Honduras / Politik

Honduras "an der Schwelle zu einem Staatsstreich"

Institutionelle Krise durch zwei gewählte Kongresspräsidenten. Spaltung und Ausschlüsse in der Libre-Partei. Tausende Honduraner:innen protestieren auf den Straßen

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Am Samstag versammelte sich die Bevölkerung vor dem Nationalen Kongress in Tegucigalpa
Am Samstag versammelte sich die Bevölkerung vor dem Nationalen Kongress in Tegucigalpa

Tegucigalpa. Am Sonntag ist der Abgeordnete Luis Redondo von der Partei Salvador de Honduras (PSH) zum Präsidenten des neuen Nationalkongresses gewählt worden. Für ihn stimmten jedoch nur 48 Abgeordnete: 32 von der Partei Libertad y Refundación (Libre), zehn von der PSH, fünf von der Liberalen Partei (PLH) und einer von der Democracia Cristiana de Honduras (DCH).

Zur gleichen Zeit stimmten für dieselbe Funktion in Bosques de Zambrano, außerhalb der Hauptstadt, 44 Abgeordnete der konservativen Nationalen Partei (PNH) zusammen mit 18 abtrünnigen Libre-Abgeordneten und 17 Abgeordneten der Liberalen Partei für Jorge Calix, ein ehemaliger Libre-Abgeordneter.

Calix sollte schon am Freitag vereidigt werden. Dieser Versuch war im Kongress von Tumulten begleitet. Die Sitzung wurde abgebrochen. Noch am selben Abend wurden die 18 Abtrünnigen aus der Partei Libre ausgeschlossen. Drei Abgeordnete zogen ihre Entscheidung zurück.

Warum so viele Libre-Abgeordnete mit ihren jahrelangen Widersachern paktieren, erschließt sich den Beobachter:innen noch nicht. Rechnerisch hätten die 50 Libre-Abgeordneten zusammen mit der PSH und einigen Abgeordneten der PLH eine einfache Mehrheit im 128-köpfigen Kongress erlangt. Nun ist Libre nur noch mit 32 Sitzen vertreten, was die Regierungsarbeit der designierten Präsidentin Xiomara Castro deutlich erschweren dürfte.

Am Samstag folgten Tausende Honduraner:innen dem Aufruf von Castro zu einer Mahnwache vor dem Parlament. "Die Mahnwache soll die Übernahme des Nationalkongresses verhindern und die Zweiparteienherrschaft des Diktators Juan Orlando Hernández [scheidender Präsident von Honduras] mit direkter Komplizenschaft einiger verräterischer Abgeordneter, die vom Volk unter unserer Flagge gewählt wurden, zurückweisen", begründete Castro ihren Aufruf. Honduras nächste Präsidentin erklärte, dass sie einen Kongressvorsitz unter Calix nicht akzeptiere. Gewerkschaftsmitglieder der Nationalen Druckerei (ENAG) schützten Sonntagnacht die Druckerei und erklärten, dass sie die offizielle Zeitung La Gaceta mit Calix' Wahl nicht drucken würden.

Ismael Moreno, Jesuit und Direktor von Radio Progreso, beschreibt die aktuelle Situation: "Juan Orlando Hernández und seine Mafia sind aktiver denn je. Sie nutzten die triumphale Euphorie, um die Demokratie innerhalb der Partei Libre zu untergraben. Heute stehen wir an der Schwelle zu einem Staatsstreich."

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Die Wahl von Luis Redondo zum Präsidenten des Kongresses
Die Wahl von Luis Redondo zum Präsidenten des Kongresses

Der honduranische Anwalt Joaquin Mejía erklärt gegenüber amerika21, dass beide Wahlvorgänge, sowohl von Calix als auch von Redondo, Verfahrensmängel aufweisen und gegen das Gesetz verstießen. Das normale Prozedere der Wahl einschließlich der Verlesung von Anträgen und Reden der Abgeordneten konnte nicht durchgeführt werden. "Aber mehr noch die Wahl von Jorge Calix. Es handelt sich nicht nur um ein juristisches Problem, es hat eine politische Reichweite. Die politische Klasse hat sich in der Wählerschaft getäuscht, als ob die Wähler:innen nur im November ihre Stimmen abgeben. Sie bilden ein Gegengewicht, was sich in den spontanen Demonstrationen widerspiegelt."

