Abkommen über geistiges Eigentum: Reproduktion der Kluft zwischen Zentrum und Peripherie

Technologietransfer kommt in den Freihandelsabkommen, die die USA mit verschiedenen lateinamerikanischen Ländern unterzeichnet haben, nicht vor

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Patente über den medizinischen Gebrauch von Pflanzen – bekannt als Genressourcen – werden dazu genutzt, überliefertes Wissen zu enteignen
Patente über den medizinischen Gebrauch von Pflanzen – bekannt als Genressourcen – werden dazu genutzt, überliefertes Wissen zu enteignen

Im Zuge der fünften Verhandlungsrunde des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta), in der explizit das Kapitel 17 über geistiges Eigentum behandelt worden ist, scheint es angemessen, der wachsenden Rolle von Urheberrechten in den verschiedenen internationalen Handelsabkommen auf den Zahn zu fühlen. Der Umfang, den die Rechte an geistigem Eigentum bei den Nafta-Neuverhandlungen einnehmen, erklärt sich durch die Komplexität und den Schwung, den die Telekommunikationsbranche oder der digitale Handel (E-Business) seit Beginn von Nafta im Jahr 1994 erfahren haben. Aber auch durch die Einbeziehung von Ideen und Wissen als geeignete Elemente für die Vermarktung. Dies bringt neue Themen auf die Agenda über die Rechte an geistigem Eigentum, etwa die Biotechnologie, kulturelles Schaffen, Informatik, Genetik und viele Bereiche mehr, die der Kommerzialisierungswut des Kapitals unterliegen.

Falls die Nafta-Verhandlungen nicht vorankommen und das Abkommen scheitern sollte, wie es von Präsident Donald Trump in einigen Erklärungen angedeutet wurde, würden die Richtlinien der Welthandelsorganisation (WTO) greifen, um die Handelsbeziehungen zwischen Mexiko, den USA und Kanada zu regeln. Angesichts eines möglichen Endes des Abkommens zieht der private Sektor in Mexiko dieses Szenario einer Neuverhandlung von Nafta vor, die möglicherweise einen Vertrag zur Folge hätte, der noch mehr den US-Interessen zugute kommt.

Daher rührt also die Wichtigkeit, die Abkommen hinsichtlich des Schutzes geistigen Eigentums zu überarbeiten, die im Rahmen der WTO beschlossen wurden. Auch andere Freihandelsabkommen, welche die verschiedenen Länder Lateinamerikas und der Karibik mit der Europäischen Union (EU) und den USA unterzeichnet haben. Sie sind Ausdruck der Suche des derzeitigen Finanzkapitalismus nach neuen Nischen zur Akkumulation.
Die Aneignung durch Enteignung, die unter anderem auch durch diese Abkommen über das Urheberrecht erleichtert wird, geschieht im Kontext asymmetrischer Beziehungen der Abhängigkeit zwischen Zentrum und Peripherie. Diese Beziehungen werden auch im 21. Jahrhundert weiter reproduziert, auch wenn sie zunehmend neue Formen annehmen.

Abkommen der Welthandelsorganisation zum Schutz geistigen Eigentums

Die WTO war Vorreiterin bei der Festsetzung eines Rechtsrahmens um die Vermarktung von Immaterialgüterrechten zu regulieren. Hierzu wurde das "Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums" (Trips) in der Uruguay-Runde (1986-1994) eingeführt.

Die WTO definiert die Rechte am geistigen Eigentum als "jene, die den Personen über die Schöpfungen ihres Geistes zugesprochen werden. Sie geben dem Schöpfer in der Regel für einen bestimmten Zeitraum das ausschließliche Recht zur Nutzung seines Werkes" und es gibt zwei Arten davon:

  • Urheberrechte und damit verbundene Rechte (Rechte von Schriftstellern, Musikern, Softwareentwicklern, Übersetzern, etc.);
  • Industrielles Eigentum, das wiederum unterteilt wird in den Schutz von Kennzeichen (Marken- und Warenzeichen und geografische Kennzeichnungen) und Erfindungen (Patente), Geschmacksmuster, Produktgestaltungen und Geschäftsgeheimnisse.

