Wahlen in Bolivien 2020

Am 18. Oktober finden nach mehrfacher Verschiebung erstmals wieder Präsidentschafts- und Parlamentswahlen seit dem Putsch gegen Präsident Evo Morales statt.

Der Wahltag beginnt ruhig in Santa Cruz

Eine erste Impression unseres Autors Andreas Hetzer am Wahlmorgen:

Die Straßen in Santa Cruz sind am Wahltag um 7 Uhr morgens noch komplett leer. Dies wird wohl auch so bleiben, denn wie immer bei Abstimmungen dürfen nur Autos mit Spezialerlaubnis fahren.

OAS für Rolle bei den Wahlen 2019 am Pranger, heute erneut in Bolivien

Die Vereinigung der Mütter vom Plaza de Mayo, die Liga für Menschenrechte und der Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel aus Argentinien haben beim UN-Hochkommissariat für Menschenrechte eine Beschwerde gegen den OAS-Vorsitzenden Luis Almagro eingereicht. Almagro kann als Mitverantwortlicher für die massiven Menschenrechtsverletzungen in Bolivien nach dem Sturz von Evo Morales gelten.

Nachdem seine Beobachtermission über die Präsidentschaftswahlen von 2019 Behauptungen eines Wahlbetrugs verbreitet hatte, die sich später nicht mehr halten ließen, kam es in dem südamerikanischen Land zu Unruhen und zur Verteibung des gewählten Präsidenten Evo Morales aus dem Amt und aus dem Land. Eine Putschregierung setzte sich an die Spitze der Staatsgewalt und verübte in der Folge Gewalt gegen Protestierende und die Zivilbevölkerung.

Auch bei den aktuellen Wahlen wird wiederum eine OAS-Delegation in Bolivien eine Rolle bei der Wahlbeobachtung einnehmen. Dagegen gab es Proteste, die De-facto-Regierung hingegen wünscht ihre Anwesenheit.

Stimmabgabe in Asien bereits beendet

Südkorea, China und Japan sind die ersten Länder, wo die im Ausland lebenden Bolivianer ihre Stimme für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgeben konnten. Aufgrund der Zeitverschiebung sind die Wahlen in den drei Ländern quasi beendet, wenn in Bolivien um 8 Uhr morgens in einer Stunde die ersten Wähler die Wahllokale betreten.

In Bolivien werden heute auch Vertreter indigener Organisationen gewählt

Heute werden in Bolivien neben den 123 Parteikandidaten für das Abgeordnetenhaus auch sieben indigene Vertreter über spezielle Listenplätze gewählt. "Die indigenen Kandidaten werden unabhängig von Parteilisten von indigenen Organisationen aufgestellt und gemäß deren eigenen Normen und originären Abstimmungsverfahren nominiert", wie Miguel Vargas, Direktor des Zentrums für Juristische Studien und Sozialforschung (CEJIS), gegenüber amerika21 erläutert. Die sieben Sitze seien ein Ergebnis der verfassunggebenden Versammlung im Jahr 2009. Erstmals konnten bei den Wahlen 2010 sieben indigene Vertreter ohne Parteizugehörigkeit ins Abgeordnetenhaus einziehen. Allerdings seien laut Vargas die Abstimmung und Nominierung auf den ländlichen Raum beschränkt. Indigene in den Städten wird kein zusätzlicher Wahlzettel für indigene Vertreter ausgehändigt.

Bolivien ist das Land mit dem höchsten Anteil an indigener Bevölkerung in Lateinamerika. Bei 11,5 Millionen Einwohnern bekennen sich 62 Prozent einem indigenen Volk oder einer indigenen Nation zugehörig. 36 indigene Sprachen werden nach wie vor aktiv gesprochen. "Aus diesem Grund hatte der Zusammenschluss indigener Völker des Tieflands (CIDOB) im Verfassungsprozess 36 spezielle Sitze im Parlament gefordert, die schließlich auf sieben heruntergehandelt wurden", kommentiert Vargas.

Wahlen in abgelegenen Gebieten Boliviens

In manche ländliche Regionen in Bolivien, wie etwa im Departamento Chuquisaca, müssen die Wahlunterlagen zu Fuß oder auf dem Rücken eines Maultiers hin- und zurückgebracht werden. Militär und Polizei überwachen den Transport.

