Venezuela / Medien

Forschungsbericht über die Berichterstattung der BBC zum Thema Venezuela

Forscher an der University of the West of England (UWE) in Großbritannien haben eine anhaltende und systematische tendenziöse Berichterstattung der BBC im Hinblick auf Venezuela aufgedeckt.

Dr. Lee Salter und Dr. Dave Weltman haben BBC-Berichte über Venezuela in den letzten zehn Jahren - seit Hugo Chavez in das Präsidentenamt gewählt worden ist - im Zuge eines laufenden Forschungsprojekts analysiert und ihre bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Berichterstattung der BBC ihrer gesetzlichen Verpflichtung auf Unparteilichkeit, Wahrheit und Genauigkeit nicht gerecht wird.

Die Forscher untersuchten 304 BBC-Berichte, die zwischen 1998 und 2008 veröffentlicht wurden und kamen zu dem Ergebnis, dass nur in 3 dieser Artikel die von der Chavez-Regierung eingeführten positiven Maßnahmen überhaupt erwähnt wurden.

Die BBC hat darin versagt, über irgend eine der demokratischen Initiativen, die Menschenrechtsgesetzgebung, Essensprogramme, Gesundheitsfürsorgeinitiativen oder Armutsreduzierungsprogramme auf angemessene Weise zu berichten. Mission Robinson, das größte Alphabetisierungsprogramm in der Geschichte der Menschheit wurde nur am Rande erwähnt.

Den Forschungsergebnissen zufolge scheint die BBC die Legitimität des Präsidenten nie akzeptiert zu haben, die Berichte suggerieren durchgehend, dass Chavez die Unterstützung der Wähler fehlt, einmal wird er sogar mit Hitler verglichen ("Venezuela"s Dictatorship" [Venezuelas Diktatur] 31.8.99).

Die Unterminierung von Chavez muss im Zusammenhang mit seinen Wahlergebnissen betrachtet werden: seine Legitimität wird in Frage gestellt trotz der Tatsache, dass er mehrmals wiedergewählt worden ist - mit zwischen 56 und 60 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Im Gegensatz dazu haben die Parteien, die in britischen Wahlen seit 1979 gewonnen haben, nur zwischen 35,3 und 43,9 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten; der derzeitige britische Premierminister wurde von seinem Vorgänger ernannt und viele hochrangige Mitglieder der britischen Regierung sind nie gewählt worden. Es wird kaum jemanden überraschen, dass ihre Legitimität von der BBC nie in Frage gestellt wird.

Besonders anzumerken ist die Reaktion der BBC auf den militärischen Staatsstreich im Jahr 2002. BBC News, der Nachrichtendienst der BBC, veröffentlichte neun Artikel zum Staatsstreich am 12. April 2002, alle davon basierten auf der Version der Putschführer zum Hergang der Geschehnisse, und sie wurden neben der "Opposition" zu den Rettern "der Nation" erhoben. Zwar berichtete BBC News über den Staatsstreich, doch das Wort "Coup" wurde nur ein einziges Mal erwähnt - als Vorwurf von Regierungsbeamten und Chavez" Tochter.

Die "offizielle" Erklärung der BBC war, dass Chavez "stürzte", "aufgab" oder "zurücktrat" (auf das Geheiß des Militärs), nach seiner "falschen Handhabung" von "Streiks" (die, wie Hardy [2007] uns in Erinnerung ruft, tatsächlich Aussperrungen des Managements waren) und Demonstrationen, bei denen seine Anhänger auf Demonstranten geschossen und einige von ihnen getötet hatten. In seiner Berichterstattung von letzterem Ereignis schrieb Adam Easton, der Auslandskorrespondent der BBC in Caracas:

"Filmaufnahmen fingen auch ein, wie bewaffnete Anhänger von Herrn Chavez wahllos in die Menge der Demonstranten schossen" ("Venezuela's New Dawn" [Aufbruch für Venezuela]).

