", sind ein Beispiel. Das ist ihre vernebelte Sicht. Diese Siegestrunkenheit erklärt, warum es ihnen gelungen ist, die Menschen zu manipulieren und zu überzeugen, dass man gegen den Frieden sein soll. Warum sollte man verhandeln, wenn man militärisch gesiegt hat.

Was die ELN angeht, die am 4. Juli diesen Jahres 54 Jahre alt geworden ist, wir sind eine andere Guerillaorganisation als die Farc. Die Farc wurde als Partei-Armee gegründet, während wir eine eher eine guevaristische Idee haben, eine politisch-militärische Organisation zu sein, eine Organisation, die Politik macht und selbst Krieg führt. Deshalb ist unsere Disziplin größer als die einer Partei, aber wir haben nicht die geschlossenen Befehlsketten einer Armee. Diese Mischung hat uns bei der Aufbauarbeit geholfen. Heute verfügen wir über städtische Fronten, ländliche Fronten aber auch über eine breite gesellschaftliche Verankerung. Wir sind weder eine klassische Armee noch eine klassische Partei. Diese Struktur wurde klandestin aufgebaut, da wir uns in einem sehr heftigen Krieg befinden. Wenn man Teil eines solchen Krieges ist, dann schafft man keine öffentlichen oder legalen Strukturen, sondern klandestine. Das ist die ELN.

Die soziale Integration, die Unterstützung durch breite Bevölkerungsgruppen, erklärt, warum sie mit uns nicht nur nicht Schluss gemacht haben, sondern wir weiter wachsen. Wir werden stärker bei den Jugendlichen, den Frauen und den am meisten ausgeschlossenen ethnischen Minderheiten, wir sind in den großen Städten, in den Mittelschichten, bei den Intellektuellen, und innerhalb der Kirche in den Sektoren der Befreiungstheologie. Wenn sie uns besiegt hätten, wäre dies nicht der Fall. Sie haben gegen uns die ganze Technologie und die Übel des Krieges aufgefahren – die wir nicht einsetzten – und hier sind wir. Wir sind aber auch nicht unbesiegbar. Jedoch wissen sehr wohl uns zu widersetzen und zu kämpfen.

Wir sind uns sicher, dass das kolumbianische Regime nichts einfach hergibt und guten Zwecken zuführt, sondern dass man alles erkämpfen muss, in einem politischen, sozialen, militärischen Kampf. Sie verschenken nichts, alles muss ihnen entrissen werden, und das ist es was wir tun, dafür organisieren wir die Menschen, dafür kämpfen wir mit den Menschen.

Die ELN würde also nicht aufhören zu existieren, wenn die Verhandlungen scheitern würden?

Also bitte, natürlich nicht!

Warum haben Sie sich dann an den Verhandlungstisch begeben?

Weil die kolumbianische Bevölkerung nach mehr als einem halben Jahrhundert des Krieges nach einer Überwindung des Konflikts verlangt. Und in dieser Frage sind wir sehr bodenständig. Man muss seine Politik auf der Realität aufbauen. Und wenn die Realität der kolumbianischen Bevölkerung die ist, dass sie den Krieg hinter sich lassen will, muss man dies aufrichtig und mit politischem Willen versuchen.

Als wir uns vor über 25 Jahren an den Verhandlungstisch setzten, waren wir der Überzeugung, dass ein politischer Ausweg aus dem Konflikt gefunden werden muss. Das heißt, wir verhandeln aus Überzeugung, weil es das ist, was die Menschen wollen und weil eine Gesellschaft wie die kolumbianische nur im Frieden lebensfähig werden kann.

Mit wie vielen Regierungen hat die ELN im Lauf ihrer Geschichte denn schon verhandelt?

Wir haben mit der Regierung Gaviria gesprochen, dann mit der von Samper, danach mit der von Pastrana, danach mit den zwei Regierungen von Uribe und jetzt mit den Zweien von Santos. Wir haben mit sieben Regierungen verhandelt..

Werden Sie einen achten Versuch machen?

Nun, wir hoffen, dass Duque nicht Nein zur Suche nach einer politischen Lösungen sagt.

