Haiti

Die beiden Bürden Haitis

Kommentar von amerika21-Redakteur Harald Neuber

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Die beiden Bürden Haitis
Verzweiflung nach dem Beben

Exakt eine Woche nach dem verheerenden Erdbeben von Haiti ist die Opferzahl nach wie vor unklar. Die Ausmaße lassen sich rational ohnehin nicht mehr erfassen. Eine weitere Unklarheit wird selbst bleiben, wenn die UNO in einigen Wochen, vielleicht Monaten, eine endgültige Zahl der Opfer nennt: Wie viele von ihnen wurden vom Erdbeben getötet, wie viele vom Kapitalismus?

Wie selten in der Geschichte stehen dieses System und der Tod zehntausender Menschen in einer solch direkten Verbindung wie nun in Haiti. Die meisten Toten, das ist schon jetzt klar, sind in den Armenvierteln zu beklagen. Diese Siedlungen sind zu einem erheblichen Teil von ehemaligen Landarbeiterfamilien bevölkert. Sie kamen nach Port-au-Prince und in andere Städte, weil sie sich mit ihren Produkten nicht gegen die aus Washington von US-Regierung und Internationalem Währungsfonds aufgezwungenen Billigimporte behaupten konnten.

Die Handelsliberalisierung radierte zunächst die Landwirtschaft aus, dann tötete das Beben die Landarbeiter.

Die Schwächung des Staates und der Abbau der Sozialsysteme tat sein Übriges. Wie viele Verletzte würden in diesem Moment nicht sterben, wenn Haiti ein so vorbildliches Gesundheitssystem wie Kuba hätte? Tatsächlich aber ächzt Haiti unter einer doppelten Bürde: dem Unglück der Natur und dem Elend des Systems.

Vor diesem Hintergrund erscheint auch die massive Militarisierung des Karibikstaates durch die USA vor einem anderen Hintergrund. Bis zu zehntausend Soldaten hat Washington in den vergangenen Tagen nach Haiti mobilisiert, den Kornsack auf der einen Seite, das Gewehr auf der anderen.

Die USA, so zeigt sich, können aus ihrer klassischen imperialistischen Rolle nicht ausbrechen. Obgleich sie selbst Teil der Misere sind.


Bildquelle: Prensa Latina