Argentinien: Aufstand der Staatsangestellten in der Provinz Misiones

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Versammlung von Arbeiter:innen zur Diskussion über politischen Streik
Die Streiks in Misiones werden breit diskutiert und unterstützt

Posadas. In der argentinischen Provinz Misiones hat sich in den letzten zehn Tagen der erste organisierte Widerstand gegen die neoliberale Regierung von Javier Milei entwickelt.

Die sinkende Nachfrage und die Steigerung der Preise in den vergangenen sechs Monaten um circa 80 Prozent sowie die Einfrierung der Geldtransfers seitens der Zentralregierung haben die bislang schon prekäre Lage der Arbeitnehmer:innen im öffentlichen Sektor weiter verschärft.

Mit dem zweitniedrigsten Einstiegsgehalt des Landes (rund 200 Euro im Monat) leiden die Staatsangestellte besonders unter der Inflation. Durch die seit August 2023 eingefrorenen Löhne und Gehälter haben sie den größten Teil Ihrer Kaufkraft verloren. Dabei halfen auch die drei Erhöhungen der Grundgehälter in den letzten vier Monaten kaum weiter.

Die Streichung des von der Regierung unter Präsident Néstor Kirchner 2003 eingeführten Nationalen Fonds zur Förderung von Lehrern (Fonid) durch die Milei-Regierung verschlechterte die bereits mangelhafte Einkommensstruktur.

Richtungsweisend zu Beginn der aktuellen Protestwelle waren die Aktionen von Gewerkschaften der Lehrer:innen Mitte Mai wegen ihrer sehr niedrigen Gehälter.

Üblicherweise werden solche Streiks und Protestaktionen in argentinischen Provinzen von der jeweiligen Lokalpolizei mehr oder weniger gewaltsam aufgelöst. Aber in Misiones mobilisierten sich zeitgleich zu den Lehrkräften auch Polizist:innen.

Obwohl eine gewerkschaftliche Organisation innerhalb der Polizei landesweit verboten ist, gelang es Polizeibediensteten und ihren Familienangehörigen, den Protest sichtbar zu machen und auf die Straße zu tragen.

Im Verlauf der folgenden Tage beteiligten sich auch die Angestellten des Gesundheitswesen und der öffentlichen Stromversorgung an der Streikwelle. Besonders brisant wurde die Lage, als protestierende Polizist:innen die Funkeinsatz-Zentrale der Polizei belagerten.

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Die Zentralregierung bot den Einsatz der Grenzpolizei zum Auflösen der Demonstrationen an, aber die Provinzregierung lehnte dies ab. Die Polizist:innen forderten eine Gehaltserhöhung von 100 Prozent. Nach 13 Tagen Belagerung vereinbarten sie mit der Exekutive der Provinz eine Erhöhung um 50 Prozent.

Andere Staatsangestellte und Lehrkräfte beharren aktuell weiter auf ihren Forderungen.

Die subtropische Provinz Misiones befindet sich 1.000 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Buenos Aires im argentinischen Nordosten, mit Grenzen zu Paraguay und Brasilien.

Die Wirtschaftsstruktur ist stark von der Verarbeitung und dem Handel mit heimischen Erzeugnissen wie Holz, Papier, Matetee und vom Tourismus abhängig. Die Provinz mit nur 1,3 Millionen Einwohner und einer Fläche ungefähr so groß wie Belgien leidet stark unter dem Zusammenbruch der Binnennachfrage seit Dezember 2023.

Misiones galt bisher eher als eine relativ stabile Provinz. Seit Dezember 1999 bestimmt der heutige Provinzabgeordnete Carlos Rovira die Politik dort. Zwischen 1995 und 1999 war er Bürgermeister der Provinzhauptstadt Posadas, am 10. Dezember 1999 übernahm er als Kandidat der Partido Justicialista das Amt des Gouverneurs. Aufgrund seiner bisherigen Rolle gilt er eher als ein traditionell peronistischer "Caudillo" .

Nach dem Zusammenbruch des Finanzsystems von 2001 bildete Rovira auf provinzieller Ebene eine Koalition mit Teilen der bürgerlichen Union Civica Radical und der Frente de la Concordia und blieb so im Amt bis 2007. Nach einem gescheiterten Versuch, für seine mögliche Wiederwahl die Provinzverfassung zu ändern, zog er sich in die Abgeordnetenkammer zurück, die er zwischen 2007 und Dezember 2023 leitete.

Alle nach 2007 gewählten Gouverneure waren Kandidaten der Koalition von Rovira und er sicherte sich durch taktisches Geschick die Unterstützung der jeweiligen Zentralregierungen. Die Wahl von Milei im November 2023 zerstörte aber durch die Rezession und die radikale Streichung aller Zuwendungen an die Provinzen diese politisch-ökonomische Machtbasis.