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Blamage ohne Grenzen

Politische Manipulation: UN-Kulturorganisation UNESCO zog sich von Protestaktion einer französischen Reporterorganisation gegen Internetzensur zurück

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Blamage ohne Grenzen
Hauptsache, finanzkräftige Sponsoren: Robert Ménard in Brüssel

Paris. Die Demonstrationen waren weltweit geplant. Parallel sollten von Mittwoch- bis Donnerstagnachmittag in Peking, Pjöngjang, Rangoon, Havanna und anderen Städten Menschen für Meinungsfreiheit auf die Straße gehen. Aufgerufen zu der Aktion hatte die Presseorganisation "Reporter ohne Grenzen" (RSF) -online. Am ersten "Internationalen Tag für freie Meinungsäußerung im Internet" riefen die RSF Internetnutzer auf, auf der Onlinepräsenz der Organisation Orte zu besuchen, "die für Internet-Repressalien stehen". Der virtuelle Protest richtete sich unter anderem gegen Staaten wie Kuba, China, Myanmar oder Nordkorea. "Ein Mausklick in den entsprechenden Ort macht den Nutzer zum Demonstranten", hieß es in einem Werbeschreiben der RSF.

Rückzug der UNESCO

Doch dann wollten nicht mehr alle mitmarschieren. Kurz vor Beginn der Onlinedemonstration zog die UN-Kulturorganisation UNESCO ihre Patenschaft für den Aktionstag zurück. Zwar setze man sich "weiterhin für die freie Meinungsäußerung im Internet ein", heißt es in einer Erklärung. Dies habe UNESCO-Generalsekretär Koïchiro Matsuura gegenüber RSF Mitte Februar auch versichert. Matsuura habe aber auch darauf hingewiesen, dass die UNESCO als UN-Organisation nicht mit Protestaktionen gegen einzelne Mitgliedsstaaten in Verbindung gebracht werden könne. Gegen diese Vereinbarung habe RSF verstoßen, hieß es in der kurzen Erklärung zum Rückzug der Kulturorganisation, die auch darauf verwies, dass ihr Logo im Zusammenhang mit entsprechenden Aktionen verwendet worden sei.

Zuvor war es offenbar zu massiven Protesten von Mitgliedsstaaten gekommen. Der kanadische Journalist Jean-Guy Allard zitiert einen anonymen Vertreter der UNESCO aus Paris mit scharfer Kritik an der französischen Mediengruppierung. "Die UN-Organisation hat die Entscheidung wegen der ethischen Mängel in der Arbeit von RSF getroffen", wird der namentlich nicht genannte UNESCO-Mitarbeiter zitiert. Übel aufgestoßen sei vor allem der Umstand, dass es sich bei den von RSF kritisierten Staaten ausschließlich um Entwicklungs- oder Schwellenländer handelt. Dieses Vorgehen stimme weder mit der Einstellung noch mit den Zielen der UNESCO überein. Als internationale Organisation läge es nicht in ihrem Interesse, sich als Tribunal zu inszenieren oder Effekt haschende Aktionen auszurichten.

Hinter dem Konflikt steht die politische Rolle der Reporter ohne Grenzen. Schon in der Vergangenheit war die Organisation mehrfach in die Kritik geraten, weil sie vehement gegen links regierte Staaten vorging. Im Gespräch mit "junge Welt" wies die Sprecherin der deutschen RSF-Vertretung, Katrin Evers, am Donnerstag zwar auf ebenso geäußerte Kritik an Gewalt gegen Medien im US-besetzten Irak hin. Der Kanadier Allard sah den Aktionstag gegen Internetzensur jedoch "in erster Linie gegen China gerichtet". Allard verwies auf die engen Kontakte des RSF-Gründers Robert Ménard nach Taiwan und dessen China kritische Führung. So habe Ménard Ende Januar vergangenen Jahres von der Regierung Taiwans eine Ehrung und ein Preisgeld in Höhe von 100000 US-Dollar entgegengenommen. Damals habe er sich "verpflichtet, weitere Internetseiten mit dem Ziel zu entwickeln, die Volksrepublik China zu attackieren".

Link nach Washington

Aber auch unabhängig von ihrem Gründer unterhält die Organisation bedenkliche Kontakte. So wurde der "Internationale Tag für freie Meinungsäußerung im Internet" von der Werbeagentur Saatchi & Saatchi mit Sitz in New York unterstützt. Die Firma ist Teil von Publicis, dem viertgrößten Werbekonzern der Welt. Zu dessen Kunden gehören indes nicht nur die Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen", sondern auch Walt Disney, Coca Cola, McDonalds - und die US-amerikanische Armee.

