Nicaragua träumt vom Kanal

Die Grenzziehung bei Google-Maps wärmt einen alten Konflikt wieder auf

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Grenze zwischen Nicaragua und Costa Rica bei Google-Maps
Grenze zwischen Nicaragua und Costa Rica bei Google-Maps

Die Besetzung der Insel Calero im Mündungsdelta des Rio San Juan durch nicaraguanisches Militär schreibt einen Jahrhunderte alten Grenzkonflikt in Zentralamerika fort. Für Nicaragua geht es dabei um nicht mehr und nicht weniger als die Verwirklichung des nationalen Traums vom transozeanischen Kanal. Die Initiativen zum Bau dieses Kanals und die Bedeutung des Projekts für Nicaragua lassen die Rechtfertigung der Besetzung von Teilen des Mündungsdeltas, die mit falschen Google-Karten begründet wurden, unglaubwürdig erscheinen.  

Der 200 km lange Fluss San Juan verbindet nicht nur den auf nicaraguanischen Territorium gelegenen größten Binnensee des zentralamerikanischen Isthmus mit dem Atlantik. Mit dem Río San Juan verbindet sich für das von Erdbeben, Diktaturen und Neoliberalismus zerrüttete Nicaragua vor allem der Traum von Fortschritt und nationaler Souveränität. 

Bereits im 16. Jahrhundert berichteten koloniale Chronisten an den spanischen König von der Möglichkeit einer Verbindung vom Pazifik über den Nicaraguasee und dem Río San Juan zum Atlantik. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden diese Pläne dann zum ersten Mal ernsthaft diskutiert. Im Jahr 1826 beschloss die damalige Konföderation Zentralamerikanischer Staaten den Bau eines transozeanischen Kanals in Nicaragua. 

Zunächst wurde die holländischen Krone mit dem Bau beauftragt, dann wurden mit den USA und später mit Frankreich unter Napoleon III. Verträge über den Bau unterzeichnet. Realisiert wurden diese Pläne eben so wenig wie das 1850 von den USA mit Großbritannien unter Ausschluss Nicaraguas unterzeichnete Bauabkommen. Im Jahr 1914 wurde schließlich der Panama-Kanal eingeweiht und, um sich die Konkurrenz vom Leibe zu halten, kauften die USA im selben Jahr die Baurechte für den Nicaragua-Kanal. 

Nicaragua hat die Hoffnung auf den Kanal seitdem nie aufgegeben. Arnoldo Alemán richtete 1999 eine Präsidialkommision zur Machbarkeitsprüfung ein, sein Nachfolger im Amt des Präsidenten Nicaraguas, Bolaños Geyer kündigte 2006 sogar den Baubeginn des Kanals an. Über die benötigten 19 Milliarden US Dollar für das Megaprojekt diskutierte Daniel Ortega zuletzt im Oktober 2009 bei einem Treffen mit dem Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate. Auch andere Schwellenländer sollen an dem Projekt interessiert sein. 

Die Geschichte einer versehentlichen Besetzung der costaricanischen Flussinsel Calero, wie sie von nicaraguanischer Seite dieser Tage über die Medien verbreitet wird, klingt deshalb aufgrund der Bedeutung des Flusses für das Land äußerst unglaubwürdig. Wie die costaricanische Tageszeitung La Nacion berichtet, arbeitet das nördliche Nachbarland bereits seit einiger Zeit an den Flussläufen des Río San Juan. Von costaricanischer Seite wird deshalb der Vorwurf erhoben, dass Nicaragua versuche, das in Costa Rica gelegenen Wasserreservoir Laguna Portillos mit dem Río San Juan zu verbinden, um so mit Bezug auf den Vertrag von Cañas-Jerez von 1858 die Grenze nach Süden zu verlegen. 

Der Vertrag von Cañas-Perez hatte Nicaragua das Territorium nördlich des Río San Juan, einschließlich der Hoheitsrechte über den Fluss zugestanden. Im Mündungsbecken teilt sich der Río San Juan jedoch in zwei Arme. Der südliche Río Colorado befindet sich auf costaricanischen Territorium und ist nach Einschätzung von Geographen der Universität Costa Ricas (UCR) in den letzten Jahren gegenüber den Wasserläufen des nördlichen Armes stark angestiegen. Sollte eine Verbindung zwischen Rio San Juan und Rio Colorado entstehen, könnte sich Nicaragua auf den Vertrag von 1858 berufen und sich das Gebiet zusprechen lassen. In Costa Rica wird in den Reaktionen auf den Einmarsch nicaraguanischen Militärs in das Delta vor allem auf die Folgen der Zerstörung des sensiblen Naturschutzgebietes verwiesen. 

Bereits 2005 waren beide Länder in Konflikt über den Fluss und die Auslegung des Vertrages von 1858 getreten. In der Folge war Costa Rica 2009 vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag das Recht zugesprochen worden, den Grenzfluss für die nicht-militärische Schifffahrt ungehindert und kostenlos nutzen zu können.