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Drohungen und Boykott bei Amtsantritt von Bolsonaro in Brasilien

Hauptstadt wurde zur Hochsicherheitszone. Kuba, Venezuela und Nicaragua ausgeladen, Benjamin Netanyahu und Viktor Orbán Gäste bei Zeremonie

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Brasiliens neuer Präsident Jair Bolsonaro mit Ehefrau Michelle und seinem Amtsvorgänger Temer
Brasiliens neuer Präsident Jair Bolsonaro mit Ehefrau Michelle und seinem Amtsvorgänger Temer

Brasília. Der ultrarechte Politiker Jair Bolsonaro hat gestern die Präsidentschaft des größten lateinamerikanischen Landes übernommen. Im Rahmen einer mehrstündigen Zeremonie in der Hauptstadt Brasília übergab ihm sein Amtsvorgänger, der De-facto-Präsident Michel Temer, die Amtsgeschäfte. Bolsonaro hatte im Oktober mit 55 Prozent der Stimmen die Stichwahl um die Präsidentschaft gegen den linken Kandidaten Fernando Haddad von der Arbeiterpartei (PT) gewonnen.

In seiner Ansprache bekräftigte er seine Absicht, den Staat auf dessen minimalste Funktionen zurückzufahren - die Aufrechterhaltung der Ordnung - und aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen. Er werde das Land "vom Sozialismus, ideolgischer Unterwerfung, der Verkehrung der traditionellen Werte, der staatlichen Gigantomanie und politischer Korrektheit befreien", so der 42. Präsident Brasiliens.

In diesem Sinn wird Bolsonaro die neoliberale Wirtschaftspolitik seines Vorgängers Temers fortsetzen. Ganz oben auf der Agenda steht eine Rentenreform, die die Altersvorsorge weitgehend privatisieren soll. Ebenso plant die neue Regierung den massiven Verkauf staatlicher Anteile an Unternehmen und den Erdölvorkommen, über die der Staat bisher die Ausgaben für das Gesundheits- und Bildungssystem finanzierte. Letzere sollen nach Wunsch des zukünftigen Wirtschaftsminister, Paulo Guedes, nach Vorbild der Wirtschaftspolitik unter dem chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet privat organisiert werden.

Zur Amtseinführung haben sich die Sicherheitskräfte wie auf einen Kriegsfall vorbereitet, berichten lokale Medien. Der Staatsminister für Innere Sicherheit, General Sérgio Etchegoyen, rechnete mit zwischen 250.000 und 500.000 Zuschauern. Aufgrund der hohen Anzahl aber auch aufgrund mehrerer, konkreter Drohungen gegen Bolsonaro waren die Sicherheitsvorkehrungen zur Amtseinführung so hoch wie noch nie. "Es ist das größte Sicherheitsprogramm, das es je in der Geschichte des Bundesdistriktes (DF) gegeben hat", teilte das Innenministerium mit. Seit Samstag waren etliche Kilometer Straßenzug gesperrt. Rund 2.600 Polizisten sicherten die Fahrt Bolsonaros ab. Das Militär war mit Panzern vor Ort und hatte Luft-Abwehr-Raketen in Stellung gebracht. De-facto-Präsident Temer erließ extra für den gestrigen Tag ein Dekret, das den Luftverkehr über der Hauptstadt Brasília teilweise verbot und den ganzen brasilianischen Lauftraum einschränkte. Das Militär erhielt Order, unbekannte Objekte abzuschießen.

Am Rande der Zeremonie kam es zu Übergiffen und Beschimpfungen gegenüber Journalisten. Mitarbeiter von Nachrichtensendern berichteten, wie Anhänger Bolsonaros sie körperlich bedrängten. Bolsonaro hatte in der Vergangenheit die traditionellen Medien immer wieder als Lügenpresse bezeichnet und ihnen gedroht, sie zu isolieren.

Am Montag startete die Polizei eine Operation, um sieben Mitglieder einer sich angeblich selbst als terroristische Vereinigung bezeichnenden Gruppierung festzunehmen. Sie soll in einem Text mit Anschlägen auf Bolsonaro gedroht und auf die Amtseinführung Bezug genommen haben. Am Weihnachtsabend entschärfte die Polizei in Brasília eine Bombe, für die sich die Gruppe auf einer Internetseite verantwortlich erklärt hatte.

An der Amtseinführung nahmen zwölf Staatsoberhäupter teil. Aus Lateinamerika reisten die Präsidenten Tabaré Vázquez (Uruguay), Evo Morales (Bolivien), Sebastián Piñera (Chile), Juan Orlando Hernández (Honduras), Mario Abdo Benítez (Paraguay) und Martín Vizcarra (Peru) an. Die Einladungen an die Regierungen von Kuba, Venezuela und Nicaragua waren zurückgezogen worden. "Die Regime, die gegen die Freiheiten ihrer Völker verstoßen und aus ideologischer Verbundenheit mit der bei den Wahlen besiegten Gruppe offen gegen die zukünftige brasilianische Regierung vorgehen, werden nicht bei der Amtseinführung sein", hatte Bolsonaro erklärt. Mexikos neuer Präsident Andrés Manuel López Obrador (Amlo) hatte mitteilen lassen, er werde persönlich nicht teilnehmen, seine Regierung wurde vom Minister für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Víctor Manuel Villalovos Arámbula, vertreten. Hingegen reisten mit Benjamin Netanyahu und Viktor Orbán zum ersten Mal der israelische bzw. ungarische Ministerpräsident an. Bolsonaro hat zuletzt international den Schulterschluss mit rechtsgerichteten und autoritäten Regierungen gesucht. Die Außenpolitik des Landes soll sich von den Süd-Süd-Kooperationen der PT geführten Regierungen der letzten Jahre unterscheiden.

Nur 46 Regierungsdelegationen nahmen an der Amtseinführung teil. Bei den PT-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, Lula und Dilma Rousseff waren es 110 bis 130. US-Präsident Donald Trump hatte eine Grußbotschaft gesendet: "Die USA sind mit Euch." Sein Außenminister Mike Pompeo nahm an der Zeremonie teil.

Die brasilianische Arbeiterpartei boykottierte die Amtsübergabe. Stattdessen haben sich in der Silvester-Nacht rund 1.500 Anhänger Lulas vor dem Gefängnis in Curitiba versammelt, um "gemeinsam mit Lula das neue Jahr mit viel Widerstand und Kampf zu begrüßen", wie es im Aufruf heißt. Da Silva sitzt seit April 2018 eine Haftstrafe wegen Korruption ab. Das Verfahren und der Gerichtsprozess waren im Land und international sehr umstritten.

Am Vorabend der Amtseinführung drohte Bolsonaro einmal mehr mit Denunziation und Selektionsprozessen im Bildungssektor. Diesen sieht er marxistisch unterwandert, wozu er die sexuelle Aufklärung oder Gesellschaftsunterricht im Sekundarbereich zählt. "Eines der Ziele ist es, Brasiliens Ranking für Bildung zu verbessern und den marxistischen Dreck zu bekämpfen, der sich im Bildungssystem breitgemacht hat", hatte eŕ per Twitter mitgeteilt. Ferner will er zeitnah den Waffenbesitz erleichtern. Bis auf Vorbestrafte soll jeder in Brasilien eine Waffe im Haushalt haben, so Bolsonaro. Mittels Dekret will er dies ohne das Parlament durchsetzen. Laut einer Umfrage vom 31. Dezember sprechen sich 61 Prozent der Brasilianer dagegen aus. Sie meinen, dass "der Waffenbesitz verboten werden sollte, weil er eine Bedrohung für das Leben anderer darstellt".