Und hält es die ELN nach den gescheiterten Vereinbarungen mit den Farc für der Mühe wert, weiter zu verhandeln?

Es ist notwendig. Vor vier Jahren haben uns alle gesagt, "macht, was die Farc machen" und jetzt sagen sie uns "macht es nicht wie die Farc".

Sogar die Farc haben das gesagt, nicht wahr?

Sie waren die Ersten! Was ist also die Erkenntnis ‒ dass wir auf der Suche nach einer politischen Lösung und nach Frieden bleiben müssen. Aus dem Positiven der Bemühungen der Farc, aber auch aus ihren Fehlern lernen.

Beeinflusst der Eintritt Kolumbiens als Globaler Partner in die NATO die Chancen auf Frieden in Kolumbien?

Das übt viel Druck aus. Diese Entscheidung wurde nicht in Bogotá getroffen, sondern in Washington, von dort kommen die Vorgaben. Ein Gedanke dazu. Szenario eins: Wir erreichen ein Friedensabkommen und treten in Kolumbien in eine Phase der Ruhe ein. Was ist das Erste, was die kolumbianische Gesellschaft von der Elite fordern wird? Die Ausgaben für den Krieg, die Militärmaschine zu reduzieren. Wer wird gegen eine solche Maßnahme protestieren? Die USA. Folglich müssen die USA und die extreme Rechte Kolumbiens den Friedensprozess behindern, weil sonst die größte Kriegsmaschinerie Lateinamerikas demontiert würde. Sie wissen, dass die Gesellschaft fordern wird, dass nicht weiter Millionen für den Krieg ausgegeben werden und dass diese Kriegsmaschine abgebaut wird, es sind eine halbe Million Soldaten und Polizisten.

In der neuen kolumbianischen Militärdoktrin namens "Damaskus" (Damasco) ist von einer Phase nach dem Konflikt die Rede, die sie dank ihrer militärischen Siege erreicht hätten. Sind Sie nicht der Meinung, dass Iván Duque den Eindruck eines stabilen und friedlichen Kolumbiens bewahren muss, um diese neue Phase einzuleiten, in der es sich zu einer Söldnerarmee im Dienste der Nato verwandelt?

Mittlerweile sprechen sie nicht mehr von einer Phase nach dem Konflikt (posconflicto), sondern von einer Phase nach dem Abkommen (posacuerdo), sie haben einen Schritt zurück gemacht. Die Damaskus-Doktrin ist die Werbestrategie, es ist nicht exakt die gesamte Strategie, sondern nur das, was sie bewerben wollen. Erinnern Sie sich, vorhin sagte ich, dass die beschwipst sind, betrunken von militärischen Siegen und nicht bei Sinnen sind? Es ist ein weiterer Beweis, dass sie nicht bei klarem Verstand sind, dass sie in allen diesen Verhandlungen wollen, dass die Guerillas verschwinden ohne die Ursachen zu verändern, die den bewaffneten Aufstand motivieren.

Einfacher gesagt: sie versuchen die Folgen zu beseitigen und die Ursachen fortbestehen zu lassen. Alles was sie von sich geben, sind also einige politisch-militärische und politische Formulierungen, denen es an gesundem Menschenverstand mangelt. Das mag ein, zwei oder drei Jahre funktionieren, aber auf mittlere Sicht, nach fünf oder zehn Jahren, wird ihnen das wegbrechen. Es kollidiert mit der Realität. Das sind Werbestrategien, die dafür da sind, Konsens zu schaffen, eine Hegemonie aufrecht zu erhalten, die aber nicht die Realität verändern. Es ist nur eine Maskerade, um sich an der Macht zu halten.

Das reale Szenario ist, dass der Friedensprozess mit den Farc zusammenbricht. Es werden neue Guerillas entstehen, während die ELN ihnen keinen Prozess der Befriedung zugestehen und ihren Aufstand fortsetzen wird. Positiv gesagt, was wir vorschlagen ist, dass eine Kultur des Friedens basierend auf dem Widerstand aufrechterhalten werden muss.

