Kolumbien / Europa

Kolumbiens Geheimdienst spioniert in EU

"Operation Europa": Debatte über ein Freihandelsabkommen offenbar gezielt beeinflusst

Bogotá/Brüssel. Ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kolumbien könnte von dem Geheimdienst des südamerikanischen Landes manipuliert worden sein. Das berichtete die einflussreiche belgische Tageszeitung Le Soir Mitte dieser Woche. Nach Recherchen des Blattes hat die kolumbianische Geheimdienstbehörde DAS systematisch Nichtregierungsorganisationen und Kritiker des rechtsgerichteten Regimes unter Präsident Alvaro Uribe in Belgien überwacht, um gezielt auch gegen die Gegner des geplanten Freihandelsabkommens vorzugehen. Der DAS sei verstärkt in Belgien tätig geworden, weil in Brüssel das EU-Parlament und führende Gremien der Union angesiedelt sind.

Publik wurde die Geheimdienstaktion, deren wahre Ausmaße noch nicht zu erfassen sind, durch Ermittlungen der ebenfalls kolumbianischen Polizeibehörde CTI, die der Staatsanwaltschaft des Landes unterstellt ist. Im April veröffentlichte die kolumbianische Fernsehstation RCN-TV Auszüge aus den von der CTI konfiszierten Geheimdienstakten. Demnach hatte der DAS einen seiner Mitarbeiter, Germán Villalba, damit beauftragt, ein Spionagenetzwerk in Europa aufzubauen.

Nach Informationen der beschlagnahmten "Akte Europa" sei zentrales Ziel der Aktion gewesen, Gegner der Uribe-Regierung zu überwachen. Le Soir gibt als weitere Zielvorgabe die Beeinflussung der Debatte über das Freihandelsabkommen an, das in der EU zahlreiche Gegner hat. Vor allem soziale Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen wenden sich gegen das Handelsabkommen mit der kolumbianischen Staatsführung, weil diese zahlreicher Verbrechen gegen die Menschenrechte bezichtigt wird.

Dass die Polizeibehörde CTI den Geheimdienst nun auflaufen lässt, ist kein Zufall. Der DAS untersteht direkt dem Präsidenten der Republik, Alvaro Uribe. Und der hat seit Jahren einen Konflikt mit der Staatsanwaltschaft, die Dutzenden Funktionären des Regierungslagers Verbindungen zu den ultrarechten Paramilitärs nachgewiesen hat. Mehrere politische Freunde und sogar Verwandte von Uribe sind deswegen in Haft, dem Präsidenten selbst droht nach dem baldigen Ende seiner Amtszeit und dem damit verbundenen Verlust der diplomatischen Immunität ein Verfahren in Kolumbien und auf internationaler Ebene. Vor diesem Hintergrund hat Uribe offenbar den DAS - mit 6.500 Agenten der größte Geheimdienst Lateinamerikas - direkt eingesetzt, um gegen seine Widersacher vorzugehen. Im eigenen Justizapparat ebenso wie in Europa.

Auch der kolumbianische Journalist und Buchautor Hernando Calvo Ospina, der wegen Morddrohungen im französischen Exil lebt, bestätigt nach eigenen Recherchen eine "Operation Europa" des Uribe unterstellten Geheimdienstes. Ziel sei es seinen Angaben zufolge gewesen, "Einfluss auf das juristische System der EU und die Menschenrechtskommission des EU-Parlamentes zu nehmen". Die flämische Zeitschrift MO* nennt drei Nichtregierungsorganisationen, die von der kolumbianischen Geheimdienstoffensive in der EU direkt betroffen sind: die flämische, katholische Organisation Broederlijk Delen, Oxfam Solidaridad und die kolumbianische Exilgruppe Oidhaco.

Die Fraktion der Grünen im Europaparlament hat die EU-Führung Ende April aufgefordert, den Skandal aufzuklären. Bislang kam aus Brüssel keine Antwort.