Kolumbien / Politik

Gewinnt der Linke Petro die Stichwahl in Kolumbien oder der Kandidat der Rechten?

Rechtspopulist braucht die Stimmen der traditionellen Rechten, schwächt damit aber seine Selbstdarstellung als unabhängig von den abgewählten Eliten

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Hernández stellt sich bei Twitter als "künftiger Präsident Kolumbiens" und "El rey del Tiktok" dar, der "nur dem Volk verpflichtet ist"
Hernández stellt sich bei Twitter als "künftiger Präsident Kolumbiens" und "El rey del Tiktok" dar, der "nur dem Volk verpflichtet ist"

Bogotá. Gustavo Petro hat im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 40,32 Prozent (8,5 Millionen) der Stimmen erreicht, mehr als je ein linker Kandidat zuvor und rund zwölf Prozent mehr als sein Rivale für die Stichwahl, Rodolfo Hernández. Trotzdem ist vielen seiner Wähler:innen nicht zum Feiern zumute, sie hofften auf einen Sieg in der ersten Runde.

Noch am Abend seiner Niederlage drückte der rechte Präsidentschaftskandidat Federico Gutiérrez seine Unterstützung für Hernández aus, ebenso prominente Politiker:innen wie José Obdulio Gaviria, Paloma Valenica und María Fernanda Cabal, die dem ehemaligen rechten Präsidenten Álvaro Uribe Vélez nahestehen. Nach Rechnung der Rechten würden die Stimmen von Hernández und Gutiérrez ausreichen, um im zweiten Wahlgang den Sieg gegen Petro zu holen.

Das vom "Pacto Histórico", dem Mitte-Links-Bündnis um Petro erzielte Wahlergebnis ist ein Novum für die kolumbianische Linke: Noch nie gelang es ihr, so viele Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen zu erzielen. Petro verdoppelte die Stimmen aus den letzten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2018 nahezu. Nun fehlen ihm etwa 1,6 Millionen Stimmen für einen Sieg in der Stichwahl.

Parallelen lassen sich allgemein zur Stimmabgabe beim Plebiszit über das Friedensabkommen mit der Farc-Guerilla im Jahr 2016 ziehen. Während Hernández aktuell in den Gebieten dominierte, wo seinerzeit das ‘Nein‘ gewann, wählten die Menschen Petro in Gebieten, wo das Abkommen überwiegend Zustimmung erfuhr. Besonders vom bewaffneten Konflikt und sozialer Ungleichheit betroffene Departamentos wie Cauca, Putumayo, Chocó, Nariño oder La Guajira stimmten klar für den Pacto Histórico.

Der Kandidat Rodolfo Hernández zieht unerwartet in die Stichwahl ein. Die traditionellen liberalen, konservativen und rechten Parteien im Land unterstützten zunächst den ehemaligen Bürgermeister von Medellín, Federico Gutiérrez. Dass rund 28 Prozent der Wähler:innen für Hernández und 40,3 Prozent für Petro stimmten, kann als Niederlage des traditionellen rechten ‘Uribismus‘ gewertet werden, dessen Regierungspolitik Kolumbien die letzten 20 Jahre entscheidend prägte. Die Politik des ehemaligen Präsidenten Uribe, seine kompromisslose Haltung gegenüber dem Friedensprozess, die Militarisierung großer Teile des Landes sowie die Zusammenarbeit mit paramilitärischen Gruppen und Drogenkartellen, forderte unzählige Todesopfer und vergrößerte die soziale Ungleichheit und Armut großer Teile der Bevölkerung. Der amtierende Präsident Iván Duque führte diese Politik fort und wird vielfach als der schlechteste Präsident in der Geschichte Kolumbiens angesehen.

Hernández präsentierte sich im Wahlkampf, den er überwiegend im sozialen Netzwerk TikTok führte, als unkonventioneller Außenseiter und versprach, die Korruption im Land zu bekämpfen.

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Hernández konzentriert sich jetzt in den Sozialen Netzwerken darauf, sich vom Uribismus abzusetzen
Hernández konzentriert sich jetzt in den Sozialen Netzwerken darauf, sich vom Uribismus abzusetzen

Entgegen seiner Selbstdarstellung zeigt er jedoch programmatisch keineswegs eine Alternative zur traditionellen Politik auf. Vielmehr instrumentalisiere er rhetorisch die Hoffnung vieler Menschen auf einen politischen Wandel, so die verbreitete Kritik. Frauenfeindliche und rassistische Äußerungen, laufende Korruptionsverfahren, seine Bewunderung für Adolf Hitler oder das Fehlen eines konkreten Wahlprogramms, standen seiner Popularität bisher jedoch nicht im Wege (amerika21 berichtete).

Hernández warb bereits für autoritäre Reformen. Er würde nach eigenen Angaben bei einem Wahlsieg den Ausnahmezustand verhängen, um einen grundlegenden Umbau des Staates zu ermöglichen. Außerdem plane er eine Freihandelszone zwischen Riohacha und Santa Martha ‒ in indigenen Gebieten der Karibikküste ‒ einzurichten, um dort einen Sporthafen und Hotels zu bauen.

In Hernández' schnellem Erfolg liegt laut Analysten allerdings auf die Stichwahl zu auch eine große Chance für Petro und die Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, Francia Márquez: Die Protestwähler:innen von Hernández stimmten für ihn in der Hoffnung auf einen Wandel. Dass er jetzt von den traditionellen politischen Sektoren offen unterstützt wird, stellt diese Inszenierung in Frage und könnte Wähler:innen zu Petro überlaufen lassen.

In den Wochen bis zur Stichwahl am 19. Juni muss es Petro und Márquez gelingen, eine breite Allianz gegen den ‘kolumbianischen Trump‘ genannten Kandidaten zu bilden. Mit Guillermo Rivera, dem Innenminister unter der Regierung von Juan Manuel Santos, und Griselda Restrepo, ehemalige Arbeitsministerin, haben sich bereits wichtige Persönlichkeiten aus dem liberalen Sektor der Wahlkampagne des Pacto Histórico angeschlossen.

Ferner gilt es nun auch Nichtwähler:innen zu aktivieren. Die Wahlbeteiligung lag lediglich bei 54 Prozent und war bei Kolumbianer:innen im Ausland sogar noch deutlich niedriger.