Venezuela

Durchbruch bei Freier Software

Fortschritte bei der Umstellung auf Freie Software in Venezuela: Nun ist eine erste sozialistische Software-Schmiede in Kooperation mit Kuba geplant

Wie das venezolanische "Nationale Zentrum für Informationstechnologie" (CNTI) berichtete, gelangen in Venezuela im Jahr 2008 entscheidende Fortschritte bei der Umstellung auf Freie Software. Insgesamt konnten 500 Ausbilder in 400 Gemeinden ihre Arbeit aufnehmen. Ihre Aufgabe ist es sowohl die Mitarbeiter öffentlicher Verwaltungen und Unternehmen sowie auch die Bevölkerung allgemein zur Arbeit mit Freier Software zu befähigen. Mehr als ein Drittel aller Bürgermeisterämter haben nach Angaben des CNTI ihre Computer inzwischen auf den Betrieb mit Freier Software umgestellt und eine entsprechende technische Ausbildung erhalten. Darüber hinaus gelang es dem CNTI eine Reihe von Kooperationen zwischen neu gegründeten IT-Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen sowie selbstverwalteten Gemeinden zu vermitteln. Carlos Figueira, Präsident des CNTI, bezeichnete die Ergebnisse in einer Bilanz als wichtige Fortschritte auf dem Weg zu einer technologischen Unabhängigkeit des Landes.

Ziel: Unabhängigkeit von Patenten und Konzernen ...

Die venezolanische Regierung verfolgt bereits seit 2004 das Ziel im Bereich der Technologie-Entwicklung eine Souveränität zu erreichen. In dem "Gesetz über Technologie und Information" wurden alle öffentlichen Einrichtungen verpflichtet, ihre Rechner auf Freie Software-Angebote umzustellen, wenn geeignete Produkte existieren. "Die Freie Software ist billiger, wir können sie auf verschiedenen Rechnern installieren, sie ist sicherer, weil wir sie prüfen können. Wir können sie verleihen, verändern, verbreiten - das sind eine ganze Reihe von Vorteilen." beschrieb Eduardo Samán, Generaldirektor des "Autonomen Dienstes für geistiges Eigentum" (SAPI) die Motive für diese Politik. Allerdings ging der Prozess der Migration in den ersten Jahren nur schleppend voran, da es an ausgebildetem Personal fehlte. Ab Oktober 2005 begann die Bolivarische Universität Venezuelas (UBV) Kurse für die Mitarbeiter öffentlicher Verwaltungen anzubieten, um das notwendige Wissen für die Arbeit mit verschiedenen Linux-Distributionen auf der Ebene der Anwender zu verbreiten. Bis 2006 stellten aber nur wenige Ministerien und staatliche Unternehmen tatsächlich ihre Betriebssysteme um. Nur das staatliche Ölunternehmen PdVSA, das Frauenministerium und das Erziehungsministerium betrieben ihre Server mit Linux-Distributionen. Die Arbeitsplatzrechner arbeiteten normalerweise weiter mit dem Betriebssystem Windows.

... durch technologische Kompetenz der Bevölkerung

Um Programmierfähigkeiten auf der Basis von freien Anwendungen zu verbreitern, wurden in den Folgejahren zwei Akademien für Freie Software in der Hauptstadt Caracas und in der Andenstadt Merida aufgebaut. Ihr Ziel ist es in einem breiten Ansatz die technologische Kompetenz der Bevölkerung zu verbessern. Die Nutzer sollen selber in die Lage versetzt werden informationstechnologische Lösungen zu entwickeln. Dafür verwenden die Akademien ausschließlich Softwareangebote mit offenem Quellcode (Open Source) und einer allgemeinen öffentlichen Lizenz (GPL). Alleine im Jahr 2007 nahmen nach Angaben des CNTI 4600 Personen an den hier angebotenen Kursen teil. Mitte Dezember 2008 gab das Zentrum bekannt, dass im nächsten Jahr zwei weitere Akademien in den Bundesstaaten Falcón und Trujillo eröffnet werden sollen. Zusätzlich zu den Akademien, deren Kursangebot auf die schnelle Qualifizierung der Nutzer zielt, etablierte auch die Bolivarische Universität Venezuelas (UBV) im letzten Jahr einen eigenen Studiengang Informatik. In diesen Studiengängen wird das Personal nicht nur fachlich, in Hinsicht auf Programmierfähigkeiten, ausgebildet, sondern die Studierenden enthalten auch eine pädagogische Qualifizierung, damit die zukünftigen Software-Entwickler als Ausbilder ihr eigenes Wissen auch an andere weitergeben können.

Eigene Produktion von Informationstechnologien

Bedarf an eigenen Software-Lösungen und damit an Programmierern besteht in Venezuela in vielen Bereichen. In diesem Jahr kündigte die Vizepräsidentin des Telefonanbieters CANTV an, dass das Unternehmen der Umstellung auf Freie Softwareangebote absolute Priorität einräume. Der Einsatz von selbst entwickelten Technologien solle auch zur sozialen Entwicklung im Land beitragen. Der Telekom-Monopolist war wenige Monate zuvor als Schlüsselunternehmen verstaatlicht worden. Auch das größte Unternehmen des Landes, die Erdöl-Firma PdVSA, wird ein eigenes Software-Unternehmen gründen, und zwar in Kooperation mit Kuba. Wie die Nachrichtenagentur AFP meldete, wollen die beiden Länder damit langfristig mehr als 500 Millionen Dollar (358 Millionen Euro) jährlich an Lizenzgebühren sparen. Ein weiterer Arbeitsbereich für Programmierer entsteht durch die kommunalen Selbstverwaltungen. Seit Mai 2005 können Bürger in Venezuela in ihren Gemeinden autonome Stadtteilräte gründen, die Gelder und Entwicklungsprojekte selber verwalten. In diesem Rahmen unterstützt die "Fundación Infocentros" den Aufbau von Genossenschaften für Programmierer, die Softwarelösungen für konkrete Verwaltungsaufgaben entwickeln. Die Stiftung betreibt im gesamten Land ein Netz von kostenlosen Computer- und Internetzugängen, in denen auch Computer und Programmierkurse angeboten werden. Seit diesem liegt der Schwerpunkt der Kurse auf der Förderung von sozialistischen Start-Ups.

Positive Bilanz im Jahr 2008

Dass es nun, vier Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes über Freie Software, zu ersten Ergebnissen kommt, führt Carlos Figueira auf den breiten Ansatz bei der Ausbildung von Software-Kentnissen zurück. "In diesem Jahr konnten wir uns deshalb auf Projekte konzentrieren wie die Implementierung von Angeboten Freier Software in der öffentlichen Verwaltung, die Entwicklung einer freien Plattform für die kommunale Selbstverwaltung und die Entwicklung einer nationalen Industrie der Freien Software." Ein zentrales Projekt des CNTI ist die gemeinsame Entwicklung einer eigenen venezolanischen Linux-Variante: dem Canaima GNU. Damit könne eine integrierte Entwicklung eines Betriebssystems vorangebracht werden, für das sowohl die autonomen kommunalen Räte als auch staatliche Verwaltungen und Unternehmen in Zukunft Spezialanwendungen erarbeiten könnten. An die technologische Selbstständigkeit Venezuelas scheinen unterdessen noch nicht alle zu glauben: Das Software-Unternehmen Microsoft eröffnet Ende Oktober in Kolumbien sein erstes Büro zur Fahndung nach nicht autorisierten Software-Lizenzen in Lateinamerika. Besonders oft werde das "geistige Eigentum" des Monopolisten in Venezuela missachtet.