Brasilien / Politik

Brasilien: Demokratische Regierungsübergabe, anhaltende Proteste von Ultrarechten

Bolsonaro empfängt Lulas Vize Alckmin, um Wechsel zu besprechen. Seine Anhänger:innen gehen weiter auf die Straße und fordern Streitkräfte zum Putsch auf

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Bolsonaro-Anhänger:innen bei einer Kundgebung in São Miguel do Oeste im Bundesstaat Santa Catarina (Video-Screenshot Soziale Netzwerke)
Bolsonaro-Anhänger:innen bei einer Kundgebung in São Miguel do Oeste im Bundesstaat Santa Catarina (Video-Screenshot Soziale Netzwerke)

Brasília. In Brasilien hat der Übergabeprozess der Regierungsgeschäfte von Jair Bolsonaro an seinen Nachfolger Luiz Inacio “Lula” da Silva am gestrigen Montag formell begonnen.

Vor der Stichwahl am 30. Oktober befürchteten Viele, dass Bolsonaro die Wahl im Falle einer Niederlage nicht anerkennen würde. Beinahe 48 Stunden nach der offiziellen Verkündung der Wahlergebnisse, die Lula einen Sieg von 50,9 zu 49,1 Prozent der Stimmen brachten, meldete sich der amtierende Präsident knapp zu Wort und ließ anschließend seinen Stabschef eine Erklärung verlesen, in der dieser bekannt gab, dass die Regierungsübergabe vorbereitet werde.

Letzte Zweifel an der Bereitschaft Bolsonaros, daran mitzuwirken, zerstreuten sich am vergangenen Samstag, als er Lulas Vizepräsidenten Geraldo Alckmin persönlich in seiner Residenz empfing. Das Treffen sei positiv verlaufen, der amtierende Präsident habe betont, die Regierung werde alle Informationen weitergeben, "damit es einen vom öffentlichen Interesse geleiteten Übergang gibt", sagte Alckmin.

Die Vorsitzende der Arbeiterpartei (PT), Gleisi Hoffmann, und der Programmkoordinator der neu gewählten Regierung, Aloizio Mercadante, besuchten zuvor bereits den gewählten Ort für die Regierungsübergabe, das Kulturzentrum Banco do Brasil in der Hauptstadt Brasília. Dort werden Delegierte des gewählten Präsidenten da Silva unter der Leitung von Alckim mit Mitgliedern der scheidenden Regierung sprechen.

Hoffmann verkündete außerdem, dass kommende Woche das gesamte Übergabeteam von insgesamt 50 Personen ausgewählt werden soll. Dafür soll auch Lula selbst nach Brasília kommen.

Während der Transition, die gesetzlich vorgeschrieben ist, soll die neu gewählte Regierung schon vor dem Amtsantritt am 1. Januar detaillierte Informationen zum Stand der Dinge in verschiedenen Bereichen wie Wirtschaft oder Gesundheit von der aktuellen Regierung erhalten. Mitglieder des Übergabeteams sollen außerdem schon temporäre öffentliche, speziell zu diesem Zweck geschaffene Ämter besetzen. Mit dem Gesetz von 2002 ist der gewählte Präsident nicht mehr vom guten Willen der scheidenden Regierung abhängig, Dokumente, auch geheime, aus den letzten vier Jahren an ihn weiterzugeben.

Gleichzeitig verhandelt Lulas Team bereits jetzt mit dem Kongress über einen Vorschlag zur Verfassungsänderung: Die verfügbaren Ausgaben für das nächste Jahr sollen erhöht werden, damit die neue Regierung ihr Wahlversprechen, die Nothilfe (Auxilio Brasil) von 600 Real beizubehalten, einhalten und im Januar sofort umsetzen kann. Das Programm soll außerdem wieder seinen ursprünglichen Namen "Bolsa Familia" erhalten.

Während auf offizieller Seite der demokratische Prozess gesetzestreu abzulaufen scheint, finden weiterhin Proteste und antidemokratische Aufrufe von Bolsonaro-Anhänger:innen statt. Die blockierten Autobahnen sind zwar weitestgehend geräumt, doch halten weiterhin einige Brasilianer:innen "Mahnwachen" vor Kasernen ab und behaupten, es habe Wahlbetrug gegeben. Viele befinden sich dort seit vergangenem Mittwoch (in Brasilien Allerseelen-Feiertag) und fordern eine "Intervention auf Bundesebene" der Streitkräfte. Einige von ihnen zeigten außerdem den Hitler-Gruß.

Der Historiker Valério Arcary, beurteilte die Vorgänge im Gespräch mit Brasil de fato: "Im Allgemeinen gehen diese Demonstrationen von einem radikaleren aktivistischen Sektor aus. Der Bolsonarismus ist eine neofaschistische Strömung, die innerhalb der breiter aufgestellten brasilianischen Ultrarechten die Vorherrschaft hat. Sie steht mit einem Fuß in der Legalität und mit einem Fuß außerhalb. Was wir diese Woche erlebt haben, wird sich wiederholen. Bolsonaro erlitt eine Wahlniederlage, aber der Bolsonarismus im Allgemeinen ist intakt".

Er deutete außerdem auf die zweideutige, vermutlich absichtlich vage gehaltene Rede Bolsonaros nach seiner Niederlage hin. Der amtierende Staatschef bat seine Unterstützer:innen zwar, sich an die Verfassung zu halten, doch versicherte er, grundsätzlich seien alle Proteste willkommen. Gleichzeitig rief sein Sohn Eduardo Bolsonaro öffentlich zu Demonstrationen vor den Kasernen auf.

Der Präsident des Obersten Wahlgerichtes, Alexandre de Moraes, fand für die Aktionen der radikalisierten Bolsonaro-Anhänger:innen klare Worte: Das Wahlergebnis sei "unanfechtbar" und "diejenigen, die die Ergebnisse nicht akzeptieren, die antidemokratische Handlungen begehen, werden wie Kriminelle behandelt".