Die online-Zeitung ContraCorriente wiederum äußert sich zu dem Dilemma, dass Redondo zwar nur 48 Stimmen erhielt, jedoch habe er die Legitimität der designierten Präsidentin. Hingegen wäre der Kongressvorstand unter Calix mit 79 Stimmen rechtlich abgesichert. Dieser Konflikt müsse nun von der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs gelöst werden.

Seit dem Wochenende kursieren in den sozialen Netzwerken Nachrichten, dass Calix in Verbindung zu den Sonderarbeits- und Wirtschaftszonen (Zedes) stünde. Zedes sind sogenannte Privatstädte, wobei nationales Territorium an Privatunternehmen veräußert wird und diese ihre Interessen und Entscheidungen losgelöst von jeglicher honduranischer Gesetzgebung durchsetzen. Darüber hinaus soll Calix von der zweitgrößten honduranischen Bank FICOHSA unterstützt werden. Deren Eigentümer, die Familie Atala, gehört zur mächtigen Bankiers- und Wirtschaftselite des Landes. Weiterhin kursierte ein Audio, in dem die ebenfalls ausgeschlossene Abgeordnete Margie Dip berichtet, dass Calix ihre Schulden von über 92.000 Lempira bezahlt habe.

Wie ist die Krise zu verstehen? Im Oktober 2021, noch vor den Wahlen, verzichtete Salvador Nasralla von der Partei Salvador de Honduras (PSH) auf seine Präsidentschaftskandidatur und ging zusammen mit Libre eine Wahlallianz ein. Im Falle des Sieges von Xiomara Castro solle Nasralla Vizepräsident von Honduras werden, dazu stellt die PSH den Präsidenten des Nationalkongresses. Dieses Abkommen wurde durch Calix' Kongressvorsitz unterlaufen.

Honduras hat noch immer unter den Folgen des Militärputschs im Juni 2009 zu leiden. Die Nationale Partei ist seit zwölf Jahren Regierungspartei. Ihr scheidender Präsident Hernández hat sich vor vier Jahren verfassungswidrig und unter massivem Wahlbetrug eine zweite Amtszeit verschafft. Hernández hat Kontrolle über alle Institutionen des Staates. Die Strukturen aus der Drogenkriminalität reichen bis in die Familien von Hernández und Porfirio Lobo, Hernández Vorgänger, deren Bruder bzw. Sohn rechtskräftig in den USA verurteilt sind.

Neben den prominenten Fällen gehören Abgeordnete, Bürgermeister:innen und hohe Beamte zu den Personen, gegen die die New Yorker Staatsanwaltschaft ermittelt. Honduras ist durchsetzt von Korruption, dazu kommt ein ungebremster Ausverkauf der Gemeingüter und Versuche der Privatisierung wichtiger Bereiche wie Gesundheit, Bildung, Stromversorgung, selbst der öffentlichen Straßen.

Honduras ist das zweitärmste Land Lateinamerikas, 70 Prozent der Bevölkerung sind arm. Tausende Honduraner:innen sehen keine Perspektive in ihrem Land und machen sich in Karawanen auf den Weg in die USA. Vor diesem Hintergrund haben mehr als 1,7 Millionen Wahlberechtigte im November 2021 ihre Stimme Castro gegeben.

Am 27. Januar wird sie als Präsidentin von Honduras vereidigt. Es bleibt abzuwarten wie sich die Streitkräfte bis dahin verhalten werden.