Peru / Politik

In Peru verschärft sich die politische Krise

Präsident Castillo wird weiter isoliert und geschwächt, während die Rechte vom Kongress aus ihre Putschpläne vorantreibt

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Auf seiner Präsidentschaft lagen große Hoffnungen: Castillo bei seinem Amtsantritt am 28. Juli 2021
Auf seiner Präsidentschaft lagen große Hoffnungen: Castillo bei seinem Amtsantritt am 28. Juli 2021

Die Krise der Regierung von Pedro Castillo, dem Landschullehrer und Gewerkschafter, der als Kandidat der Linken an die Macht kam, verschärft sich. Die Rechte, die seit dem ersten Tag seiner Regierung auf einen Putsch gesetzt hat, beschleunigt ihre Pläne, ihn aus dem Amt zu entfernen und von dem von ihr kontrollierten Kongress aus die Macht an sich zu reißen.

Die Instabilität der Regierung wird durch die destabilisierenden Manöver der Rechten verstärkt, die bei ihren Putschplänen von den großen Medien unterstützt wird. Aber auch der Präsident trägt Verantwortung dafür mit einer Regierungsführung, die sich von seinen Veränderungsvorhaben entfernt hat, untätig und orientierungslos ist; sein Ansehen hat durch Korruptionsvorwürfe gelitten, er hat Fehler gemacht und falsche Personen ernannt und seine Präsidentschaft wird von innen heraus durch sektiererische Haltungen und Spaltungen in der Regierungspartei geschwächt.

In einer neuen Offensive gegen die Regierung versucht die parlamentarische Rechte, den Präsidenten und die Vizepräsidentin Dina Boluarte für unfähig zu erklären und ihrer Ämter zu entheben, um selbst die Macht zu übernehmen. Sollten beide stürzen, würde das Amt des Regierungschefs von der Person übernommen werden, die zu diesem Zeitpunkt den Vorsitz im Kongress innehat. Dieses Amt wird derzeit von der Abgeordneten María del Carmen Alva von der Partei Acción Popular wahrgenommen, die dem Fujimorismus und anderen ultrarechten Sektoren sehr nahesteht. In der letzten Woche dieses Monats steht die Erneuerung des Parlamentsvorsitzes an, der aber zweifellos in den Händen der Rechten bleiben wird. Dies würde bedeuten, dass der von der extremen Rechten angestoßene Staatsstreich vollendet werden könnte .

Als Teil dieses Plans hat der Prüfungsausschuss des Kongresses unter dem Vorsitz des Fujimoristen Héctor Ventura unlängst einem Bericht seine Zustimmung erteilt, in dem Castillo eines Verfassungsverstoßes beschuldigt wird, weil er sich geweigert hat, im Rahmen einer Korruptionsermittlung vor diesem Ausschuss auszusagen; und weil er zu Beginn seiner Amtszeit an Treffen im Haus eines Freundes außerhalb der offiziellen Tagesordnung teilgenommen hat, ohne diese Treffen öffentlich zu machen. Bei diesen Treffen seien Geschäftsleute anwesend gewesen, die später den Zuschlag für Ausschreibungen erhielten, so der Vorwurf.

Videos zeigen, wie die Lobbyistin Karelim López, gegen die wegen ihrer Beteiligung an der Ausschreibung für den Bau einer Brücke, bei der Schmiergelder geflossen sein sollen, ermittelt wird, das Haus betritt, in dem Castillo Besuche empfing. Der Präsident bestreitet, dass sie sich dort getroffen hätten. Der Bericht dieses parlamentarischen Ausschusses deutet an, dass Castillo an der Spitze einer kriminellen Organisation stehe, die die Vergabe öffentlicher Bauaufträge steuere.

Der Präsident weist die Vorwürfe zurück. Der parlamentarische Ausschuss räumt in seinem Bericht ein, dass er keine Beweise für Castillos Schuld hat, sondern nur Indizien und Verdachtsmomente, die untersucht werden müssen – und die bereits von der Staatsanwaltschaft untersucht werden –, beschuldigt ihn aber dennoch.

Landesverrat

Vor dieser Klage wurde gegen den Präsidenten im Kongress eine weitere verfassungsrechtliche Klage erhoben mit dem absurden Vorwurf des Landesverrats, weil er sich in einem Zeitungsinterview dafür ausgesprochen hatte, Bolivien den Zugang zum Meer zu erleichtern. In dieser Erklärung war von einem Souveränitätsverzicht nicht die Rede und sie führte auch zu keinem Regierungsbeschluss. Diese Anschuldigung offenbart die Verzweiflung der Rechten, die nach irgendeinem Anlass sucht, um Castillo abzusetzen.

Die putschistische Rechte weiß, dass sie nicht über die nötigen 87 Stimmen verfügt – zwei Drittel des 130 Mitglieder zählenden Einkammerparlaments –, um Castillo wegen "moralischer Unfähigkeit" seines Amtes zu entheben, was sie bereits zweimal erfolglos versucht hat. Deshalb greift sie nun auf die Strategie zurück, ihn des mutmaßlichen Verfassungsbruchs zu bezichtigen, um ihn aus dem Amt des Präsidenten zu entfernen.

