"Gefährliches Signal für die Region"

Interview mit Dieter Müller, medico-Projektkoordinator für Zentralamerika, über den Putsch in Honduras, seine Auswirkungen auf Mittelamerika, die Angst der Oligarchien vor Venezuela und die Möglichkei

Dieter Müller leitet seit Januar 2008 das medico-Regionalbüro Mittelamerika. Von Managua aus koordiniert er die Projekte in Nicaragua, El Salvador, Guatemala und Mexiko.

In den europäischen Medien wird Zelaya als linker Präsident dargestellt, der von einer rechten Oligarchie weggeputscht wurde. Wie stellt sich das vor Ort dar?

Dieter Müller: Er war sicher nicht von Anfang an ein linker Präsident. Erst nach zwei Jahren hat er einen deutlichen Wechsel nach links vollzogen. Zelaya näherte sich in der Außenpolitik Venezuela, Kuba und den ALBA-Staaten (2004 gegründete lateinamerikanische Wirtschaftsgemeinschaft, die sich als Alternative zu den Freihandelsabkommen versteht) an. Seitdem suchte er innenpolitisch immer stärkeren Kontakt mit den Gewerkschaften, den Bauernverbänden und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Diesen "Linksrutsch" hat er als Einzelperson vollzogen, seine liberale Partei hat nicht mitgemacht.

Seine außenpolitische Neuorientierung und die Annäherung an Hugo Chávez und die Alba-Staaten waren sicher der Grund für den Putsch. Dieser Kurswechsel hatte auch innenpolitische Folgen. Die Sozialprogramme Zelayas orientieren sich am venezolanischen Vorbild, ebenso die Idee der Volksbefragung. Man unterstellte Zelaya, er wolle entgegen den Gesetzen des Landes an der Macht bleiben.

Können diese Sozialprogramme, von denen du sprichst, eine nachhaltige Veränderung bewirken?

Natürlich sind diese Programme für die begünstigten Familien eine Verbesserung. Eine Kuh, ein Häuschen, Nahrungsmittel - das ist alles eine kleine Hilfe. Aber wie hier in Nicaragua muss man auch die Programme in Honduras dafür kritisieren, dass sie die strukturellen Ursachen für Armut nicht anrühren. An eine Agrarreform beispielsweise denkt weder die Regierung in Nicaragua noch die unter Zelaya in Honduras.

Ist denn der Wirtschaftszusammenschluss ALBA etwas, was über den Assistenzialismus hinausreicht?

Sicherlich, denn ALBA ist angetreten als Alternative zu den Freihandelsabkommen, wie sie zwischen den USA und vielen Ländern Lateinamerikas existieren und wie sie gerade zwischen Mittelamerika und der Europäischen Union verhandelt werden. ALBA stellt deshalb einen qualitativen Unterschied zu anderen Bündnissen dar, weil sich hier lateinamerikanische Staaten im Gegensatz zur OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) oder zum Wirtschaftsbündnis Mercosur ohne den Einfluss der USA organisieren. Insofern wird ALBA von vielen berechtigterweise als Hoffnung betrachtet. Das wiederum gilt nicht nur für Chávez, sondern auch für gemäßigte linke Präsidenten wie Lula oder Michelle Bachelet in Chile, die die Entwicklung des Bündnisses aufmerksam verfolgen. Für sie ist ALBA ein Ausdruck für eine außenpolitische Alternative.

Medico ist selbst nicht in Honduras aktiv. Allerdings in El Salvador, Nicaragua und Guatemala. Welche Bedeutung hat das dramatische Geschehen für die anderen mittelamerikanischen Länder?

Vor allen Dingen in Guatemala und El Salvador ist die Erinnerung an die Repressionen der Militärdiktaturen noch sehr präsent. Der Putsch in Honduras hat deshalb in diesen Ländern große Ängste geweckt. In Guatemala gibt es ohnehin Befürchtungen, dass ein Militärputsch bevorsteht. Wenn sich die Militärs in Honduras durchsetzen, könnte das durchaus als Vorbild betrachtet werden. In El Salvador, das nun von einer linken Regierung regiert wird, ist der Putsch ebenfalls ein Signal. Schon während des Wahlkampfs drohte die rechte ARENA-Partei, die 20 Jahre lang regierte, mit harten Maßnahmen, sollte sich die neue Regierung mit Venezuela gut stellen. In diesen Länden fühlt man sich durchaus in Zeiten des Kalten Krieges versetzt. Wer sich in irgendeiner Form mit Chávez verbindet, wird in dieser Sichtweise als Überläufer in den anderen Block betrachtet. Das legitimiert dann zu Vielem. Wenn der Putsch erfolgreich verläuft, werden sich rechte Oligarchien auch in den Nachbarländern zu solchen Maßnahmen berechtigt fühlen. Allen ist deshalb klar, dass die Situation in Honduras einen enormen Sprengstoff für die ganze Region birgt.

Siehst du Chancen für eine Lösung?

Ich glaube schon, wenn es für alle gelingt das Gesicht zu wahren. Alle, die den Staatsstreich verurteilt haben, können nicht nach einer Schamfrist mit der neuen Regierung in Honduras zusammenarbeiten. Es muss ein Weg zur Rückkehr der Rechtsstaatlichkeit gefunden werden. Selbst Manuel Zelaya schlug dieser Tage moderate Töne an und sprach davon, dass man sich zusammensetzen müsse. Er betont, dass er bereit ist mit allen zu sprechen.

Was ist von Erklärungen zu halten, die die Konrad-Adenauer- oder die Friedrich-Naumann-Stiftung abgegeben haben, die die Begründung der Putschisten nachvollziehen?

