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Kuba wählt

Heute Abstimmung über Nationalversammlung und 16 Provinzparlamente. Erkrankter Fidel Castro erneut nominiert

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Kuba wählt
Heute wird gewählt

Havanna. Besucher Kubas haben in den vergangenen Wochen und Monaten kaum etwas vom Wahlkampf in dem Karibikstaat mitbekommen. Obwohl an diesem Sonntag gut acht Millionen Wählerinnen und Wähler aufgefordert sind, die Abgeordneten von Nationalversammlung und 16 Provinzparlamenten zu bestimmen, ist von der Kampagne im Straßenbild kaum etwas zu sehen. Diese Unscheinbarkeit hat Prinzip. Denn während in den nahen USA die Akquise von millionenschweren Wahlkampffonds über den Machtwechsel zwischen zwei Parteien, Demokraten und Republikanern, entscheidet, ist Wahlwerbung in Kuba verboten. Lediglich A-4-Blätter sieht man bisweilen in den Fensterscheiben öffentlicher Gebäude. Darauf sind Passbilder der Kandidaten zu sehen und ihre Biographien.

Es sei ein "ethischer Grundsatz", dass in Kuba keine teuren Kampagnen stattfinden, oder die Kandidaten von Konzernen Finanzhilfe erhalten, heißt es in einer Informationsschrift, die von Kubas Vertretung vergangene Woche in der UNO verbreitet wurde. Es gebe auch keine Demonstrationen für eine Seite, Fernsehspots oder falsche Wahlversprechen. Statt dessen würden die Kandidaten in Basisversammlungen nominiert. 41000 solcher Zusammenkünfte haben in den vergangenen Wochen stattgefunden.

Insgesamt stehen am Sonntag 1815 Kandidaten zur Wahl. 614 von ihnen werden in die Nationalversammlung gewählt, die übrigen in die Regionalparlamente der 16 Provinzen. Es ist die zweite Runde der allgemeinen Wahlen. Bereits im vergangenen Oktober waren die 15000 Mitglieder der Kreistage bestimmt worden. Eine notwendige Bedingung, wie Kubas Botschafter in Deutschland, Gerardo Peñalver, gegenüber junge Welt erklärte: "Denn die Hälfte der Mitglieder der Nationalversammlung stammt aus den Kreistagen". So sei nicht nur garantiert, dass die Basis vertreten ist, sondern auch die entlegenen Provinzen. Die andere Hälfte der Abgeordneten schließlich würde von den sechs großen Massenorganisationen des Landes vorgeschlagen. Weil die Abstimmung über die Kandidaten so im Grunde schon vorab stattfindet, bleiben am Ende 614 Kandidaten für 614 Sitze übrig. Einen automatischen Einzug in die Nationalversammlung in Havanna gibt es jedoch nicht. Jeder der vorgeschlagenen Parlamentarier muss immer noch mindestens 50 Prozent der gültigen Stimmen bekommen, erklärte Botschafter Peñalver. Und er fügte an: "Die Kommunistische Partei Kubas schlägt weder Kandidaten vor, noch bewirbt, empfiehlt oder unterstützt sie einen einzelnen Aspiranten."

All das interessiert die Medien im Ausland herzlich wenig. Hier findet vor allem einer der Kandidaten Beachtung: Fidel Castro. Der inzwischen 81jährige hat sich zwar am 31. Juli 2006 aus der aktiven Politik zurückgezogen, um die Ämter seinem jüngeren Bruder und Vizepräsidenten Raúl Castro zu übergeben. Seine erneute Kandidatur aber ebnet ihm - theoretisch zumindest - den Weg zurück an die Staatsspitze. Denn aus dem Kreis der 614 Nationaldelegierten wird Anfang März der 31köpfige Staatsrat gewählt werden. Dessen Vorsitzender ist zugleich Präsident. Und der hieß seit Etablierung dieses politischen Systems 1976 Fidel Castro.

Dass sich auch nach seinem Abtritt niemand über den wahren Charakter des politischen Systems Gedanken macht, verhindert ein Verständnis der kubanischen Realität. Das erkannte auch Julia Sweig, Lateinamerika-Expertin beim US-Think-Tank Council on Foreign Relations. In einem vielbeachteten Aufsatz schrieb sie vor einem Jahr in der politischen Monatszeitschrift Foreign Affairs: "Kuba ist keine Mehrparteiendemokratie, aber es ist ein funktionierendes Land mit politisch denkenden Bürgern, in dem gewählte Politiker sich auf lokaler Ebene um die Probleme der Menschen kümmern". Das Dilemma sei über Jahrzehnte hinweg gewesen, dass man in Washington davon ausgehe, dass in Kuba keine Politik stattfindet, so Sweig.

Das ist Realismus, keine Einsicht. Denn tatsächlich hat das kubanische System nicht nur zum Überleben der Revolution beigetragen. Es wird als "partizipative Demokratie" inzwischen in ganz Lateinamerika diskutiert.


Der Originalartikel in der Tageszeitung junge Welt findet sich hier.