In 108 der 452 Bezirke von Chuquisaca ist kein Internet-Signal vorhanden, weshalb bei den Wahlen im vergangenen Jahr die Übermittlung der Daten für die Schnellauszählung nicht möglich war.

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Wahlen in Bolivien inmitten der Covid-19-Pandemie

Bolivien gehört zu einem der Länder weltweit, die am stärksten von der Covid-19-Pandemie betroffen sind. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen finden deswegen unter höchsten medizinischen Sicherheitsvorkehrungen statt, was die Stimmabgabe in den Wahllokalen erheblich verzögern dürfte. Über 27.000 infizierte Personen müssen wegen der Wahlpflicht ebenfalls an die Urnen. Die Möglichkeit einer Briefwahl gibt es nicht.

Die bevölkerungsreichste Stadt des Landes, Santa Cruz, weist die meisten Infektionen auf. Bei einer Einwohnerzahl im Land von gerade mal 11,5 Millionen Menschen ist die Infektionszahl mit über 139.000 bestätigten Fällen enorm hoch. Allein gestern starben in Bolivien 24 Personen, davon 15 in Santa Cruz. Damit stieg die Gesamtzahl der Todesfälle auf 8.463. Zum Vergleich: Deutschland hat fast 360.000 bestätigte Infektionen und 9.773 Todesfälle, allerdings bei rund 83 Millionen Einwohnern.

Militär und Polizei in La Paz auf den Straßen

Gestern Nacht hat die Regierung der Interimspräsidentin Áñez den Sicherheitsplan "Alle für Bolivien" gestartet. Damit sind massiv Polizei- und Militäreinheiten zur Sicherung der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen auf Patrouillen ausgerückt.

Das Militär führt unter anderem schweres Geschütz mit sich. Der Regierungsminister, Arturo Murillo, sprach zu den Einheiten: "Handeln sie mit Bedacht, an ihre Familien denkend, immer mit Gott, denn wir stehen vor einem historischen Tag. Gott segne Bolivien, Gott segne jeden einzelnen von ihnen."

Das Netzwerk Peoples Dispatch teilte dazu ein Video über Twitter, in der die Polizeieinheiten darauf eingeschworen werden, am heutigen Wahltag bereitzustehen "um die Demokratie zu verteidigen". Murillo dankte ihnen noch einmal für ihren Einsatz im letzten Jahr, als "das Land vom Diktator befreit wurde".

Oberstes Wahlgericht wird keine vorläufigen Wahlergebnisse bekanntgeben

In Bolivien wird es am Sonntagabend keine vorläufigen Wahlergebnisse geben. Das Oberste Wahlgericht (TSE) hat zwölf Stunden vor Beginn der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen auf einer Pressekonferenz in La Paz verkündet, dass es keine Veröffentlichung der vorläufigen Resultate geben wird. Salvador Romero, Präsident des TSE, begründete die Entscheidung damit, dass der reibungslose Betrieb der Auszählung und die "vollständige Bekanntgabe der Resultate nicht mit Sicherheit" garantiert werden könne.

Da man nicht garantieren könne, dass die technische Umsetzung das angebrachte Vertrauen rechtfertige und man nicht zu einer Polarisierung der Situation wie im vergangenen Jahr beitragen wolle, sei die Schnellzählung ausgesetzt, so Romero weiter.

Die Delegationen internationaler Wahlbeobachtungsmissionen haben ihr Verständnis gegenüber der Entscheidung geäußert. Die Medien dürfen jedoch laut Wahlgesetz ab Sonntagabend 20 Uhr statistische Schätzungen veröffentlichen. Die offiziellen Wahlresultate werden für Mittwoch erwartet.

Heute wählt Bolivien

In Bolivien werden heute ein neuer Präsident sowie Abgeordnete für den Senat und das Abgeordnetenhaus gewählt. Hier geht es zu unserer heutigen Hauptmeldung zum Wahltag.

Das 2019 abgebrannte Wahlgericht von Santa Cruz

Nach den Wahlen im Oktober vergangenen Jahres gab es nach Verkündung der Ergebnisse schwere Ausschreitungen in mehreren Städten wegen angeblichen Wahlbetrugs. Das departamentale Wahlgericht von Santa Cruz wurde in der Nacht vom 22. Oktober 2019 in Brand gesteckt und komplett zerstört.