Nun, sie berufen sich darauf, dass der Oberste Gerichtshof und das Parlament bestimmte Vorhaben Zelayas für rechtswidrig erklärt haben. Diese Debatte ist meiner Ansicht nach zweitrangig. Ich halte es für sehr bedrohlich, wenn ein Diskurs auch noch von deutschen Stiftungen unterstützt wird, der sich in Schwarz-Weiß-Schemas bewegt: Wer simple Feindbilder gegen ALBA und Venezuela aufbaut, der tut der demokratischen Entwicklung in Mittelamerika keinen Gefallen. Mit diesen Feindbildern werden Repressionen gegen den vermeintlichen politischen Gegner legitimiert. Was das heißt, daran erinnern sich noch viele in Mittelamerika, und deshalb sind diese Äußerungen der beiden Stiftungen skandalös.

Wie kann deiner Meinung nach Solidarität aussehen, die als Gegner Militärs und Politiker mit simplen Feindbildern hat und einen weggeputschten Präsidenten, der doch eher ein linkspopulistischer Einzelkämpfer mit zweifelhaftem politischem Geschick zu sein scheint?

Die Protestierenden in Honduras haben eine differenzierte Sichtweise auch auf die Politik Zelayas. An diesen Protesten wird deutlich, dass man unabhängig davon, was man von Zelayas Politik hält, die Muster der 80er Jahre nicht wieder zulassen will. Und hier ist Solidarität gefragt und zwar genau mit all denen, die so mutig seit Tagen und Wochen gegen den Putsch protestieren. Denn die Militärs in Honduras haben eine angsteinflößende Geschichte hinter sich und sind bestens mit der Oligarchie vernetzt. Nichts ist aufgearbeitet oder gar juristisch verfolgt worden. Dabei geht es nicht um Gut und Böse. Die Protestierenden wenden sich klar an die Eliten, dass man nicht mehr ohne ihre Beteiligung regieren kann. Mit ihnen kann man und muss man solidarisch sein. Was heißt Solidarität jetzt? Es werden internationale Proteste organisiert, dazu gehört auch der Appell, den wir unterschrieben haben. Dazu gehört Lobby-Arbeit gegenüber den Regierungen, die Putschisten international zu isolieren. Es gibt in Mittelamerika Überlegungen, Beobachter und Solidaritätsgruppen nach Honduras zu schicken, sobald die Lage es zulässt. Zur Zeit ist es jedoch gefährlich, weil Hetzjagden gegen Nicaraguaner und Venezolaner in Honduras stattfinden. Aber an den Überlegungen wird deutlich, dass die Mittelamerikaner das Geschehen in Honduras sehr, sehr ernst nehmen.

Dieter, eine kurze Bemerkung zu den Wahlen in Mexiko, die die PRI wieder aus der politischen Versenkung geholt haben.

Jetzt haben die Drogenbarone wieder den Partner, mit dem sie über viele Jahre kooperierten. Damit hat auch das Volk die Struktur zurück, die auf eine schreckliche Weise besser oder vielmehr berechenbarer funktionierte. Die linksliberale PRD hat sich in Selbstzerfleischung begeben. Es gibt keine Alternative von links und die Rechtskonservativen haben gar nichts gebracht. Sie haben den Konflikt mit den Drogenbaronen verschärft und verloren. Da hatten viele Mexikaner das Gefühl, besser die PRI als kleineres Übel zu wählen. Das war eine Protestwahl gegen die rechte PAN, die nicht in der Lage war, auch nur ein Minimum an Sicherheit zu garantieren oder irgendetwas für die ärmere Bevölkerung zu unternehmen.

Auch mit Blick auf Mexiko, aber auch Honduras muss man sagen: Es gibt drei relevante ökonomische Strömungen in Mittelamerika und Mexiko. Das US-amerikanische Kapital, die Drogenbarone oder ALBA. In all diesen Ländern ist ein Kampf um die Hegemonie durch einen der drei Blöcke entbrannt. In Guatemala hat die Entmilitarisierung ganzer Landstriche dazu geführt, dass die Drogenbarone an die Stelle von Guerilla und Militär gerückt sind. In Mexiko und in Honduras spielt die Drogenwirtschaft ebenfalls eine entscheidende ökonomische Rolle. Angesichts dieser Ausgangslage muss man sich doch fragen, wo soll denn das Geld her kommen, um Armut zu überwinden. Man darf nicht vergessen, Nicaragua und Honduras sind neben Haiti und Bolivien die ärmsten Länder Lateinamerikas. Alles Länder, die diese extreme Ungleichheit haben, in denen eine kleine Elite in extremem Luxus lebt, währen 50 - 70 Prozent der Bevölkerung arm oder extrem arm sind. Die einzige Alternative gegen das Geld aus dem Norden und Einkünfte aus der Drogenwirtschaft stellt Venezuela und ALBA dar. Dagegen nimmt sich staatliche Entwicklungshilfe aus Deutschland, für die Honduras zu den wichtigsten Nehmerländern gehört, gering aus.

Jetzt gibt es gerade die Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen mit der EU. Welche Wirtschafts-Politik verfolgt Europa in Zentralamerika?

Das geplante Abkommen ist sicherlich in mancher Hinsicht moderater als die Freihandelsabkommen, die die USA mit NAFTA und ALCA durchgesetzt haben. In der Tendenz ist es aber durchaus ähnlich. Die armen Länder Mittelamerikas werden zur Öffnung ihrer Märkte und zur Privatisierung öffentlicher Güter gedrängt, während in Europa der Protektionismus die Märkte verschließt. In Nicaragua beschäftigen sich viele zivilgesellschaftliche Gruppen mit den geplanten Abkommen und stehen ihnen übrigens viel kritischer gegenüber als die sandinistische Regierung.


Das Originalinterview auf medico.de finden Sie hier.