Doch bestehen auch direkte Kontakte zur US-Staatsführung. Nachdem entsprechende Vorwürfe von RSF lange geleugnet wurden, gab Ménard zuletzt zu, dass seine 1985 gegründete Organisation Gelder von der US-Entwicklungsorganisation USAID erhält. USAID finanziert zugleich die Opposition gegen die Regierungen von Kuba, Venezuela und Bolivien. Ebenso unterhalten die "Reporter ohne Grenzen" Verbindungen zu der rechten US-Denkfabrik American Enterprise Institute. Die deutsche RSF-Sprecherin Evers will die Kritik daran jedoch nicht gelten lassen. Die US-Gelder machten weniger als ein Prozent des gesamten Etats aus", sagte sie im Gespräch: "Zudem waren sie für ein Projekt in Afrika bestimmt."

Auch den Rückzug der UNESCO-Patenschaft mochte man in der RSF-Zentrale nicht verstehen. In ersten Reaktionen wurde der UN-Organisation "Feigheit" unterstellt. Die UNESCO habe sich offensichtlich unter Druck setzen lassen. Aus der ebenfalls in Paris ansässigen UNESCO-Zentrale kam die prompte Entgegnung: "Wir haben ein klares Mandat, die Meinungsfreiheit zu verteidigen", heißt es in der Erklärung zum Streit: "Allerdings beachten wir auch die Souveränität unserer 193 Mitgliedsstaaten."


Zur Person

Robert M E N A R D:

Gegründet wurden die Reporter ohne Grenzen (RSF) 1985 von dem Franzosen Robert Ménard. Er ist bis heute unangefochtener Leiter der Organisation, die nach eigenen Angaben das Ziel verfolgt, weltweit die Pressefreiheit zu unterstützen. Ménard ist bei der Wahl seiner Bündnispartner wiederholt in die Kritik geraten, vor allem wegen seiner engen Kontakte zu US-Regierungsorganisationen. Beobachter sehen zwischen dieser Zusammenarbeit und der extrem kritischen Haltung gegenüber Kuba einen direkten Zusammenhang. So wurde Ménard Ende 2004 in Miami, der Hochburg des antikubanischen Exils, mit allen Ehren empfangen. Bei dem Besuch kam er mit Vertretern rechter Exilorganisationen zusammen, unter anderem mit dem mutmaßlichen Terroristen Felipe Valls. Interviews gab Ménard damals nicht nur der konservativen Tageszeitung Miami Herald, sondern auch der Radiostation WQBA. Auch deren Besitzer ist ein mutmaßlicher Terrorist: Armando Pérez-Roura. Weitere Stationen Ménards waren der »Kubanische Freiheitsrat« und das Studienzentrum ICCAS, das unter der Leitung des antikommunistischen Historikers Jaime Suchlicky steht.

Besonders in Lateinamerika spielen die Reporter ohne Grenzen eine eindeutige politische Rolle. So steht Ménard in ständigem Austausch mit der "Interamerikanischen Pressegesellschaft" (SIP), einem Zusammenschluß von Medienkonzernen. Als Wirtschaftsorganisation gehört die SIP zu den schärfsten Kritikern der Verstaatlichungspolitik in Bolivien und Venezuela. Als es in Caracas im April 2002 zu einem Putschversuch gegen die Regierung von Hugo Chávez kam, äußerte sich die venezolanische RSF-Vertreterin María Pérez Schael zugunsten der rechten Militärs. Erst nach massiven Protesten wurde sie aus der Organisation entlassen. Ménard aber unterhält auch weiterhin enge Kontakte zur rechten Opposition in Venezuela.

Allerdings nimmt RSF dabei eine äußerst unkritische Haltung gegenüber den westlichen Ländern ein. Nach Auskunft der Online-Enzyklopädie Wikipedia antwortete Ménard 2001 auf die Frage nach der Pressekonzentration in Frankreich: "Damit würden wir das Risiko eingehen, einige Journalisten zu verstimmen, uns die großen Pressebarone zum Feind machen und uns den Zorn der Wirtschaft zuziehen". Das Ergebnis dieser Denkweise sei offenbar eine Konzentration der Kritik auf Länder wie Kuba, Belorussland, Russland und China.


Den Originaltext der Tageszeitung junge Welt finden Sie hier.