Stichwahl um Präsidentschaft polarisiert Argentinien

Auch Wahl zwischen Sozialpolitik und Wirtschaftsliberalismus. Gewerkschaften, Universitäten und Friedensnobelpreisträger wollen für Scioli votieren

Buenos Aires. Rund zwei Wochen vor der entscheidenden Stichwahl um das argentinische Präsidentenamt am 22. November haben ein verbaler Schlagabtausch der beiden verbleibenden Kandidaten Daniel Scioli und Mauricio Macri sowie Positionierungen gesellschaftlicher Akteure zu dessen Regierungsplänen die letzte heiße Phase des Wahlkampfs eingeläutet.

Scioli, Kandidat der amtierenden Regierungsallianz Frente para la Victoria (FpV), hatte zunächst vor den negativen Folgen gewarnt, die das Land unter einer neoliberalen Regierung seines politischen Rivalen Macri erleiden könne. Daraufhin bedauerte der Kandidat des liberal-konservativen Oppositionsbündnisses Cambiemos, sein Gegenüber verfolge eine "dunkle Strategie, die Bevölkerung mit Angst zu erfüllen". Der Peronist Scioli entgegnete dem, es gehe hierbei "nicht um Angst, sondern um Erinnerung", einen "gemeinschaftlichen Sinn", womit er auf die neoliberalen 1990er Jahre, Sozialkürzungen, Hyperinflation und den anschließenden Staatsbankrott 2001 verwies. Macri argumentiert, er habe als Bürgermeister von Buenos Aires niemals etwas privatisiert, und es seien damals die Peronisten gewesen, "die den Neoliberalismus erfunden haben".

Unterdessen konnte sich Scioli den öffentlichen Zuspruch von insgesamt 127 nationalen Gewerkschaften sichern, indem er unter anderem einer Verallgemeinerung der Familiengeldzahlung und erheblichen Senkungen der Erwerbssteuer für Arbeitnehmer, kleine und mittelständische Unternehmen beipflichtete. Dass bislang niemand vom Bündnis Cambiemos ein Gespräch mit den Gewerkschaften gesucht hat, veranlasst den Vorsitzenden des Bundesverbandes der Gewerkschaften (CGT), Antonio Caló, zu dem Schluss, Macri habe "etwas zu verheimlichen".

Anders als sein Rivale Scioli plant Macri, der lahmenden argentinischen Wirtschaft durch deutliche Liberalisierung und Flexibilisierung ein höheres Wachstum zu bescheren. Vor dem Hintergrund der 1990er Jahre stößt diese Wirtschaftsphilosophie nicht nur im akademischen Umfeld auf Unverständnis, in dem sich nach mehreren Debatten 28 Universitätsrektoren, Dozenten, Angestellte und studentische Bewegungen, darunter viele der größten Universitäten Argentiniens, dazu bekannten, die FpV "aktiv zu unterstützen". Sie würden eine Präsidentschaft Macris als Risiko für die höhere Bildung wahrnehmen und verwiesen auf Verbesserungen der Bildung in der Zeit des Kirchnerismus, wie die Neugründung von 15 nationalen Universitäten. Verhalten und kritisch hat ebenso der Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel auf seiner Internetseite bekannt gegeben, dass er sein Votum Scioli geben werde, auch wenn er nicht alle Einschätzungen des Kandidaten teile. Er betonte, die Wahl sei auch eine zwischen zwei äußerst unterschiedlichen Modellen: Dem der Regierung, die in der Wirtschaft präsent ist und die Sozialpolitik betont, und dem Modell der Wirtschaft freie Hand zu lassen.

Die Stichwahl wird in diesem Jahr zum ersten mal in der neueren Geschichte Argentiniens stattfinden, da weder Scioli noch Macri im ersten Wahlgang die notwendige 40-Prozent-Hürde nehmen konnten. Den dritten Platz an den Urnen erreichte Sergio Massa, unter dessen Wählerschaft sich laut dem Politikanalytiker Werner Pertot von Pagina12 viele Peronisten befänden, die Macri den Einzug in den Präsidentenpalast Casa Rosada verwehren könnten. Hinzu komme nun die Situation, dass das Bündnis Cambiemos den Bürgermeister der Hauptstadt und, nach der Wahl vom 25. Oktober, zukünftig mit Maria Eugenia Vidal auch die Gouverneurin der Provinz Buenos Aires stellen wird.

Unabhängig davon, wer letztlich Argentiniens neuer Präsident sein wird, endet eine zwölfjährige Ära des Kirchnerismus, die zukünftig von einer anderen Art der Politik abgelöst wird – mit Daniel Scioli oder Mauricio Macri.