Mit Hilfe des Trips-Abkommens regelt die WTO die von jedem Land in Bezug auf das geistige Eigentum einzuhaltenden Mindeststandards, um einheitliche Kriterien zum Schutz von Urheberrechten sowie zur Beilegung von Differenzen zwischen den Mitgliedsländern bezüglich der Thematik etc zu schaffen. Das Trips-Abkommen lässt jedoch jedem Land einen Spielraum, damit die Umsetzung nach den jeweiligen Rechtsvorschriften erfolgen kann, solange die Mindeststandards des Übereinkommens eingehalten werden.

Wie in anderen Handelsabkommen auch, gibt es im Trips mehrere Grundprinzipien, wie etwa die Nichtdiskriminierung (durch Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern und die Meistbegünstigungsklausel)l Und es gibt ein Prinzip, das in anderen Abkommen fehlt: die Verknüpfung des Schutzes des geistigen Eigentums mit der technischen Innovation und dem Technologietransfer, was laut WTO sowohl den Produzenten als auch den Nutzern zugute kommt, um den "wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand" zu erhöhen.

Da Trips auch sensible Themen wie Gesundheit, Biodiversität, traditionelles Wissen, Pflanzen und lebende Organismen, etc. beinhaltet, gibt es unter den Mitgliedsländern eine große Debatte darüber, welche Bereiche abgedeckt werden sollen und wie man diese am besten vor Missbrauch schützt. Es wurden einige Mindestvereinbarungen getroffen, aber trotzdem sind diese Themen weiterhin Gegenstand einer umfassenden Diskussion, in der die Interessen der Industrie- und die der Peripherieländer – letztere verfügen über den größten Prozentsatz des Reichtums an Artenvielfalt und traditionellem Wissen – aufeinander, die nicht unbedingt übereinstimmen. Selbst von der WTO wurde dieser Umstand ausdrücklich anerkannt, als sie eine Übergangsphase für die Anwendung von Trips für "weniger entwickelte Länder"einführte.

Die Rechte am geistigen Eigentum in den Freihandelsabkommen

Die Urheberrechte waren immer schon ein kontroverses Thema bei den Freihandelsabkommen (bilateral wie multilateral), welche die Länder Lateinamerikas und der Karibik mit den Industrieländern unterzeichneten. Mehrere von der Cepal 1 veröffentlichte Studien warnen seit Jahren vor den Nachteilen für diese Länder, wenn sie solche Verträge unterzeichnen; sie gefährdeten die Möglichkeiten der Entwicklung der Region, da die Freihandelsabkommen striktere Regularien in Bezug auf den Schutz des geistigen Eigentums beinhalteten, als dies beim Trips der Fall sei. Praktisch bedeutet dies, dass die Möglichkeiten, eine innovative öffentliche Politik in Lateinamerika und der Karibik voranzutreiben begrenzt sind, da hierfür die Anreize fehlen oder sie direkt verhindert werden.

Die in den Freihandelsabkommen verbriefte Anwendung der Rechte am geistigen Eigentum hat eine weitere negative Auswirkung: ihren "übertriebenen Schutz", welcher der "Verfügbarkeit von Generika und dem gesellschaftlichen Zugang zu Wissen und Kultur" schadet. In den Freihandelsabkommen gibt es üblicherweise die Kategorie "regulierte Produkte". Für diese braucht es vorab staatliche Genehmigungen, wie in den Bereichen Medikamente und Agrochemikalien, die den Wettbewerb bei Generika einschränken sollen ‒ mit den daraus resultierenden sozialen Auswirkungen für Bevölkerungen mit geringer Kaufkraft.

Positiv hervorgehoben wurden immer die Mehrdeutigkeit und Lücken in diesen Abkommen, die von den jeweiligen nationalen Gesetzgebungen gefüllt werden können. Die Möglichkeiten Lateinamerikas und der Karibik in diesem – wie in vielen anderen - Bereich zu gleichen Konditionen mit den Industrieändern zu konkurrieren, sind jedoch zumindest fraglich. Die selben Schwierigkeiten gibt es bei der Ausarbeitung einer souveränen Gesetzgebung, um den großen US-Konzernen Grenzen zu setzen. In der Praxis diese Verträge den lateinamerikanischen und karibischen Ländern Fesseln an und dienen vielmehr der Absicherung der Interessen von US-Unternehmen. Das zeigt der Fall des Freihandelsabkommens zwischen Kolumbien und den USA hinsichtlich der Pharma-Patente, die den Kolumbianern den Zugang zu bestimmten Generika verwehren. Aber die Beispiele könnten sich vervielfachen, nicht nur in der Region, sondern in allen abhängigen Ländern.

