Venezuela

Zwischen vier Uhr morgens und Mitternacht

Rekordbeteiligung beim venezolanischen Urnengang. Impressionen aus der Hauptstadt Caracas

Der Sonntag in Caracas begann mit einem Feuerwerk. Ab morgens um vier Uhr schossen Bewohner der Barrios Tausende Raketen in den Nachthimmel. Lautsprecherwagen fuhren lärmend in Richtung Stadtzentrum. Mit Fanfarenmusik versuchten sie, die Wahlberechtigten der venezolanischen Hauptstadt zur Abstimmung zu rufen. Trotzdem blieben die Wahllokale zunächst relativ leer. Auch Präsident Hugo Chávez votierte erst nach Mittag im "rotem" Stadtteil 23 de Enero. Er rief zur Stimmabgabe auf und appellierte an die Medien, die Ergebnisse des CNE (Nationalen Wahlrats) abzuwarten. Wie auch immer das Resultat ausfallen werde, "nichts wird den Aufbau des bolivarischen und sozialistischen Projekts in Venezuela stoppen".

Erst am Mittag bildeten sich längere Schlangen. Und die wuchsen bis zum Nachmittag unaufhörlich. Eine Viertelstunde vor der avisierten Schließung um 16 Uhr gab der CNE bekannt, dass die Wahllokale geöffnet bleiben. Vertreter der rechten Opposition sprachen umgehend von einem Betrugsversuch und forderten ein ums andere Mal, den Urnengang sofort zu beenden. Vom Wahlrat verlautete, dass die Abstimmungslokale geöffnet blieben, um den Menschen ihr verfassungsmäßiges Wahlrecht zu ermöglichen.

Die Gerüchteküche brodelte, während sich Vertreter der Opposition in den privaten Fernsehsendern siegessicher gaben. CNE-Direktor Alberto Müller Rojas erklärte, die Opposition schaffe ein Klima der Verunsicherung, um das kommende Wahlergebnis anfechten zu können. Und die Präsidentin des Nationalen Wahlrats, Tibisay Lucena, verwies ausdrücklich auf das Wahlgesetz, in dessen Artikel 158 festgelegt ist, dass Abstimmungslokale nicht geschlossen werden können, solange Wähler auf die Ausübung ihres Rechtes warten. Die Nervosität hielt trotzdem lange Zeit weiter an.

Kurz nach Mitternacht betraten schließlich die Mitglieder des Nationalen Wahlrats unter dem Applaus der anwesenden Journalisten das Pressezentrum. In schneller Folge verlas Tibisay Lucena die Ergebnisse nach Auszählung von 95 Prozent der abgegebenen Stimmen. Selbst politikerfahrene Venezolaner brauchten eine Weile, die Namen den Parteien zuzuordnen. Doch unter den Linken macht sich Enttäuschung breit: Zulia nicht gewonnen. Dann Entsetzen: Caracas verloren, Miranda verloren, Táchira ungewiss. Carabobo ungewiss.

Nur wenige Minuten nach der Veröffentlichung der ersten offiziellen Zahlen gab Hugo Chávez ein erstes Statement im Hotel Alba Caracas ab, dem früheren Caracas Hilton im Zentrum der Hauptstadt. Das Ergebnis sei ein Auftrag der Wählerinnen und Wähler, den sozialistischen Kurs und die bolivarische Revolution fortzusetzen. Mit Blick auf die stundenlangen Wartezeiten beim Urnengang forderte er eine Verzehnfachung der Abstimmungsmöglichkeiten. Auch wenn er sich nicht in die Arbeit des CNE einmischen wolle: Vielleicht sollten zukünftig kleinere Wahllokale in der unmittelbaren Nähe der Wohnorte geschaffen werden.

Trotzdem sei allen Venezolanern zu der mit über 65 Prozent höchsten Wahlbeteiligung in der Geschichte der Regionalwahlen des Landes zu gratulieren. Die Niederlage des PSUV-Kandidaten Aristobulo Istúriz in Caracas kommentierte er mit den Worten "por ahora" - für den Moment. Gleichzeitig warnte er die Vertreter der Opposition, "auf die alten Wege des Putschismus und des Paramilitarismus" zurückzukehren.


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