Havanna. Die Energiesituation in Kuba ist weiterhin angespannt. Nachdem das Stromnetz zunächst wiederhergestellt wurde und die Insel einige Tage mit einem moderaten, dreistelligen Defizit durchlaufen konnte, erreichten die Engpässe am Donnerstagabend 1.590 Megawatt, wie der staatliche Stromversorger UNE mitteilte.
Dies bedeutet, dass derzeit nur knapp die Hälfte des nationalen Energiebedarfs gedeckt werden kann, ähnlich wie unmittelbar vor dem landesweiten Blackout am 18. Oktober. Energieminister Vicente de la O Levy nahm am selben Tag Stellung zur aktuellen Lage.
Laut dem Bericht des Stromversorgers sind derzeit neun der insgesamt 20 Kraftwerksblöcke außer Betrieb – zwei mehr als vor dem Blackout. Dabei sind sechs Blöcke aufgrund technischer Störungen ausgefallen, während drei weitere für planmäßige Wartungsarbeiten vom Netz genommen wurden. Die Situation verschärfte sich, nachdem am Sonntag ein Block des Kraftwerks in Mariel ausgefallen war, wodurch das Defizit erstmals wieder auf vierstellige Werte stieg.
Ein Grund für die Instabilität des Stromnetzes ist der Verschleiß der veralteten Anlagen. Die meisten Kraftwerke in Kuba wurden vor Jahrzehnten gebaut und sind aufgrund der US-Wirtschaftssanktionen und fehlender Devisen immer schwieriger zu warten. Fehlende Ressourcen und der eingeschränkte Zugang zu modernen Ersatzteilen zwingen den Stromversorger UNE dazu, veraltete Techniken und Materialien einzusetzen. Das erhöht die Anfälligkeit für Ausfälle weiter. Hinzu kommt, dass das insbesondere in Zeiten knapper Devisen eingesetzte kubanische Schweröl stark schwefelhaltig ist, was den Verschleiß erhöht.
In seiner Stellungnahme in den kubanischen Nachrichten erklärte O Levy, dass die Lage derzeit wieder ernst sei. Mit dem Kraftwerk Felton in Santiago, das gerade gewartet wird, und der Céspedes in Cienfuegos sind derzeit zwei der wichtigsten Kraftwerke des Landes nicht am Netz.
"Das Netz ist angeschlagen", sagte er. Dennoch sei die Situation anders als unmittelbar vor dem Blackout. "In den sozialen Medien heißt es derzeit, dass das Stromnetz erneut kollabieren wird. Wir sagen an dieser Stelle offiziell: Die Bedingungen dafür sind nicht gegeben", so der Minister. Es gebe heute mehr Treibstoff und daher Möglichkeiten zur dezentralen Erzeugung über schwimmende Kraftwerke und Dieselgeneratoren.
Derzeit werde der nötige Treibstoff umverteilt, um diese zuschalten zu können. "Am Samstag und Sonntag werden wir eine leichte Verbesserung der aktuellen Lage sehen", versicherte O Levy.
Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, sind inzwischen erste Öllieferungen aus Mexiko eingetroffen, die Präsidentin Claudia Sheinbaum zur Unterstützung nach dem Blackout und Hurrikan Oscar angekündigt hatte. Demnach kamen am Donnerstag 412.000 Barrel Rohöl im Hafen von Cienfuegos an. Am Mittwochabend wurden weitere 67.000 Barrel, offenbar Diesel, verschifft. Sie sollen Anfang nächster Woche in Santiago de Cuba eintreffen.
"Mexiko ist jetzt von entscheidender Bedeutung, weil Venezuela seine Lieferungen an Kuba zurückgefahren hat und russisches Öl bislang nirgends zu sehen ist", sagte Jorge Piñon, leitender Wissenschaftler am Energy Center der University of Texas in Austin, das die Lieferungen verfolgt. Laut Daten der Nachrichtenagentur Reuters gingen die Lieferungen aus Venezuela von 51.000 Barrel pro Tag 2023 auf 27.000 Barrel zurück. Kubas Verbrauch liegt bei etwa 120.000 Barrel pro Tag.
Die am 17. Oktober beschlossenen Notfallmaßnahmen, nach denen alle nicht-essentiellen Aktivitäten eingestellt werden müssen, wurden nach der Wiederherstellung des Stromnetzes nicht weiter umgesetzt. Nachtclubs und andere Großverbraucher bleiben weiterhin geöffnet. Das hohe Energiedefizit führt jedoch zu langanhaltenden, oft mehr als zwölf Stunden dauernden Stromabschaltungen, die weit über die geplanten Abschaltzyklen hinausgehen. Hinzu kommen häufige Spannungsschwankungen, die die Gefahr von Schäden an elektrischen Geräten erhöhen. Besonders angespannt ist die Lage im Zentrum und Osten des Landes, wo die Bevölkerung zunehmend unter den Einschränkungen leidet.
Präsident Miguel Díaz-Canel stattete indes im Lauf der Woche mehreren Provinzen Besuche ab. Darunter auch Guantánamo, wo die Zahl der Todesopfer nach Hurrikan Oscar auf mittlerweile acht gestiegen ist.
Bei den Besuchen rückten Medien neue Solarparks in den Fokus, die sich vielerorts im Aufbau befinden. In den kommenden zwei Jahren sollen 2.000 Megawatt an Solarleistung installiert werden. So sollen beispielsweise in Bayamo vier Parks entstehen, mit denen die Provinz Granma 80 Prozent ihres Strombedarfs decken könnte. Der erste der geplanten Parks mit einer Leistung von 21,8 Megawatt wird voraussichtlich im April 2025 eingeweiht.
Kuba plant, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 auf 37 Prozent auszubauen und später weiter zu erhöhen. Bislang liegt die Insel jedoch weit hinter den selbst gesteckten Zeitplänen, die erstmals 2014 konkretisiert wurden. Aktuell liegt der Anteil der erneuerbaren Energien bei rund fünf Prozent.
Das Stromnetz erlebte am 18. Oktober einen vollständigen Blackout (amerika21 berichtete). Es war der erste derartige Ausfall, der nicht durch einen Hurrikan verursacht wurde. Wie Experten des Stromversorgers erklärten, führte der unerwartete Ausfall des Kraftwerks Guiteras an diesem Tag zu einem zu hohen Defizit, das aufgrund des Treibstoffmangels nicht durch die 2005 angeschafften Generatorengruppen ausgeglichen werden konnte. Mit deren Hilfe und durch konstante Versorgung aus Venezuela konnten Anfang der 2000er Jahre die Stromausfälle der 1990er Jahre überwunden werden. Heute kommt neben dem Treibstoffmangel hinzu, dass auch viele der Dieselgeneratoren mangels Ersatzteilen nicht einsatzbereit sind.
Außenminister Bruno Rodríguez machte bei seiner Rede vor den Vereinten Nationen dafür auch die anhaltende US-Wirtschaftsblockade gegen die Insel verantwortlich. Insbesondere die von Ex-US-Präsident Donald Trump ab 2019 eingeführten Verschärfungen, wie die Listung Kubas als "Staatssponsor des Terrorismus", erschwerten den Erwerb von Treibstoff und Ersatzteilen massiv, sagte Rodríguez.