Bolivien / Politik

Termin für Volkszählung in Bolivien ist nun Gesetz

Die rechte Opposition muss einlenken. Strafverfahren gegen Gouverneur von Santa Cruz und andere wegen Schäden durch Streik. Der Konflikt um Boliviens plurinationale Verfasstheit wird weitergehen

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Abstimmung im Senat
Der Senat stimmt über das Gesetz zur Volkszählung ab

La Paz. Nach der Abgeordnetenkammer hat nun auch der Senat von Bolivien das Gesetz zur Volkszählung verabschiedet und in die Verfassung aufgenommen. 21 von 36 Senator:innen stimmten am Dienstag in einem Eilverfahren für den Gesetzesentwurf, der nun zur offiziellen Verkündung Präsident Luis Arce vorgelegt wird.

Das Gesetz folgt dabei inhaltlich dem Präsidialdekret 4824 vom 11. November, welches den 23. März 2024 als Datum des Zensus festschreibt sowie die Neuverteilung von Finanzmitteln und Parlamentssitzen regelt. Die Ergebnisse der Volkszählung müssen zudem laut Gesetz bis September 2024 durch das Nationale Statistikinstitut (INE) veröffentlicht werden, um als Berechnungsgrundlage für die Präsidentschaftswahl 2025 zu dienen. Damit erfüllt es alle wesentlichen Forderungen der rechten Opposition, die diese als Gründe für den wochenlangen Streik vorbrachte. 

Nach 36 Tagen Streik im Departamento Santa Cruz und vier Toten, gewaltsamen Zusammenstößen, rassistischen Übergriffen und einem Wirtschaftsschaden von rund 1,2 Milliarden US-Dollar beginnt parallel die juristische Aufarbeitung der Geschehnisse. Wie Generalstaatsanwalt Juan Lanchipa am Mittwoch mitteilte, seien Strafverfahren gegen die drei Hauptakteure des Streiks, Gouverneur Luis Fernando Camacho, den Präsident des Bürgerkomitees Rómulo Calvo und den Rektor der Autonomen Universität Gabriel René Moreno (Uagrm) Vicente Cuéllar eingeleitet worden. Es geht um eine mögliche justiziable Schuld für die finanziellen wie materiellen Schäden seitens der drei Urheber des Streiks.

Auch Édgar Montaño, Minister für öffentliche Arbeiten und Wohnungsbau, erklärte angesichts durch Anhänger:innen der Opposition zerstörter Infrastruktur eine Strafanzeige gegen Camacho und Calvo zu stellen. Zuvor hatte bereits der Gewerkschaftsbund Bolivianischer Landarbeiter (Csutcb) die drei Oppositionellen wegen des Brandanschlags auf ihr Regionalbüro in Santa Cruz durch die rechte Jugendgruppe Unión Juvenil Cruceñista angezeigt.

Trotz der Erleichterung über das Gesetz und das Ende des Streiks fällt bei vielen Senator:innen und Vertreter:innen sozialer Verbände die Freude verhalten aus. Senator Leonardo Loza von der Regierungspartei Movimiento al Socialismo (MAS) sprach angesichts des Gesetzesentwurf etwa von einer "monumentalen Lüge" der Führer von Santa Cruz und stimmte gegen das Gesetz. Ähnlich äußerte sich MAS-Senatorin Gladys Alarcón, die im Gesetz eine "falsche Illusion" und den Glauben bei Vielen ausmachte, die "Gemüter von Calvo, Cuéllar und Camacho" damit zu beruhigen, obwohl diese im kommenden Jahr ihre Mobilisierungen fortsetzen werden.

Tatsächlich ließ Camacho bereits vergangene Woche nach dem Ende des Streiks verlauten, dass er mit Blick auf die Wahlen 2025 seine Forderungen nach einem föderalen System für Bolivien mit allen Mitteln durchsetzen wird. Als wirtschaftsstärkstes und bevölkerungsreichstes Departamento strebt Santa Cruz schon seit längerem nach mehr Autonomie im plurinationalen und zentralistisch verfassten Andenstaat.

Der Konflikt begann bereits mit der Wahl von Evo Morales in das Präsidentenamt im Jahr 2005. Damit führte zum ersten Mal seit der spanischen Kolonisation im 16. Jahrhundert ein Repräsentant der indigenen Bevölkerungsmehrheit die Geschicke des Landes. Die neue Verfassung von 2009, die vom bolivianischen Volk mit deutlicher Mehrheit angenommen wurde, bestimmte das Land als Plurinationaler Staat Bolivien, anerkannte Kultur und Sprache der 36 verschiedenen indigenen Ethnien des Landes und erlaubte erstmals die volle staatsbürgerliche Präsenz der indigenen Mehrheit.