Kuba / USA / Menschenrechte

New York Times über Guantánamo, "wo selbst Alpträume Verschlusssache sind"

Reportage belegt dauerhafte Schäden bei den Gefangenen durch Folter im US-Lager. Fragwürdige Rolle "psychiatrischer Versorgung" und ihres Personals

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Häftling und Wärter im US-Lager Guantánamo auf Kuba
Häftling und Wärter im US-Lager Guantánamo auf Kuba. Skulptur des spanischen Bildhauers José Antonio Elvira

New York/Guantánamo. Die Tageszeitung New York Times (NYT) hat einen ausführlichen Bericht veröffentlicht, in dem die Situation der im US-Gefangenenlager in der kubanischen Region Guantánamo internierten Menschen und der dort eingesetzten Psychologen und Psychiater geschildert wird. Aus den Recherchen ergibt sich, dass Dutzende Männer, die qualvollen "Sonderbehandlungen" unterzogen wurden, mit psychologischen Problemen belastet sind, die meist Jahre andauern. Damit werden die offiziellen Zusicherungen der US-Staatsanwälte widerlegt, dass die Verhörpraktiken keine Folter darstellen und keine dauerhaften Schäden verursachen würden.

In den zahlreichen Interviews mit militärischem und medizinischem Personal, das im Lager tätig war, wird die "psychiatrische Versorgung" dort detailliert dargestellt. Demnach bestand eine "vorsätzliche Blindheit" für die Konsequenzen der Misshandlungen. Die zur Diagnose, Dokumentation und Behandlung der Auswirkungen eingesetzten psychologischen Teams wussten oft nicht, was den Patienten passiert war und durften auch nicht danach fragen. Häufig mussten sie über Zäune oder Schlitze in Zellentüren mit ihnen sprechen und Dolmetscher hinzuziehen, die an Verhören und Misshandlungen beteiligt waren.

In vorbereitenden Traingsprogrammen wurde das psychologische Personal "davor gewarnt, wie schrecklich diese Gefangenen sind", berichtete Daniel Lakemacher, der zwei Jahre als Psychiatriepfleger im Lager war. Die meisten Mitarbeiter hatten weder Erfahrung in einer Haftanstalt, noch waren sie vertraut mit den Sprachen, Kulturen oder religiösen Überzeugungen der Gefangenen, die als "die Schlimmsten der Schlimmen" hingestellt wurden. Er sei "extrem hasserfüllt und boshaft" in den Einsatz gegangen, so Lakemacher.

In der Reportage heißt es weiter: "Das US-Militär verteidigt die Qualität der psychiatrischen Versorgung in Guantánamo als human und angemessen. Häftlinge, Menschenrechtsgruppen und Ärzteberatung für Verteidigungsteams bieten kritischere Beurteilungen an und beschreiben sie in vielen Fällen als fahrlässig oder ineffektiv."

Die NYT zitiert eingesetzte Psychologen über die Verhör- und Foltermethoden: Dazu gehörten "eskalierende Drucktaktiken, einschließlich erweiterte Isolation, 20-Stunden-Verhöre, schmerzhafte Stress-Positionen, Schreien, Kapuzen und Manipulation von Ernährung, Umgebung und Schlaf". Soldaten setzten Gefangene lauter Musik, Stroboskoplicht, Kälte, Schlafentzug und schmerzhaften Fesselungen aus.

Das psychologische Personal hatte unterschiedliche Einschätzungen zum Einsatz. Die einen, wie Dr. Burney, meinen heute, "Es war der absolute falsche Weg, ich wünschte, ich könnte zurückgehen und die Dinge anders machen." Ein anderer Arzt, Dr. Kowalsky, berichtet, er habe einmal zu seiner Vorgesetzten in Guantánamo gesagt: "Wir sind hier, um Menschen zu helfen." Sie entgegnete: "Wir sind hier, um unser Land zu schützen. Auf wessen Seite bist du?"

Die Gefangenen hatten kein Vertrauen zu ihnen, sie wurden regelrecht gehasst, weil sie als Teil des Militär- und Verhörsystems angesehen wurden. Manche Psychologen äußerten Bedenken wegen der verschwommenen Grenze zwischen medizinischer Versorgung und Verhören. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) dokumentierte solche Beschwerden. Nach Recherchen der NYT wurden medizinische Akten mit den vertraulichen Anmerkungen regelmäßig benutzt, um Strategien für die Verhöre zu entwickeln, die das IKRK als "gleichbedeutend mit Folter" und eine "eklatante Verletzung der medizinischen Ethik" bezeichnete. Das Pentagon bestritt diese Vorwürfe.

Die Gefangenen wurden ohne rechtsstaatliche Verfahren festgehalten und verhört, konkrete Anklagen und Vorwürfe gab es nicht. Manche von ihnen verfielen in starke Depressionen oder bekamen andere Krankheiten und leiden noch heute darunter. In mehreren Hungerstreiks protestierten sie gegen ihre Inhaftierung, gegen Folter und Missstände in dem Lager. Obwohl die Psychologen vor Ort dagegen waren und die American Medical Association sowie internationale medizinische Organisationen es verbieten, wurden die Gefangenen einer entwürdigenden, schmerzhaften Zwangsernährung unterzogen.

Auch das Thema Selbstmord spielte eine große Rolle. Das psychologische Personal musste entscheiden, wie ernst Anzeichen zu nehmen sind und wie man reagieren solle: "Sind sie wirklich suizidal oder manipulieren sie das System?" Mehr als 600 "Selbstmordgesten" wurden in Guantánamo bis 2009 verzeichnet, 40 wurden als Selbstmordversuche kategorisiert. Drei davon bezeichnete der Kommandant des Lagers als "Akte des Krieges gegen Amerika."

Derzeit sollen noch 60 Gefangene im Lager auf der "Guantanamo Bay Naval Base" festgehalten werden. Das Gelände war im Jahr 1903 für einen Betrag von 2.000 US-Dollar (in Gold) pro Jahr an die USA verpachtet worden. Dieser Vertrag wurde 1934 auf "unbestimmt Zeit" verlängert und wird seit der Revolution 1959 von der kubanischen Regierung für nichtig erachtet. Die Rückgabe des Marinestützpunkts ist neben der Aufhebung der Blockade eine zentrale Forderung Kubas in den laufenden Verhandlungen mit den USA.

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