Und die systematische Ermordung führender sozialer Aktivistinnen und Aktivisten, die derzeit in Ihrem Land stattfindet, hängt mit dieser Strategie zusammen?

Das ist die reale Strategie. Sie wollen keine Veränderungen, sie wollen ihre Privilegien nicht aufgeben. Sie wollen nicht nur mit der Guerilla Schluss machen, sondern auch mit all denen, die anderer Meinung sind, all denen die sich ihnen widersetzen und sei es mit juristischen Mitteln. Was hier passiert ist ein Genozid an oppositionellen Linken und jeder Form des sozialen Protests.

Ist dieser Völkermord in seiner Intensität beispiellos?

Nun, er ist größer als der an der Unión Patriótica (UN) 2. Da sie sich nicht ändern wollen, müssen sie all jene von der Karte streichen, die auf Veränderungen drängen. Linke Parteien, Umweltaktivisten, Indigene, Menschenrechtsverteidiger, Ex-Guerilleros, linke Bewegungen und Bewegungen der Mitte. Heute besteht die tatsächliche Strategie des Krieges im Genozid an der Bewegung, die sich ihnen widersetzt, selbst wenn aus der Legalität. Sie töten schon wöchentlich mehr soziale Aktivisten, als sie es beim Genozid an der UP in den 1980er-Jahren taten. Dieser politische Genozid ist schlimmer.

Lässt seine Intensität nach?

Nein, im Gegenteil, sie nimmt zu. Im Durchschnitt wird bereits mehr als ein Aktivist täglich ermordet. Das ist ihre tatsächliche Strategie. Der "Post-Konflikt" existiert also nicht. Kurz gesagt, wenn sich die Bedingungen,die zum bewaffneten Aufstand führen, nicht verändern, wird es weiterhin bewaffneten Aufstand geben, selbst wenn die ELN nicht mehr da wäre. Sie treiben zwei Fronten des Krieges voran: eine gegen den Aufstand und eine andere gegen die legale Opposition. Das ist ihre eigentliche militärische Strategie, damit ihnen ihre Macht nicht entrissen wird. Das ist die Strategie, die analysiert und neutralisiert werden muss.

Ich möchte immer hervorheben, dass das erste Opfer der kolumbianischen Regierung die kolumbianische Bevölkerung ist. Halten Sie es für eine Übertreibung zu sagen, dass das zweite Opfer die venezolanische Bevölkerung ist?

Der kolumbianische Konflikt zieht seine Nachbarn auf vielfältige Weise in Mitleidenschaft. Wer exportiert zum Beispiel Paramilitarismus und Mafias nach Venezuela und Ecuador? Das kolumbianische Regime. Alle kolumbianischen Kartelle haben Mittelamerika kolonisiert. Das kolumbianische Modell der Aufstandsbekämpfung wurde nach Mexiko verkauft, und man schaue sich den Zustand dieses Landes heute an.

Die benachbarten Brudervölker sind Opfer des kolumbianischen Konflikts und zugleich gibt es eine Kriegstechnologie, die in Kolumbien entwickelt wurde und die Bogotá stolz exportiert.

Sie können feststellen, dass die bekanntesten Polizisten für Aufstandsbekämpfung als Berater nach Mexiko geschickt wurden. Die kolumbianische Polizei ist der wichtigste Polizeiberater in Mittelamerika. Die kolumbianischen Schulen für Aufstandsbekämpfung sind voll von Militärs aus fast allen Ländern Amerikas.

Es geht also nicht nur darum, dass durch den Konflikt an sich Mafias und Paramilitarismus exportiert werden, sondern dass die Regierung zusätzlich ein wichtiger Exporteur konventioneller und nicht konventioneller Kriegstechnologie ist.

Hat der Paramilitarismus in Kolumbien zugenommen?

Kolumbien ist ein Land der Mafias, es sind die Mafias des Handels mit Kokain, Waffen, Menschen, Geld, Prostitution, usw. Jede Mafia hat ihre eigene private oder gemietete Armee, da sind die Paramilitärs.

