Wegen Unterstützung Israels: Nicaragua verklagt Deutschland vor Internationalem Gerichtshof

Gericht soll BRD anweisen, jede Militärhilfe für Israel sofort zu stoppen. Deutsche Vertreter: Vorwürfe Nicaraguas sind "unbegründet und haltlos"

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Carlos Argüello bei der Anhörung in Den Haag. Rechts von ihm die deutsche Delegation
Carlos Argüello bei der Anhörung in Den Haag. Rechts von ihm die deutsche Delegation

Den Haag. Wie im Februar angekündigt, hat Nicaragua Deutschland auf Grund seiner Unterstützung Israels vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) verklagt.

Das eigentliche Verfahren wird voraussichtlich Jahre dauern, aber da Nicaragua aufgrund der katastrophalen Situation im Gazastreifen den Antrag auf Erlass einstweiliger Anordnungen gestellt hatte, fanden die öffentlichen Anhörungen dazu am vergangenen Montag und Dienstag statt. Die Entscheidung des IGH wird in etwa zehn Tagen erwartet.

Im Gegensatz zu der Klage Südafrikas gegen Israel wegen des Vorwurfs des Völkermordes bezieht sich Nicaragua laut Klageschrift (siehe Anhang) auch auf Deutschlands Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht, die sich aus den Genfer Konventionen von 1949 und ihren Zusatzprotokollen ergeben.

Außerdem wirft Nicaragua Deutschland vor, zwingende Normen des allgemeinen Völkerrechts nicht zu beachten und "Hilfe oder Beistand bei der Aufrechterhaltung des illegalen Apartheidregimes Israels geleistet zu haben" und dadurch das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes zu verhindern.

Der Umfang der Klage mit dem Bezug zu verschiedenen völkerrechtlichen Regelungen ist möglich, weil Deutschland dem Internationalen Gerichtshof als höchstes Gericht der Vereinten Nationen die volle Zuständigkeit für diese Bereiche eingeräumt hat. Wie die New York Times kommentiert, sei Deutschland daher ein leichteres Ziel für eine Klage als die USA, die jede Zuständigkeit des IGH außer in Fällen ihrer ausdrücklicher Zustimmung ablehnen.

Nicaraguas Klage wurde am 8. April von Rechtsanwalt und Diplomat Carlos José Argüello Gómez, von Jurist Daniel Müller, der seit Jahren in Frankreich tätig ist, und von Alain Pellet, Mitglied und ehemaliger Vorsitzender der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, vorgetragen.

Argüello erklärte in seiner Einführung, dass Deutschland gegen die den Staaten auferlegten Verpflichtungen des Völkerrechtes verstoßen habe, weil alle Staaten das in ihrer Macht Stehende tun müssten, um die Achtung dieser Grundnormen sicherzustellen und deren Nichteinhaltung verhindern müssten.

"Tatsache ist, dass die Gewährleistung von Nachschub und Ersatz von Rüstungsgütern der Schlüssel zu Israels anhaltenden Angriffen auf den Gazastreifen ist", sagte er. Deutschland sei sich der "großen Gefahr eines Völkermords" bewusst, schon in den ersten Tagen der israelischen Militäraktionen in Gaza seien die schwerwiegenden Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht für die deutsche Regierung offensichtlich gewesen.

Müller beschrieb die zunehmend verheerende Lage in Gaza und forderte von Deutschland, das zu tun, was das Völkerrecht fordere, nämlich seine Unterstützung, insbesondere die militärische, zu beenden und "die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch Israel sicherzustellen".

Pellet führte aus, die Bundesregierung habe 2023 Ausfuhren von Rüstungsgütern und Kriegswaffen an Israel im Wert von mehr als 326 Millionen Euro genehmigt. Deutschland sei im Oktober 2023 bereits der zweitgrößte Lieferant von Rüstungsgütern für Israel gewesen, jedoch zeige diese Zahl, dass die erteilten Ausfuhrgenehmigungen mehr als zehnmal so hoch waren wie im Jahr 2022 (32.288.819 Euro). Die meisten dieser Genehmigungen seien in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 erteilt worden, "nachdem Israel in den Gazastreifen einmarschiert war und seinen Krieg dort und gegen die Bevölkerung begonnen hatte".

Nicaragua fordere daher vom IGH, Deutschland anzuweisen, seine Hilfe für Israel einzustellen, insbesondere die Militärhilfe, einschließlich der Lieferung von Waffen, "die unter Verletzung der Völkermordkonvention, des humanitären Völkerrechts oder anderer zwingender Normen des allgemeinen Völkerrechts eingesetzt werden oder werden könnten".

Zudem solle die BRD angewiesen werden, dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, "der Organisation, die als einzige in der Lage ist, humanitäre Hilfe in Gaza zu leisten, nicht länger die Finanzierung und die Möglichkeit zu entziehen, seine Arbeit im Einklang mit seinem Mandat fortzusetzen", so Argüello.

Pellet nahm auch eine völkerrechtliche Einordnung der Klage vor. Weder Israel noch Deutschland könnten unter dem Vorwand, sie würden sich "verteidigen" oder dem Opfer eines Angriffs bei der Verteidigung helfen, von den Grundnormen des Völkerrechts selbst befreien, betonte er abschließend.

Die Leiterin der deutschen Delegation, Tania Freiin von Uslar-Gleichen, sagte bei der Anhörung am 9. April, dass Nicaragua mit seiner Klage eine einseitige Sicht des Konflikts eingenommen habe. Es verkenne sowohl den Sachverhalt als auch die Rechtslage in dieser Situation. Deutschland weise die "unbegründeten, haltlosen Anschuldigungen Nicaraguas zurück". Es bestehe kein Anlass für den IGH, einstweilige Anordnungen zu erlassen. Die frühere Vizepräsidentin des Bundesnachrichtendienstes ist Beauftragte für Fragen des Völkerrechts im Auswärtigen Amt.

Die Vertreter Deutschlands erklärten, nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel habe man das Selbstverteidigungsrecht Israels bekräftigt. Zugleich setze sich Deutschland für den Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen ein.

Im Bezug auf die von Nicaragua angeführten Waffenexporte argumentierte Völkerrechtler Christian Tams: "Fast 80 Prozent des Exportvolumens wurde vor Ende Oktober 2023 genehmigt", also vor dem Beginn der israelischen Militäroperationen in Gaza. Ein wesentlicher Teil der Exporte habe aus nicht direkt militärisch nutzbaren Gütern bestanden.

Nicaraguas Klage gegen Deutschland hat indes international Aufmerksamkeit erregt. So wurden die Anhörungen in arabischen Ländern teilweise live in den Medien übertragen und kommentiert. In deutschen Medien wurde vielfach berichtet, dass ein als "Diktatur" bezeichnetes Land mit Kontakten zu Moskau den IGH als Bühne für den Gaza-Konflikt benutze.

In Nicaragua wurde nicht nur die Klageschrift publiziert, sondern auch über die mündliche Anhörung ausführlich berichtet. Nicaraguas Vertreter Argüello, der auch schon vor 40 Jahren die Klage gegen die US-Regierung wegen des Contra-Krieges geführt hatte, wurde mehrfach interviewt.