Argentiniens Kampf gegen die Straffreiheit

Mehr als 400 Verurteilungen in 2012. Auch ehemalige Diktatoren wegen "systematischen Baby-Raubes" zur Verantwortung gezogen

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Mütter der Plaza de Mayo
"Verschwundene Kinder" – Mütter der Plaza de Mayo auf der Suche nach ihren verschwundenen Kindern und Enkeln

Buenos Aires. Dreißig Jahre nach dem Ende der letzten Militärdiktatur in Argentinien sind im Verlauf des vergangenen Jahres in 25 Fällen bis zu 50-jährige Haftstrafen verhängt worden. Unter den etwa 400 Verurteilten befinden sich die beiden Ex-Militärdiktatoren Jorge Rafael Videla (1976-1981) und Reynaldo Bignone (1982-1983). Laut der Bilanz der argentinischen Nachrichtenagentur Télam greift mit dem Urteilspruch von fünfzig Jahren Haft für den Militärführer Videla die Höchststrafe im argentinischen Recht. Damit gilt zugleich als bewiesen, dass die Generäle nach einem "systematischen Plan" vorgingen, als sie politischen Gefangenen in Folterlagern ihre Kinder rauben ließen.

Während der Diktatur (1976-1983) fielen nach Angaben von Menschrechtsorganisationen 30.000 Menschen dem Staatsterror zum Opfer. Neben linkspolitischen Regimekritikern betraf das auch Studenten und Intellektuelle. Die juristische Behandlung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie in den Fällen der Kindesentführungen, sind häufig eine Möglichkeit zur Debatte über die Folgen der Diktatur. Oft wenden sich Adoptivkinder auf der Suche nach ihrer wahren Identität an die Öffentlichkeit. Ihre Eltern gehören zu den sogenannten Verschwunden ("Desaparecidos") und ihre Mütter wurden nach der Geburt in Haft ermordet. Nicht selten wurden die Kinder in andere Familien im Umfeld der Militärs weggegeben. Von medialem und öffentlichem Interesse wurde auch der Prozess Videlas und Bignones begleitet. Beide Angeklagten waren damals bereits inhaftiert und zu lebenslangen Strafen verurteilt.

In diesem Zusammenhang steht auch der Fall der Mehrheitseignerin der Mediengruppe Clarín S.A., Ernestina Herrera de Noble, und deren Adoptivkinder. Erst im Oktober 2012 konnte eine Adoption von "Verschwundenen" mangels DNA-Übereinstimmung mit den mutmaßlichen Eltern ausgeschlossen werden. Die Verquickung des Medienkonzerns mit den unmittelbaren Folgen der Diktatur war wegen des andauernden Konflikts mit der Kirchner-Regierung um das neue Mediengesetz besonders brisant. Kritische Stimmen sehen in den Nachforschungen gegen Noble eine Strategie der Regierung, um die Marktposition und die Legitimation des Konzerns in der Bevölkerung zu schwächen.

Die Strafverfolgung der Verbrechen an der Menschlichkeit begann in Argentinien im Jahr 1983 mit der Gründung der Nationalkommission über das Verschwinden von Personen (CONADEP) durch die erste demokratisch gewählte Regierung. Seither tragen zivilgesellschaftliche Akteure, wie etwa die Menschenrechtsorganisation Asociación Madres Plaza de Mayo maßgeblich zur Aufarbeitung der kollektiven Erinnerung und Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen bei. Seit die Amnestiegesetze für unwirksam erklärt wurden – darunter das Schlusspunktgesetz (Ley de punto final) und das Gesetz über den Befehlsnotstand (Ley de obediencia debida) – und mit dem Beginn der sogenannten Wahrheitsprozesse Ende der neunziger Jahre wurden die strafrechtlichen Prozesse gegen die Täter wieder möglich.