Aber gibt es heute in Kolumbien mehr oder weniger Paramilitärs als vor dem berühmten Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden?3

Mehr, viel mehr. Auf dem Gebiet Tumacos, das an der Pazifikküste liegt und an Ecuador grenzt, existieren beispielsweise fünf Kartelle, von denen jedes über eine private Armee verfügt. Sie exportieren Drogen in die USA im Einverständnis mit der DEA 4.

Nach der Ausschaltung der großen Drogen-Kartelle in den 1990er- Jahren, scheint es, dass nun die mexikanischen Kartelle das Geschäft mit den Drogen in Kolumbien übernommen haben. Stimmt das?

Ja, zum Teil ist das wahr, aber da gibt es auch viel Meinungsmache. Sie brauchen einen Bösewicht, früher war es Pablo Escobar und jetzt ist es El Chapo 5. In der kolumbianischen Pazifikregion gibt es fünf mexikanische Kartelle, aber gleichzeitig operieren im venezolanischen Grenzgebiet zu Kolumbien – in Sur del Lago, Apure und Táchira – brasilianische Kartelle.

Was hier passiert ist, dass die DEA eine Politik der Reproduktion von Kartellen betreibt. Als sie das Medellín-Kartell zerstörten, verbündeten sie sich mit dem Cali-Kartell; als sie das Cali-Kartell zerstörten, verbündeten sie sich mit dem Kartell Norte de Valle. Die Gesetzmäßigkeit ist, dass sie sich mit dem kleinen Kartell verbünden, um das große Kartell zu zerstören, aber durch diese Allianz das kleine Kartell in ein großes verwandeln. Sie machen nie mit den Kartellen Schluss. Sie betreiben eine Politik der Vervielfältigung von Drogenkartellen. Das ist die Geschichte des Drogenhandels in Kolumbien.

Peter Dale sagt, dass sich die CIA und die anderen Geheimdienstapparate der USA historisch auf lokale Drogenkartelle gestützt haben, um die informellen Armeen zu finanzieren, die es ihnen ermöglichten Länder zu kontrollieren. Passiert das in Kolumbien und Venezuela ?

So ist es. Im Zweiten Weltkrieg stützten sie sich die USA auf die Mafia, als sie von Süden her nach Italien einmarschieren mussten. Das ist Geschichte. Und sie bezahlten sie, indem sie die Herrschaft der sizilianischen Mafia über die Häfen in den USA selbst legalisierten; durch diesen Handel blieb die Mafia mächtig.

In der jüngeren Geschichte gab es einen großen FBI-Chef namens Edgar Hoover, der das FBI vierzig Jahre lang führte. Seit den 1930er und 1940er Jahren war er ein Verbündeter aller Mafias in den USA und als er in der Zeit des McCarthyismus in den 1940er und 1950er Jahren gegen den Kommunismus vorging, benutzte er die Mafias, um die Revolutionäre anzugreifen. Schlussfolgerung: Es ist ein Gesetz des Imperiums, sie verbünden sich vorzugsweise mit gewöhnlichen Kriminellen, um Revolutionäre anzugreifen – das ist Teil ihrer Kultur. In Afghanistan verbündeten sie sich mit allen Mafiabanden und drängten so die Sowjets hinaus. Dieser Krieg war das Hauptlabor und Vorzeigeprojekt einer solchen Strategie.

Hat deshalb die Kokainproduktion in Kolumbien in den letzten Jahren zugenommen?

Natürlich. Marokko, eines der wichtigsten Labore für Haschisch in Europa, ist genauso wie Afghanistan und Kolumbien ein Labor für Aufstandsbekämpfung. Wer diese Triebfeder des Imperiums nicht versteht, versteht nicht, was die Kriege antreibt.

Wer hat den Genozid an der Unión Patriótica in den 1980er Jahren begangen? Pablo Escobar, Rodríguez Gacha. Wer begeht heute den Mord an sozialen Aktivisten in Kolumbien? Die Kartelle, die Auftragskiller. Wer macht die guarimbas 6 in Venezuela? Die Banden. Wer dirigiert? Die CIA.