Für die verfassungsrechtliche Klage sind nicht 87 Stimmen, sondern nur eine einfache Mehrheit von 66 Stimmen erforderlich, die die Ultrarechte unter Führung des Fujimorismus, der den parlamentarischen Staatsstreich unterstützt, in diesem neuen Vorstoß zu erreichen hofft. Das Risiko, dass dies geschieht, ist für Castillo hoch.

Boluarte im Fadenkreuz

Wenn es der Rechten gelingt, Castillo aus dem Amt zu werfen, muss sie sich, um die Macht übernehmen zu können, auch der Vizepräsidentin entledigen. Aus diesem Grund wurde gegen Boluarte eine verfassungsrechtliche Klage erhoben, in der ihr vorgeworfen wird, in ihrer Zeit als Ministerin für Entwicklung und soziale Inklusion ein Amt im Vorstand eines Clubs des Departements Apurímac ausgeübt zu haben, in dem sich Migranten zusammengeschlossen haben, die wie sie aus dieser Region kommen und in Lima leben. Die Verfassung verbietet jedoch Ministern, weitere Ämter auszuüben. Ausgeschlossen von dem Verbot sind nur Lehrtätigkeiten.

Die Vizepräsidentin verteidigt sich damit, dass sie bei ihrer Ernennung zur Ministerin von ihren Ämtern in dem genannten Verein zurückgetreten sei, und dass die von ihr danach noch unternommenen Schritte ausschließlich verwaltungstechnische gewesen seien, um ihren Posten zu übergeben. Im Kongress zählen aber nicht die Argumente, sondern die Anzahl der Stimmen und das obsessive Verlangen der Rechten, die Regierung Castillo zu stürzen.

Während die Rechte ihrem Ziel näher kommt, den Kreis des parlamentarischen Putsches zu schließen, ist die Regierung gespalten. Der Generalsekretär der Regierungspartei Perú Libre (PL), Vladimir Cerrón, forderte Castillo öffentlich auf, aus der Partei auszutreten. Er warf ihm vor, dass er die Fraktion aufbrechen wolle, um seine eigene politische Gruppe zu bilden, und dass er seine Wahlversprechen nicht eingehalten habe.

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2021 gemeinsam im Wahlkampf, heute bekämpft Cerrón (links) Präsident Castillo
2021 gemeinsam im Wahlkampf, heute bekämpft Cerrón (links) Präsident Castillo

Unter der Drohung von Cerrón trat Castillo aus der PL aus. Bei der PL-Fraktion gab es in diesem ersten Jahr der Regierung mehrere Spaltungen. Von den 37 Abgeordneten, mit denen die Regierung begann, halten nur noch 16 in der PL Cerrón die Treue. Diejenigen, die ausgetreten sind, haben verschiedene Fraktionen gebildet, die die Regierung unterstützen. Castillo betreibt die Gründung einer neuen Partei, der Partido Magisterial (Lehrerpartei).

Machtspiele Cerróns

Das Zerwürfnis zwischen Cerrón, der PL und Castillo zeigte sich in dieser Woche1 deutlich, als die Cerrón-treuen Abgeordneten mit der Rechten dafür stimmten, Innenminister Dimitri Senmache das Misstrauen auszusprechen, sodass dieser sich gezwungen sah, seinen Posten weniger als zwei Monate nach Amtsantritt wieder abzugeben. Er wird ohne Beweise beschuldigt, die Flucht des ehemaligen Verkehrsministers Juan Silva und eines Neffen von Castillo ermöglicht zu haben, gegen die Haftbefehle aufgrund eines Ermittlungsverfahrens wegen Korruption bei öffentlichen Bauaufträgen vorliegen. Senmache ist der vierte Minister, dem in weniger als einem Jahr Regierungszeit vom Kongress das Misstrauen ausgesprochen wird.

Cerrón macht auf linksradikal, aber er hat sich im Parlament mehr als einmal mit den Ultrarechten verbündet. Mit seinen Stimmen hat er die Verabschiedung ultrakonservativer Regelungen gegen die Gleichstellungspolitik und nun die Aktionen zur Schwächung der Regierung unterstützt. Cerróns Sektierertum hat Bündnisse der Regierung mit anderen fortschrittlichen Sektoren, die sie gestärkt hätten, verhindert, und er hat damit entscheidend zu ihrer Isolierung beigetragen.

Der Generalsekretär der PL wollte mit seiner Partei allein regieren, und nachdem er in der Regierung an Positionen verloren hat, drängt er nun Castillo aus der PL heraus und stimmt mit den Putschisten, um einen Minister abzusetzen. Das war ein harter Schlag für die Regierung. Die Stimmen der Cerrón-Leute gegen den Innenminister sind eine Warnung an Castillo, was ihm geschehen könnte, wenn er ihrem Druck nicht nachgibt, Cerrón und der PL mehr Macht zu geben.

Der Präsident wird weiter isoliert und geschwächt – ein Prozess, der scheinbar unaufhaltsam voranschreitet –, während die Rechte vom Kongress aus ihre Putschpläne beschleunigt. Wenn diese Ultrarechte ihr Ziel erreicht, alle Macht an sich zu reißen, wäre damit nicht nur Castillo, sondern auch die Demokratie bedroht.

Carlos Noriega ist Journalist und in Peru als Korrespondent für Radio France International und die argentinische Zeitung Página12 tätig

  • 1. Anm.d.Red.: Der Artikel ist vom 4. Juli