Ressourcen- oder Technologietransfer?

Die von uns betrachteten Abkommen können nicht von den Problemen eines in der Krise steckenden Kapitalismus getrennt werden, der versucht, die Profitrate zu halten und zu steigern und permanent auf der Suche nach endlosem Wachstum ist.

Die Aneignung durch Enteignung, das heißt, die Privatisierung von vormals öffentlichen Dienstleistungen oder die Vereinnahmung der Natur, die den Land- und Wissensraub von Indigenen mit sich bringt, wie es in Lateinamerika und der Karibik geschieht, sind Teil eines Transferprozesses regionaler Ressourcen in die globalen Wirtschaftszentren. Die Privatisierung von Saatgut für den Profit der großen globalen Wirtschaftskonglomerate ist nur eines von vielen Beispielen, die man finden kann. Auch die Schaffung von Patenten über den medizinischen Gebrauch von Pflanzen – bekannt als Genressourcen – kann angeführt werden, die trotz bestehender Vorschriften weiter dazu genutzt werden, überliefertes Wissen zu enteignen.

Vielleicht hilft das bisher Gesagte zu verstehen, warum die hauptsächlichen Patentanmelder unter den höchstentwickelten Ländern des Planeten zu finden sind (USA, Japan, China, Deutschland und Südkorea). Lateinamerika und die Karibik liegen weit dahinter. Brasilien konzentriert mit knapp 568 Anfragen 51 Prozent der Patentanmeldungen der Region auf sich (dagegen haben die USA 54.660 Anfragen). Nach Brasilien kommen Mexiko (289), Chile (197), Barbados (114) und Kolumbien (100). Das ist eine gewaltige Kluft, die kurzfristig kaum zu überwinden ist.

Die Verknüpfung des technologischen Fortschritts mit einem immer stärker spezialisierten Fachwissen, das sich auf gewisse Länder konzentriert, welche Forschung, Entwicklung und Innovation auch dank der Abwanderung kluger Köpfe aus den Peripherieländern beherrschen (wie etwa an den US-Universitäten und -Forschungszentren geschehen), macht es sehr schwierig, diese Kluft zu überwinden. Zum Beispiel war Mexiko im Jahr 2016 das Land in Lateinamerika und der Karibik, mit der größten Abwanderung von Fachkräften. Der im Trips erwähnte Technologietransfer kommt in den Freihandelsabkommen, die die USA mit verschiedenen lateinamerikanischen Ländern unterzeichnet haben, nicht vor. In den Verträgen mit Bolivien, Honduras, Nicaragua, El Salvador sowie Trinidad und Tobago verpflichten sich die Länder ausdrücklich, davon abzusehen, bei den investierenden Unternehmen um Technologietransfer zu ersuchen.

Die Länder Lateinamerikas und der Karibik sind, wie andere Peripherieregionen, auch beim Handel eindeutig im Nachteil gegenüber den Industrieländern. Aufgrund der internationalen Arbeitsteilung werden unsere Länder in die Rolle der Rohstoffexporteure verwiesen, mit einer sehr eingeschränkten Beteiligung an den Wertschöpfungsketten und keinerlei Technologietransfer seitens der führenden Länder. Es handelt sich um einen asymmetrischen Austausch. Die Länder Lateinamerikas und der Karibik haben, ehrenwerte Ausnahmen ausgeklammert, wenig Möglichkeiten in die Spitzenbereiche vorzustoßen: Diese werden von einigen Industrieländern monopolisiert, die bei der Entwicklung einen jahrzehntelangen Vorsprung haben. Außerdem konnten sich die Industrieländer ohne die Einschränkungen entwickeln, welche die Freihandelsabkommen für die lateinamerikanischen und karibischen Länder beinhalten.

Abschließend stellt sich die Frage, ob die Rechte am geistigen Eigentum ein weiteres Teil im Getriebe zur Abschöpfung von Ressourcen und Wissen aus Lateinamerika und der Karibik durch die Zentralmächte sind, das in den Transfer von Überschüssen aus der Region in die Welt einbezogen werden könnte ‒ statt ein Element zur Verteidigung des Technologietransfer im Dienst einer gerechten sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung und eine sozialer Entwicklung zu sein.

  • 1. Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik der Vereinten Nationen