Spanien / Lateinamerika

Spaniens Lateinamerika-Politik in der Kritik

Zapatero versucht den Spagat zwischen eigenständiger Außenpolitik und Annäherung an die USA

Madrid. Die spanische Außenpolitik - besonders mit Blick auf Honduras - ist in die Kritik der deutschen bürgerlichen Presse und der Liberalen geraten. Das publizistische Flaggschiff des Großbürgertums, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), schießt ebenso gegen die "Meister des Schmusekurses" wie die FDP-nahe "Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit" (FNS). Letztere hat die neoliberalen Putschisten in Tegucigalpa vor dem Staatsstreich beraten und tritt in Deutschland als deren Fürsprecher auf.

Am 10. August stellte der Spanien-Korrespondent der FAZ, Leo Wieland, fest: "Spanien gibt in der EU den Lateinamerika-Ton an". Das wundert eigentlich nicht, denn jeder EU-Mitgliedsstaat ist bestrebt, sich eine oder mehrere Domänen zu sichern, um damit seinen Wert innerhalb der Union zu steigern. Spanien ist da keine Ausnahme, sondern die Regel. Seit seinem Beitritt zur NATO und EG (1986) hat sich Madrid quasi das Exklusivrecht erstritten, die Brüsseler Interessen in Lateinamerika zu vertreten. Davon ausgenommen ist lediglich Brasilien, das historisch und sprachlich bedingt, über Portugal seinen Hauptkontakt ins politische Zentrum der EU hält. Dass Spanien zum EU-Sprecher für Lateinamerika aufsteigen konnte, verdankte es dem ersten sozialdemokratischen Premier Felipe González (1982-1996). Das Mitglied der Sozialistischen Spanischen Arbeiterpartei (PSOE) - und Schützling des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt und des wegen Korruption aus dem Amt entfernten venezolanischen Präsidente Carlos Andrés Pérez - brauchte diesen außenpolitischen Erfolg, um innenpolitisch den EG-Beitritt verkaufen zu können, der zur Vernichtung tausender von Arbeitsplätzen in der Schwerindustrie und im Fischereiwesen geführt hatte.

González' Nachfolger im Amt, der Postfranquist José María Aznar von der Volkspartei (PP), nutzte Madrids exponierte Stellung gegenüber Lateinamerika, um sich voll und ganz im Dienst der US-Außenpolitik unter George W. Bush zu stellen. Er gehörte zu den schärfsten Gegnern des sozialistischen Kubas. Der Comandante der kubanischen Revolution, Fidel Castro, reagierte 2003, indem er Aznars außenpolitisches Auftreten in Lateinamerika auf das Mass eines "Führercitos" (Führerchen) zurechtstutzte. 2002 war die Regierung Aznar in den Putsch gegen Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez involviert und deckte ihn außenpolitisch ab. Der US-amerikanisch gesteuerte Staatsstreich ereignete sich just zu dem Moment, als Spanien die EU-Präsidentschaft innehatte.

Der neue spanische Premier José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) und sein Außenminister Miguel Angel Moratinos versuchen seit 2004, die Folgen von Aznars einseitiger Diplomatie zu korrigieren. Zum einen möchte das Duo eine neue spanische Selbständigkeit zwischen dem deutsch-französisch dominierten "Kerneuropa" und den USA an den Tag legen. So erklärt sich, warum Madrid die "Samthandschuhe" anlegt, wie die FAZ kritisiert, wenn sie sich den linken Regierungen in Venezuela, Kuba, Bolivien und Nicaragua nähert. Dieser Politik entspricht, dass Moratinos den Putsch in Honduras als solchen verurteilt hat und den Rückzug der EU-Botschafter initiierte. Was die FAZ als "Sehschwierigkeiten auf dem linken Auge" diagnostiziert, ist der Versuch von Zapatero und Moratinos, Spanien in die Rolle des "ehrlichen Maklers" zu manövrieren, um damit angesichts von Wirtschaftskrise und Baskenproblem innenpolitisch zu punkten.

Hierzu gehört zum anderen auch, die durch den Rückzug der spanischen Truppen aus dem Irak tiefgefrorenen Beziehungen zu den USA wieder aufzutauen. Im Gegensatz zu Aznars Frontalangriffen setzt die Regierung Zapatero auf die Brandtsche Politik vom "Wandel durch Annäherung", was das progressive Lateinamerika betrifft. De facto unterstützt sie aber die US-Honduraspolitik, die Rückkehr des gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya bis zur Präsidentenwahl hinauszuzögern, indem sie es bei hehren Worten und Gesten belässt.

Letzteres missfällt der postfranquistischen Opposition, die spätestens 2012 zurück an die Macht will. Damit Zapatero nicht ab 2010 die EU-Präsidentschaft für seine Außenpolitik nutzen kann, bringt die PP ihre mittel- und osteuropäischen Verbündeten in Stellung. Diese geben in Brüssel den antikommunistischen Ton gegenüber Havanna und Caracas an. In den Chor hat auch die FDP mittels des FNS-Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt eingestimmt. Der urteilte am 6. August im Interview mit dem Springer-Blatt "Welt": "Spanien hat vorschnell geurteilt und keine umfassende Lagebewertung vorgenommen." Die FDP-Kritik an der spanischen Lateinamerika-Politik könnte noch lauter und nachhaltiger werden, wenn die Liberalen nach der Bundestagswahl ihre alte Domäne, das Auswärtige Amt, wieder erhalten. Es bleibt abzuwarten, wie die Regierung Zapatero die EU-Präsidentschaft nutzen wird, um ihre Interessen und die der EU in Lateinamerika und in der Karibik umzusetzen.