Exhumierungen und Folterzentren ‒ Kolumbien weit entfernt von Frieden

Praktiken des Terrors erinnern an Paramilitärs. Deren Hinweise führten bisher zu 9.000 Exhumierungen aus Massengräbern. Folterhäuser an der Pazifikküste

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Die kolumbianische Hafenstadt Tumaco ist immer wieder Schauplatz von Gewaltausbrüchen
Die kolumbianische Hafenstadt Tumaco ist immer wieder Schauplatz von Gewaltausbrüchen

Cali. Die Staatsanwaltschaft im südlichen Pazifikdepartement Nariño bringt Beweise für die Existenz sogenannter Hackhäuser vor. Dies sind von kriminellen Banden geführte Folterzentren. Die örtliche Polizei weist das zurück und behauptet, sie habe ausreichend Nachforschungen angestellt, jedoch ohne Resultate.

Ein Zeuge der Staatsanwaltschaft erklärte: "Wenn du einen Toten suchst, der nicht in der Gerichtsmedizin liegt, geh nach El Tigre. Zwischen Tumaco und Pasto werfen sie die zerstückelten Reste in die Mangroven. Die Mütter der Vermissten suchen dort, denn weder Polizei noch Staatsanwaltschaft betreten die Region."

Mit dieser und weiteren Aussagen wollen nun die Staatsanwaltschaft und die Ombudsstelle für Menschenrechte belegen, dass in der Pazifikregion mindestens sieben solcher Folterhäuser existieren. Sie werden laut Behörden von kriminellen Banden betrieben, die den Drogenhandel der Region kontrollieren. In Tumaco gebe es zwölf derartige Gruppierungen. Vor allem der Zugang zu rund 1.200 illegalen Ventilen der lokalen Ölpipeline ist hart umkämpft, denn das Rohöl wird zur Herstellung von Kokainmasse und für den Transport in Kleinbooten benötigt. In der Region werden auf 25.000 Hektar Koka angebaut, das sind rund elf Prozent der gesamten Anbauflächen Kolumbiens.

Der ehemalige Farc-Guerillero Walter Arizala, alias Guacho, soll einige der Folterhäuser betreiben. Kinder und Jugendliche werden dort von den neu gegründeten paramilitärischen Gruppen mit dem Namen Guerrillas Unidas del Pacífico gezwungen, Menschen zu foltern, zu schänden und zu zerstückeln, so die Staatsanwaltschaft.

Laut Medienberichten werden auch Personen bestraft, die angeblich Informationen an staatliche Stellen oder gegnerische Gangs weitergeben. Opfer sind zudem Mitglieder verfeindeter Banden.

Bis 2012 waren diese Terrorpraktiken immer wieder bekannt geworden, seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens im Jahr 2016 hat sich indes eine neue Welle der Gewalt breit gemacht. Betroffen ist vor allem die Pazifikregion um die Hafenstadt Buenaventura, jetzt jedoch auch andere Transportrouten. "Alle wissen davon, aber aus Angst spricht niemand darüber," so ein Zeuge.

Wie kompliziert die Erhebung von Beweisen und Statistiken ist, zeigen auch folgende Zahlen: Laut Gerichtsmedizin sind in der Stadt Tumaco im vergangenen Monat 21 Männer und eine Frau ermordet worden. Die örtlichen Menschenrechtsorganisationen zählen 163 Morde. Die Polizei sagt, es habe keinen Mord gegeben.

In Kolumbien sind mindestens 32.000 Fälle von Verschwindenlassen gerichtlich bekannt, die staatliche Opfervertretung spricht von 45.000 verschwundenen Menschen, das Centro Nacional de Memoria Histórica verzeichnet für den Zeitraum zwischen den 1970er Jahren und 2015 sogar 66.000. Die Zahl steigt, da trotz Friedensabkommen weiterhin Personen verschwinden.

Anfang Mai informierte die Staatsanwaltschaft zudem  dass 9.000 Körper von Opfern des bewaffneten Konflikts exhumiert wurden. Fast 4.000 der Leichen aus Massengräbern in 30 der 32 Departements seien identifiziert und rund 3.800 konnten ihren Angehörigen übergeben werden. Seit zwölf Jahren arbeitet die Staatsanwaltschaft an der Aufklärung der Fälle von Verschwundenen, über 5.000 Massengräber seien bislang bekannt.

Die Hinweise kommen häufig von den Tätern selbst, also vor allem von Paramilitärs. Diese hatten sich unter dem Gesetz 957 "Gerechtigkeit und Frieden" von Juli 2005 demobilisiert und Aussagen über Tathergänge gemacht. Fast alle damals demobilisierten Ultrarechten sind bereits wieder aus freiem Fuß, selbst wenn sie an Massakern beteiligt gewesen sind.

Während die kolumbianische Regierung jegliches Versagen und Verantwortung für die weiterhin dramatische Lage des Landes von sich weist, regt sich massive Kritik an dieser Haltung. In einem Kommuniqué erklärte sich Venezuelas Regierung solidarisch mit dem kolumbianischen Volk und drückt ihre Trauer und ihr Mitgefühl gegenüber den Angehörigen der Verschwundenen und Exhumierten aus. Journalisten bezeichnen die neuesten Informationen über Folterhäuser in Tumaco als Zeichen des Scheiterns des Friedensprozesses ‒ "Gerade in Tumaco, wo Präsident Juan Manuel Santos ein sogenanntes Laboratorium des Post-Konflikts errichtet hat," fügt ein Journalist von Silla Vacia an.

Der 27-jährige Guacho beispielsweise soll in der Region, die er als sein Stammgebiet ansieht, eine Gruppe von rund 200 Bewaffneten um sich versammelt haben und vom mexikanischen Sinaloa-Kartell unterstützt werden. Er wird auch für die Entführung und Ermordung mehrerer Personen in jüngster Zeit verantwortlich gemacht, darunter drei Journalisten aus Ecuador. Die Regierung Santos antwortet mit massiver Militarisierung: 11.000 Uniformierte jagen zusammen mit 10.000 ecuadorianischen Kollegen Gaucho und seine Drogenbande. Darunter leidet vor allem die Zivilbevölkerung, immer wieder kommt es auch zu Angriffen von Soldaten und Polizisten auf Aktivisten sozialer Bewegungen.