Die Struktur der guarimbas in Venezuela hat drei Säulen: Erstens, eine verdeckte Geheimdienststruktur, die Informationen sammelt, das ist keine Arbeit von Auftragsmördern, sondern die einer nachrichtendienstlichen Struktur; zweitens, die Killer, die losgehen und einen Polizisten töten und denen dafür das Dreifache des üblichen Preises gezahlt wird, oder die losgehen und einen PSUV-Führer aus irgendeinem Ort erhängen, entsprechend der Informationen die von dieser Geheimdienststruktur bereitgestellt werden; drittens, eine zivile Maske, eben jene Opposition, die auftaucht und eine Subversion gegen die Regierung anzuführen scheint. So sind die guarimbas aufgebaut, die gegen die bolivarische Revolution gewütet haben.

Die selbe Struktur des schmutzige Krieges wird in Nicaragua angewendet. Geheimdienstinformationen, die die CIA über Jahrzehnte angesammelt hat, Bandenstrukturen und eine legale Oppositionsmaske, die auf Studenten von privaten Universitäten basiert, die in den letzten fünf Jahren in Gruppen von 300 bis 500 Personen zu Kursen in den USA gebracht wurden, die von USAID7 finanziert wurden.

Es muss deutlich gemacht werden, dass ein Kriegseinsatz über 100 Tage, wie bei den letzten guarimbas in Venezuela, nicht allein von ein paar Banditen aufrechterhalten werden kann, noch von einer schwachen Opposition wie der venezolanischen. Da existiert eine verdeckte professionelle Struktur des Krieges, die auf Nachrichtendienste zurückgreift, Kriminelle kauft und zusätzlich diejenigen bezahlt, die zivil protestieren. Den einen liefert sie Waffen, den anderen Geld, anderen Drogen. Das ist das Imperium.

Wie stark und gefährlich ist die US-Präsenz in Kolumbien, sowohl die von regulären US-amerikanischen Militärs, als auch die von zivilen Auftragnehmern?

Sehen Sie, Kolumbiens größte Militärbasis heißt Tolemaida und liegt am Ufer des Magdalena-Flusses, anderthalb Stunden von Bogotá entfernt. Auf dieser Basis sind 21.000 Personen. Dort leben kolumbianische Militärs, US-Militärs und ihre Familien. Es sind nicht zwei oder drei, noch zweitausend, wie man so schön sagt. Andererseits gibt es zahlreiche Kriegsunternehmen, das ganze System der Besprühung der Kokaanbaugebiete mit Glyphosat wurde an private Militärfirmen aus Nordamerika vergeben; das machen keine kolumbianischen Piloten. Alle Dienstleister der Streitkräfte sind US-Unternehmen, wie beispielsweise die Unterstützungsbataillone für Kampfeinsätze.

Heißt das, dass die ELN sich Auseinandersetzungen mit US-Militärs und - Auftragnehmern liefern musste?

Natürlich, alle Eröl- und Bergbauunternehmen bringen Sicherheitsfirmen aus den USA mit. In Kolumbien existiert ein sehr breites Kriegsnetzwerk.

Und glauben Sie, dass sich diese US-Auftragnehmer an einem eventuellen Angriff auf Venezuela aus Kolumbien beteiligen?

Sie sind bereits involviert. Viele der Operationen, die sie von der Grenze aus gegen Venezuela durchgeführt haben, wurden von diesen Beratern geleitet.

Halten Sie als Sprecher der ELN es für möglich, dass die kolumbianische Regierung einen realen Konflikt mit Venezuela eingeht? Oder werden sie den verdeckten Krieg weiterführen, wie sie es bisher getan haben – mit Wirtschaftsboykott, paramilitärischer Invasion und so weiter?

Álvaro Uribe hat bereits 2008 Angriffe gegen Ecuador geführt8, und das kann sich wiederholen. Es gibt immer Ausreden oder Montagen, um einen Angriff zu rechtfertigen. So beginnen viele Kriege, das ist nichts Neues. Aber es gibt auch eine politische Realität. In der kolumbianischen Gesellschaft gibt es das Bedürfnis nach einem Ende des Krieges und es macht keinen Sinn dass wir uns bemühen, diesen Krieg zu beenden und gleichzeitig das Land in einen Krieg zwischen Staaten, zwischen Brudervölkern stürzen zu wollen. Das ist ein Widerspruch in sich. Die Anführer mögen verrückt oder betrunken sein von den militärischen Erfolgen, aber in Kolumbien sind nicht alle verrückt oder beschwipst, es entstehen Mehrheiten, die Frieden einfordern und das erzeugt Druck. Das ist also grundlegend eine politische Auseinandersetzung.