Ein Ladenbesitzer berichtet gegenüber amerika21, dass die Polizei und der Sicherheitsdienst in der Nacht der Ausschreitungen abgezogen wurden. Bis heute steht das Gebäude verschlossen und unverändert wie vor einem Jahr. Gegenüber gibt es weiterhin ein Meldebüro, wo sich Menschen unter anderem für die Wahl 2020 registrieren konnten.

Der Platz des Cristo Redentor: Ein wichtiger Ort für die Ultrarechte um Camacho in Santa Cruz

Noch ein weiterer Eindruck aus Santa Cruz von unserem Autor Andreas Hetzer:

Der Platz des Cristo Redentor. Im Hintergrund ist Wahlwerbung von Creemos zu sehen, der Allianz des ultrarechten Präsidentschaftskandidaten Luis Fernando Camacho. Dieser erfreut sich in Santa Cruz großer Beliebtheit.

Der Platz ist ein emblematischer Versammlungsort für Großdemonstrationen in Santa Cruz. Hier fanden die Proteste zum Autonomiereferendum 2008, der Streik nach den Wahlen im vergangenen Jahr und zuletzt die Abschlussveranstaltung der Kampagne von Creemos statt.

Camacho liegt in den letzten Umfragen landesweit auf dem dritten Platz. Viele hätten sich gewünscht, dass er seine Kandidatur zurückzieht, damit ein durchaus möglicher Sieg von Luis Arce der linken MAS verhindert werden kann. In Santa Cruz werden sie am Sonntag allerdings wohl mehrheitlich für Camacho als neuen Präsidenten stimmen.

Erste Eindrücke unseres Autors aus Santa Cruz am Tag vor den Wahlen

Unser Autor Andreas Hetzer ist gestern in Santa Cruz angekommen. Die Metropole im Tiefland ist die Hochburg des ultrarechten Kandidaten Luis Fernando Camacho.

Von dort wird er heute und während des morgigen Wahltags berichten. Dann geht es für ihn weiter am Montag in die Hauptstadt La Paz.

In einem ersten Gespräch, das er vor Ort geführt hat, wird schnell deutlich, wen viele hier morgen wählen werden bzw. wen eben nicht.

Carla La Fuente, eine Unternehmerin aus Santa Cruz, steht vor einer Gedenktafel zum 21-tägigen Streik nach den Wahlen und dem Putsch im letzten Jahr, und sagt:

"Venezuela und Nicaragua konnten ihre Diktatoren nicht aus dem Land schmeißen, aber wir haben es geschafft. Das war ein spiritueller Moment, der von jungen Leuten und Familien getragen wurde".

"Ich schwöre dir, dass die MAS nicht gewinnt. Die Umfragen stimmen nicht und sind manipuliert. Wir sehen hier bei den Kampagnen auf der Straße etwas Anderes. Tausende Menschen haben Camacho hier und in Beni und Pando zugejubelt. Mesa hat hier kaum Unterstützung und auch nicht in La Paz."

Wieso wurde das System der vorläufigen Auszählung der Stimmen unter De-facto-Präsidentin Áñez geändert?

Die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina berichtet von einer Beratung der Kandidaten der Bewegung zum Sozialismus (MAS), Luis Arce und David Choquehuanca, mit Vertretern indigener Organisationen über die Transparenz der Parlamentswahlen. Diese drückten dabei Besorgnis über die Änderung des Systems für die vorläufige Auszählung der Stimmen aus. Es ging auch um den Zugang zu den Protokollen bei der ersten Auszählung.

Die Beobachterin der Europäischen Union, María Teresa Mola Sainz, erklärte, dass das frühere TREP-System (Übermittlung vorläufiger Ergebnisse), das bei den Wahlen 2019 verwendet wurde, besser und zuverlässiger sei.

"Ich denke, das frühere System, bei dem die Fotos (des Protokolls) direkt verschickt wurden, war besser, denn wir alle wissen, dass, wenn etwas von einem Ort zum anderen geht, viele Dinge dazwischen passieren können", sagte Mola Sainz.

Die neue Gesetzgebung sieht die Veröffentlichung der Wahlprotokolle erst nach der offiziellen Auszählung vor, wenn es nicht mehr möglich ist, Beschwerden einzureichen.