Die besagten Filmaufnahmen wurden von einem Fernsehsender eines Oligarchen - der den Staatsstreich unterstützt hatte - gesendet und waren erwiesenermaßen gefälscht.

Wenn man bedenkt, dass Chavez vor dem Staatsstreich zwei Wahlen und ein Verfassungsreferendum gewonnen hatte, dann ist es erstaunlich, dass die BBC die Version der Putschführer zum Hergang der Geschehnisse bevorzugt. Die demokratischen und wiederherstellenden Absichten der Putschführer wurden nicht in Frage gestellt.

In dem Artikel "Venezolanische Medien: 'Es ist vorbei!'" lässt die BBC den Redakteur von El Universal unangefochten verkünden: "Wir haben die Demokratie wiederhergestellt!". Vielsagender ist vielleicht, dass der regionale Redakteur der BBC Americas in dem Artikel "die politische Unordnung Venezuelas" einen Untertitel "die Wiederherstellung der Demokratie"; betitelte. "Ölpreise fallen als Chavez aufgibt" erklärt, dass Chavez infolge eines "Massenaufstandes" aufgibt.

Das Ausschlaggebende ist, dass alle in den neun Artikeln benutzten Vox Pops von Anhängern der "Opposition" waren und die einzigen Stimmen zugunsten Chavez von Regierungsbeamten, Chavez" Tochter oder Kuba stammten. Es ist daher begründet, von den Berichten der BBC zu schließen, dass normale Venezolaner Chavez nicht unterstützten; der Coup wurde unrichtigerweise als vom "Volk" unterstützt dargestellt, der Gegencoup dagegen nicht.

Die Forscher stellten die Hypothese auf, dass einer der Faktoren, der die Basis für die fehlerhafte Berichterstattung zu Venezuela bildet, die Treue der BBC zur ideologischen Sichtweise der venezolanischen Elite ist.

Im Gegensatz zum Gewicht der historischen Erforschung von Venezuelas Geschichte untermauert die BBC ihre Berichterstattung mit der "Exzeptionalismusthese" - die Idee, dass Venezuela unter lateinamerikanischen Nationen die Ausnahme war, insofern als seine Demokratie robust genug war, um einer Diktatur standzuhalten. Die historische Forschung deutet jedoch darauf hin, dass diese Idee falsch ist. Professoren Ellners und Salas" Erklärungen zufolge haben diejenigen, die sich auf Venezuelas Exzeptionalismus bezogen, darin versagt, ...

eine Verbindung zwischen dem Ausschluss von der Politik und dem verwandten Phänomen des Klientelismus einerseits und der Verletzung von Menschenrechten, Wahlmanipulation und Korruption andererseits herzustellen. Tatsächlich sahen sie die Legitimität der institutionellen Mechanismen, die Stabilität garantierten, als gegeben an. Dieselben Mängel - Wahlbetrug, Korruption und Unterdrückung, die nach Darstellung von Forschern zur Krise der 1990er Jahre beigetragen hatten, waren auch in früheren Jahrzehnten sichtbar.

Natürlich scheitert die BBC darin, dies zu erkennen und ihre Unkenntnis der extremen, so viele Venezolaner plagenden Armut spricht gegen jedes angemessene Verständnis von venezolanischer Politik. Weil die BBC diese Faktoren nicht "erkennen" kann, wird die bolivarianische Revolution nicht als eine Reaktion auf jahrzehntelange Armut und Unterdrückung verstanden.

Vielmehr verkörpert die BBC die bolivarianische Bewegung in Hugo Chavez", der von nirgendwoher auftauchte und sich dann Venezuela aufdrängte, als gäbe es keine Bewegung und als hätte es keine Wahlen gegeben.

