Lateinamerika ohne gemeinsame Linie gegenüber Brexit

Regierungen erwarten Probleme für internationale Finanzmärkte. Handel weniger betroffen. Unterschiedliche Schwerpunkte bei Integration und Freihandel

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Argentiniens Präsident Mauricio Macri
Argentiniens Präsident Mauricio Macri

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Chiles Finanzminister Rodrigo Valdés
Chiles Finanzminister Rodrigo Valdés

Santiago de Chile u.a. Der angekündigte Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ist in Lateinamerika auf ein gemischtes Echo gestoßen. Dabei wurden vor allem die Konsequenzen der erwarteten Unsicherheit bei internationalen Finanzmärkten und der Aufwertung des US-Dollar gegenüber europäischen und lateinamerikanischen Währungen thematisiert. Auch aktuelle Verhandlungen zu Freihandelsabkommen mit der EU sowie der Integrationsgedanke standen im Mittelpunkt. Die Auswirkungen auf den Handel zwischen Großbritannien und einzelnen Ländern Lateinamerikas stehen aufgrund der verhältnismäßig geringen Volumina hingegen im Hintergrund.

Während in Chile aufgrund der Finanzmarkt- und Währungsturbulenzen nur eine leichte Schwächung der Wirtschaft erwartet wird, sieht Präsident Rafael Correa die Folgen für Ecuador etwas dramatischer. "Durch die Euroskeptiker ist alles hinüber", resümierte er im Hinblick auf einen zuletzt leichten Aufschwung seines wirtschaftlich schwächelnden Landes. Aufgrund der Aufwertung des US-Dollar gegenüber dem Euro und damit steigender Exportpreise sowie weiter fallender Erdölpreise bedeutete der Brexit für Ecuador schlechte Neuigkeiten. Mexikos Finanzminister Videgaray erklärte, dass man einen weiter steigenden US-Dollar erwarte und vorbereitet sei. Der ehemalige argentinische Vize-Wirtschaftsminister Daniel Marx erwartet eine "Flucht in Sicherheit", wodurch Schwellenländern Refinanzierungsmöglichkeiten genommen würden. Dies gelte sowohl für private Unternehmen als auch für die Platzierung eigener Staatsanleihen.

Tiefgreifende Folgen für den eigenen Handel wurden auf lateinamerikanischer Seite derweil nicht erwartet, da Großbritannien im Verhältnis zur gesamten EU und zu den restlichen Handelspartnern nicht groß ins Gewicht fällt. So liegen die Anteile Großbritanniens am Gesamthandel der Staaten Mexiko, Brasilien, Kolumbien und Chile jeweils bei unter zwei Prozent. Dementsprechend sah Chiles Finanzminister, Rodrigo Valdés, für die Regierung  des "makroökonomisch geordneten" Landes keinen Zwang zur finanziellen Stützung der Wirtschaft. Ähnlich fiel die Reaktion in Kolumbien aus. Javier Díaz, Präsident der kolumbianischen Nationalen Vereinigung für Internationalen Handel, bezeichnete den Handel mit Großbritannien als "nicht signifikant".

Die Reaktionen hinsichtlich notwendiger Neuverhandlungen der Freihandelsabkommen mit der EU fielen unterschiedlich aus. Chile, Kolumbien und Mexiko, die als Mitgliedstaaten der neoliberalen Pazifikallianz allesamt Freihandelsverträge mit der EU unterhalten, nehmen Großbritannien in den Fokus. So erwartet Rodrigo Valdés aufgrund der gemeinsamen Zusammenarbeit mit den Briten unkomplizierte Verhandlungen, während Mexiko in Person des Wirtschaftsministers Guajardo die sofortige Bereitschaft bekräftigte, ein bilaterales Abkommen abzuschließen. Argentinien, Brasilien und Uruguay, die als Vertreter des Mercosur aktuell einen Freihandelsvertrag mit der EU aushandeln, orientieren sich hingegen an der EU. Präsident Maricio Macri in Argentinien, Präsident Tabaré Vázquez in Uruguay und das Außenministerium Brasiliens gehen zugleich von erschwerten Verhandlungen aus. Macri sagte: "Die Welt wächst mit Integrationen und der Brexit ist Desintegration." 

Auch auf den Integrationsgedanken in Lateinamerika wird der Brexit Auswirkungen haben. Macri hob die Konsolidierung des Mercosur und die Annäherung an die Pazifikallianz sowie generell eine stärkere Integration für Wachstum hervor. Sein mexikanischer Amtskollege, Enrique Peña Nieto, wählte ähnliche Worte bezüglich einer stärkeren Kooperation in der Nordamerikanischen Freihandelszone, zu der neben Mexiko auch Kanada und die USA zählen.

Dem stand die Interpretation der Linksregierungen Ecuadors und Boliviens entgegen. Präsident Evo Morales in Bolivien sah das "kapitalistische Integrationssystem der Europäischen Union" in einer Krise. Correa bezweifelte die Stabilität der EU.