Kuba

Kulturell souverän

17. Internationale Buchmesse in Kuba: Der Boykott Berlins ist gescheitert. In diesem Jahr gleich doppelte Präsenz aus Deutschland

Im Umgang mit Kuba sind die westlichen Medien vom Regen in die Traufe geraten. Über Jahrzehnte hinweg haben sie ein funktionierendes politisches System in dem sozialistischen Karibikstaat geleugnet. Kubas Revolution bedeutete aus der Sicht hiesiger Meinungsmacher nicht mehr als die Allmacht ihres Anführers Fidel Castro. Die Fokussierung auf den »greisen Diktator«, wie es in der Berliner tageszeitung, dem Springerblatt Die Welt oder im Auslandssender Deutsche Welle unisono heißt, ersparte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Errungenschaften des kubanischen Sozialismus. Über Jahrzehnte hinweg mussten sich die Apologeten des Anticastrismus dafür zwar die Kritik derer gefallen lassen, die es besser wussten. Adorno etwa, oder Hemingway. In Erklärungsnot aber befinden sie sich seit eineinhalb Jahren. Im Spätsommer 2006 trat Fidel Castro von seinen Ämtern zurück. Politisch hat sich in der Inselrepublik seither nichts geändert. Deutlich wird dadurch, dass Kubas Sozialismus mehr ist, als die Tropendiktatur, als die er dargestellt wird.

Dabei genügt ein Besuch Havannas im Februar, um zu begreifen, was die westlichen Medien verschweigen. In Kubas Hauptstadt findet dann die Internationale Buchmesse statt. Über 600000 Menschen werden auch ab dem heutigen Mittwoch wieder auf dieses Volksfest der Kultur in der alten Festungsanlage San Carlos de la Cabaña über dem Hafen von Havanna strömen. Sie sind der Beweis für die Erfolge der revolutionären Kulturpolitik. Nach 1959 war die Alphabetisierung einer der ersten Erfolge der noch jungen revolutionären Regierung. Heute arbeiten in Kuba 155 Verlage. Bücher werden staatlich subventioniert, die meisten kosten umgerechnet nur wenige Eurocents.

Kein Wunder also, dass dieses greifbare Resultat der Revolution von denen ins Visier genommen wird, die für einen Regimewechsel in Kuba kämpfen. Als Havanna im Frühjahr 2003 mit repressiven Mittel auf eine vor allem von Washington beförderte Flüchtlingswelle reagierte und mehrere Dutzend Regierungsgegner vor Gericht stellte, die mit US-amerikanischen Behörden zusammengearbeitet hatten, boykottierten mehrere EU-Staaten die Buchmesse Anfang 2004. Deutschland, das damalige Gastland, übte damit eine billige Revanche. Der Gegenschlag auf kulturellem Feld gefährdete die Geschäfte mit Kuba kaum, zugleich signalisierte Berlin Wa­shington Bereitschaft zur Kooperation. Mit erheblichem Kraftaufwand hatte seither junge Welt gemeinsam mit Organisationen der Kuba-Solidaritätsbewegung über das eilends gegründete »Büro Buchmesse Havanna« eine alternative Präsenz organisiert - und den Kulturboykott erfolgreich gebrochen.

Diese Erkenntnis hat sich inzwischen auch in Deutschland eingestellt. Nach einer »mehrjährigen Pause«, so heißt es auf der Internetseite der Frankfurter Buchmesse, organisiere man wieder einen Gemeinschaftsstand deutscher Verlage in Havanna. Nach einer Testpräsenz im vergangenen Jahr ist die Ausstellungs- und Messe GmbH des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V. als Partner des Auswärtigen Amtes erstmals wieder regulär vor Ort und präsentiert Bücher aus rund 100 Verlagen. Anders als im Fall der Ausstellungen in Buenos Aires oder im mexikanischen Guadalajara komme man aber nicht nach Havanna, um Geschäfte zu machen, sagt Dieter Schmidt, der den Stand in der kubanischen Hauptstadt betreut. Warum er dann teilnehme? »In Kuba gibt es nach wie vor viele Menschen, die an deutschen Büchern interessiert sind.« Von einem Boykott der Messe in den vergangenen Jahren will Schmidt jedoch nichts wissen. »Ich würde das nicht so nennen«, sagt er. Er will die »ziemlich differenzierte Geschichte« der letzten Jahre lieber auf sich beruhen lassen.

Innerhalb der Frankfurter Messe hatte der von Berlin verordnete Boykott zu schweren Auseinandersetzungen geführt. Die Rückkehr der Frankfurter Messe und der Berliner Regierung wird nun in Havanna zwar begrüßt. Doch ein Rest Skepsis bleibt. Die offizielle Präsenz könnte jederzeit wieder zur politischen Einflussnahme benutzt werden. junge Welt und die Freundschaftsgesellschaft BRD-Cuba e.V. haben daher erneut einen eigenen Auftritt organisiert. Für die kommende Exposition 2009 haben mehrere linke Verlage und Organisationen Interesse angemeldet, unabhängig von der Frankfurter-Messe-GmbH nach Havanna zu kommen. Diese Aussteller wollen so verhindern, dass sich die Erfahrung von 2004 wiederholt.

Die eigentliche Niederlage aber hat Kuba selbst den Boykotteuren beigebracht. Selbst der Frankfurter-Messe-Vertreter Schmidt erkennt an, dass die mehrjährige Abwesenheit der deutschen Regierungspräsenz kaum jemandem aufgefallen ist. Das lag nicht nur am »Büro Buchmesse Havanna«, sondern auch an dem riesigen Angebot aus Kuba und lateinamerikanischen Staaten. Europa ist hier willkommen, aber nicht unabdingbar. Die kulturelle Souveränität, die auf der Buchmesse deutlich wird, spiegelt sich indes auch auf der politischen Ebene wider. Am 24. Februar, dem letzten Tag der Ausstellung in Havanna, wird in Kuba der neue Staatsrat bestimmt. An diesem Tag wird sich entscheiden, ob Fidel Castro wieder an die Spitze gewählt wird. Wie das Ergebnis auch ausfällt, es wird an der Stabilität Kubas nichts ändern. Aber die westlichen Medien werden einmal mehr erklären müssen, was sie nicht erklären wollen: Dass Kuba kulturell und politisch eine Eigenständigkeit erreicht hat, an der Boykotte ebenso abprallen wie die immer wiederkehrenden Versuche direkter Einflussnahme.


Den Originaltext der Tageszeitung junge Welt finden Sie hier