Venezuela

Politische Lektionen

Nach Referendum in Venezuela. Ein Kommentar von Harald Neuber

Caracas. Die Niederlage der venezolanischen Regierung beim Verfassungsreferendum am Sonntag hat eine paradoxe Situation geschaffen: Während die Unterlegenen souverän regieren, gerät die internationale Presse in Erklärungsnot. Denn Präsident Chávez hat sich nicht so verhalten, wie sie ihn präsentiert hat: als "südamerikanischen Autokraten" (Bild) mit "diktatorischen Zügen" (Die Welt), der auf "mehr Macht" (Frankfurter Rundschau) aus sei und dessen Hauptziel im "populistisch-diktatorischen Anziehen der Herrschaftsschraube" (Neue Zürcher Zeitung) liege. Nichts dergleichen: Chávez trat vor die Presse, beglückwünschte die Sieger und kündigte an, weiter für seine Politik zu werben. Demokratisch, wie seit Amtsantritt 1999.

Natürlich sollten aber nicht nur die Medien in sich gehen, sondern auch die Funktionsträger des Chavismus. Ihm ist es bei 44 Prozent Wahlenthaltung nicht gelungen, die eigene Basis hinreichend zu mobilisieren. Die Opposition hingegen hat von ihrem Boykott der Demokratie abgelassen. Sie hat damit - zunächst - den Weg der politischen Gewalt verlassen.

Der Grund für die aktuelle Schwäche des Chavismus ist vielfältig. Angesichts der zunehmend revolutionären Tendenz haben die reformistischen Kräfte Chávez zuletzt den Rücken gekehrt. Wie schon so oft in der Geschichte verbünden sich die sozialdemokratischen Parteien in einer entscheidenden Phase des gesellschaftlichen Wandels mit dem Klassengegner. Kaum deutlicher wurde dies in der Einladung, die dem neoliberalen Ex-Präsidenten Boliviens von der bisherigen Koalitionspartei Podemos als Wahlbeobachter ausgesprochen wurde. Kaum war er in Venezuela eingetroffen, beschimpfte Quiroga Präsident Chávez als »Diktator«.

Bedeutsamer als diese offene Abkehr des reformistischen Lagers von der bolivarischen Revolution aber ist die Skepsis der Basis. Sie beginnt, sich gegen die Institutionalisierung der Revolution zu wehren und beharrt auf ihre Unabhängigkeit, die ihr durch die Reform in Teilen genommen worden wäre. Wenn eine uneingeschränkte Rückbesinnung auf die Basisbewegungen als Motor der Revolution eine Folge der Niederlage ist, dann war sie nicht umsonst. Orientiert die Staatsführung nun auf ein neues Bündnis mit den reformistischen Kräften - wie es etwa der deutsche Soziologe und Venezuela-Kenner Heinz Dieterich fordert, - wäre diese Niederlage aber der Anfang vom Ende der bolivarischen Revolution.


Den Originaltext der Tageszeitung junge Welt finden Sie hier.