Zum Beispiel wird der Sieg beim Referendum im Jahr 2004 als eine "außergewöhnliche Kehrtwende, die sich dazu einer einfachen Erklärung entzieht" bezeichnet ("Analysis: Venezuela at the Crossroads" 17.8.2004). Natürlich schien der Sieg nur für diejenigen "außergewöhnlich" zu sein, die von den zugrundeliegenden Problemen, die sich auf die venezolanische Politik auswirkten, keine Ahnung hatten. Folglich wird Chavez selbst zur Ursache politischer Konflikte.

In der Welt der BBC ist es unmöglich, dass Klasse, Armut, Menschenrechtsmissbrauch oder Korruption politische Konflikte verursachen - die BBC kann die Auswirkungen einer Armutsrate von 70% im Jahr 1995 oder die Tatsache, dass ein Jahr vor Chavez" erstem Wahlsieg 67% der Venezolaner weniger als 2 US$ pro Tag verdienten, nicht verstehen.

Vielmehr werden Venezolaner als hirnlose Schafe hingestellt, die von einem Rattenfänger geführt werden, und die seinen Ruf nur befolgen, wenn sie agitieren sollen. In der Welt der BBC gibt es soziale und politische "Spaltungen" nur wegen Chavez.

Die einzigen legitimen Repräsentanten der Venezolaner scheinen die ungewählten Oligarchen zu sein, die hinter der "Opposition" stecken. Die "Opposition" ist Venezuela. "Oppositionsführer in Venezuela" appellieren der BBC zufolge "an die internationale Gemeinschaft, zu intervenieren, um die Demokratie zu schützen".

Als die Demokratie durch einen Militärstreich und die Einsetzung eines Diktators "wiederhergestellt" wurde, berichtete die BBC, dass "Venezuela sich nicht auf einen amtierenden Politiker verlassen hatte, sondern auf den Vorsitzenden des Verbandes der Wirtschaftsführer". Wenn eine Mehrheit der Venezolaner Chavez wählt, dann ist es keine Handlung "Venezuelas", doch wenn ein vom CIA unterstützter Militärstreich eine korrupte Oligarchie einsetzt, denn spiegelt dies den Willen ganz Venezuelas wider, nicht den Willen einer elitären Schicht, sondern Venezuela an sich.

Man könnte argumentieren, dass die Ungenauigkeit und tendenziöse Berichterstattung der BBC aus der Lebenserfahrung der BBC-Journalisten resultiert - ihre Herkunft aus einer bestimmten sozialen Klasse und ihr Wohnen in wohlhabenden Gegenden in Caracas. Aus dieser Perspektive sehen sie einfach nicht die Realität der Situation. Wenn dem so ist, dann würde dies Charles Hardys Behauptung bestätigen, dass wir tendenziell die "Perspektive eines internationalen Korrespondenten ... der in einem Bürogebäude einer oppositionellen Zeitung in der Innenstadt arbeitet und in einem Apartment in einer reichen Gegend wohnt", bekommen.

Die große Frage ist jedoch, ob die BBC damit betraut werden kann, angemessen über Lateinamerika zu berichten. Schließt man von ihren jüngsten Berichten zu Evo Morales" kürzlichem Wahlsieg in Bolivien, scheint dies allerdings unwahrscheinlich zu sein. Ihre Leserschaft indessen bleibt erbärmlich schlecht informiert.


Dies ist ein laufendes Forschungsprogramm und die Forscher werden Ende Dezember 2009 für die nächste Stufe des Projekts nach Caracas reisen. Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte den Autor Lee Salter.

Quelle: Venezuelanalysis.com- A Decade of Propaganda? The BBC"s Reporting of Venezuela - Originalartikel veröffentlicht am 14.12.2009

Susanne Schuster ist ein Mitglied von Tlaxcala, dem internationalen Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt. Diese Übersetzung kann frei verwendet werden unter der Bedingung, daß der Text nicht verändert wird und daß sowohl der Autor, die Übersetzerin als auch die Quelle genannt werden.

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