Mexiko: Julian Assange zum "Ehrengast" der Hauptstadt ernannt

Regierungschefin von Mexiko-Stadt übergibt Schlüssel der Stadt an Angehörige von Assange. Offener Brief von zahlreichen Persönlichkeiten aus Lateinamerika an britische Premierministerin fordert Freilassung

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In Lateinamerika ist die Solidarität mit dem Wikileaks Gründer groß, zahlreiche Initiativen fordern seine Freilassung
In Lateinamerika ist die Solidarität mit dem Wikileaks Gründer groß, zahlreiche Initiativen fordern seine Freilassung

Mexiko-Stadt. Julian Assange, Gründer von Wikileaks und Gefangener in London, von wo aus er an die USA ausgeliefert werden soll, ist symbolisch zum "Ehrengast" (huésped distinguido) von Mexiko-Stadt ernannt worden.

Claudia Sheinbaum, Regierungschefin der Hauptstadt und Mitglied der Morena-Partei von Präsident Andrés Manuel López Obrador (Amlo), übergab den für Assange bestimmten Schlüssel der Stadt am Mittwoch an seinen Vater John Shipton und seinen Bruder Gabriel.

Beide halten sich derzeit in Mexikos Hauptstadt auf, wo sie als "besondere Gäste" des Präsidenten an den Festivitäten zur Unabhängigkeit Mexikos am 15. und 16. September teilnehmen und bei zahlreichen Solidaritätsveranstaltungen auftreten.

Sheinbaum versicherte, dass es eine Ehre sei, dem Gründer von Wikileaks den Schlüssel der Stadt zu übergeben. Die Ciudad de México sei immer gastfreundlich und fortschrittlich gewesen und habe "die großen Freiheiten verteidigt". Deshalb sei er dort willkommen. "Für uns verkörpert Julian Assange das Recht auf freie Meinungsäußerung und dieses Recht darf nirgendwo auf der Welt verfolgt werden."

Der Sprecher der mexikanischen Regierung, Jesús Ramírez, sagte, bei Assanges Kampf gehe es auch um die Verteidigung des Rechts auf Information, nicht nur angesichts von Falschmeldungen und Informationsmanipulation, sondern auch von Algorithmen und technologischen Mitteln, mit denen Nachrichten versteckt und die öffentliche Meinung manipuliert werden. Er hoffe, das Angebot Mexikos, Assange politisches Asyl und im Fall einer Freilassung Zuflucht zu gewähren, werde "von den USA berücksichtigt", so Ramírez.

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Gabriel und John Shipton (links im Bild) mit Claudia Sheinbaum, Regierungschefin von Mexiko-Stadt
Gabriel und John Shipton (links im Bild) mit Claudia Sheinbaum, Regierungschefin von Mexiko-Stadt

Die Haltung von López Obrador, die US-Regierung zu konfrontieren und dem Journalisten Asyl zu gewähren, "findet in der ganzen Welt Widerhall", betonte Assanges Vater bei einer Veranstaltung im Senat. Abgeordnete der Regierungspartei Morena versprachen, sich vom Kongress aus für die Freilassung des Journalisten einzusetzen.

"Wir sagen, dass López Obrador das Eis gebrochen hat", erklärte Gabriel Shipton, denn auch andere Staatsoberhäupter aus Chile, Kolumbien und Bolivien hätten dann die Freilassung von Assange gefordert. Shipton wies darauf hin, dass in den meisten Parlamenten der Welt gefordert wurde, die Anklagen gegen Assange fallen zu lassen, und er bat die Morena-Abgeordneten, "ihren Kollegen im US-Senat mitzuteilen, wie sie die ungerechte Verfolgung" seines Bruders sehen.

Während seines Vortrags an der Universidad Nacional Autónoma de México betonte John Shipton, dass Assange, obwohl er sich keines Verbrechens schuldig gemacht habe, seit mehr als 13 Jahren einer "grausamen und bösartigen Behandlung" ausgesetzt sei, weil er die von Washington begangenen Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan aufgedeckt hat.