Sie müssen weiter argumentieren, dass der Krieg notwendig ist, und die anderen müssen sagen, dass dem nicht so ist. In Kolumbien ist diese Auseinandersetzung stark. Vor Kurzem sagten zehn Millionen Einwohner "Ja zu Uribe", andere acht Millionen sagten "Nein, der Frieden mit Veränderungen muss gemacht werden", während 18 Millionen sich nicht geäußert haben. Das Ziel muss sein, dass diese 18 Millionen, denen Kolumbien egal ist und die nicht wählen gehen, anfangen sich für ein "Ja zum Frieden mit Veränderungen" und ein "Nein zum Krieg" auszusprechen.

Und wie steht die ELN dazu?

Wir ermutigen dazu, dass wir die Zeiten des Krieges hinter uns lassen. Der Krieg ist kein Fluch, zu dem wir verurteilt sind. Wir sind bereit für eine politische Lösung des Konflikts, ohne militärische Abenteuer eines Staates gegen einen anderen, eines Volkes gegen ein anderes. Unsere politische Zielsetzung ist, dass Lateinamerika eine Zone des Friedens sein soll.

Was ist Ihre abschließende Botschaft für die Bevölkerungen Kolumbiens, Venezuelas und unseres ganzen Amerikas?

In der Politik macht man manchmal Fehler. Ich musste mit ansehen, wie in Kolumbien Fremdenfeindlichkeit gegenüber Venezuela entsteht und leider gab es manchmal das selbe Phänomen aus Venezuela, wenn auch in geringerem Ausmaß. Ich denke, dass wir uns von dieser Fremdenfeindlichkeit heilen und lernen müssen, die Probleme jedes Einzelnen zu betrachten, sie anzunehmen und sie nicht auf den Nachbarn abzuladen. Vor allem sollten wir dafür eintreten, dass Lateinamerika und die Karibik eine Zone des Friedens sind. Uns daran erinnern, dass wir in Wirklichkeit Brudervölker sind, dass niemand besser oder schlechter ist als der Andere. Dass es die Berufung unserer Völker ist, vereint zu sein, denn vereint haben wir uns von den Imperien befreit. Das ist die Zukunft.

Alle Fußnoten sind Anmerkungen der Redaktion

  • 1. ELN und Regierung Santos hatten die sechste Gesprächsrunde der im Februar 2017 begonnen Friedensverhandlungen Anfang August erfolglos beendet, siehe Amerika 21 Kolumbien: ELN und Regierung brechen Verhandlungen ohne Ergebnis ab. Das Interview wurde am 10. September publiziert. Seit dem Amtsantritt der neuen Regierung von Präsident Iván Duque hat es keine weiteren Gespräche mehr gegeben
  • 2. Die Unión Patriótica war 1984 als Ergebnis der Friedensverhandlungen zwischen Farc und Regierung entstanden und hatte mit wachsendem Erfolg an Wahlen teilgenommen. Bald begann die systematische Ermordung von circa 5.000 UP-Mitgliedern. Der Oberste Gerichtshof Kolumbiens erkannte dies als Genozid an, an dem neben Paramilitärs auch Polizei und Militär massiv beteiligt waren.
  • 3. So heißt das Gesetz, das 2005 die Demobilisierung der Paramilitärs regelte
  • 4. US-amerikanische Drogenbehörde
  • 5. Mittlerweile verhafteter Boss des mexikanischen Sinaloa-Kartells
  • 6. Als guarimbas werden gewaltsame Straßenproteste gegen die venezolanische Regierung bezeichnet
  • 7. United States Agency for International Development (USAID), Behörde des US-Außenministeriums für internationale Entwicklung
  • 8. Siehe Amerika21: Will Kolumbien Krieg?