Gabriel Shipton führte aus, dass die Gerichtsverfahren gegen seinen Bruder von Anfang an nicht korrekt gewesen seien. Es gebe aber immer noch die Chance , dass der Oberste Gerichtshof Großbritanniens die Auslieferung an die USA verhindere, nachdem vor zwei Wochen eine entsprechende Berufung zugelassen wurde.

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"Die Befreiung von Julian Assange, ein Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit": Ankündigung der Veranstaltung an der Unam
"Die Befreiung von Julian Assange, ein Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit": Ankündigung der Veranstaltung an der Unam

Ebenfalls am Mittwoch wurde ein offener Brief an die neue britische Premierministerin Liz Tuss publik, den Manuel Zelaya, Ex-Präsident von Honduras und derzeit Vorsitzender des Netzwerks "Antiimperialistische Internationale der Völker zur Verteidigung von Mensch und Natur" verfasst hat und den zahlreiche Persönlichkeiten aus Lateinamerika unterzeichnet haben.

Zelaya fordert von Tuss die Überprüfung der Auslieferung an die USA und die sofortige Freilassung von Assange. Er schließe sich damit den Stimmen von Menschenrechtsorganisationen und zahlreicher politischer und kultureller Persönlichkeiten aus Lateinamerika und der Welt an. Sein Gesuch stütze er auf humanitäre Gründe, da die lange Haft und die derzeitigen Haftbedingungen die Gesundheit des Journalisten "ernsthaft beeinträchtigt haben"; aber auch auf Gründe, die nicht nur vor der Verletzung der Rechte von Assange, sondern vor der Verletzung der Rechte der gesamten Weltgesellschaft warnen, heißt es in dem Schreiben.

Wenn die britische Regierung Assange ausliefere, bestehe das Risiko einer 175-jährigen Haftstrafe, was angesichts seines derzeitigen Gesundheitszustands "praktisch ein Todesurteil bedeutet". Die Auslieferung wegen politischer Straftaten sei zudem sowohl nach britischem als auch nach europäischem Recht verboten. Er habe keine Zweifel daran, dass es "in einem Prozess, in dem der Gefangene im Voraus verurteilt wird, absolut keine Garantien gibt", so der Ex-Präsident.

Er sei überzeugt, dass das größte Verbrechen von Assange darin bestehe, dass er "der Welt die Wahrheit über eine Reihe von Ereignissen offenbart hat, die zumindest die Verletzung des Völkerrechts und der Rechte der Völker auf Sicherheit und Frieden belegen". Zelay weist darauf hin, dass er selbst Opfer eines solchen Rechtsverstoßes war: Er wurde 2009 von der konservativen Elite mit Hilfe des Militärs gestürzt, "wobei die Einmischung einer ausländischen Macht später durch die von Wikileaks freigegebenen Dokumente bestätigt wurde" (amerika21 berichtete).

Mit Blick auf Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit garantiert, stelle sich die Frage, "ob die Offenlegung der Wahrheit eine Bedrohung für die Sicherheit der Unterzeichnerstaaten dieser Erklärung darstellen kann", so Zelaya..

Die andauernde Inhaftierung und drohende Auslieferung einer Person, "die kein Verbrechen begangen hat, die nicht die Bombardierung von Dörfern oder den Sturz von Regierungen befohlen hat", stellten dagegen "eine reale Bedrohung für die Pressefreiheit und das Recht des Volkes auf Information dar".

Schließlich appelliert Zelaya an Tuss: "In dieser dramatischen Zeit, die die Welt erlebt, die von einem neuen globalen Konflikt bedroht ist und mit der jüngsten Ernennung Ihrer Exzellenz in ein so hohes Regierungsamt zusammenfällt, erwarten die Völker von den Anführern der großen Nationen Gesten der Größe."

Sie habe jetzt die Gelegenheit zu einer solchen Geste.