Brasilien untersucht seine Vergangenheit

Wahrheitskommission soll binnen zwei Jahren Staatsverbrechen aus über vier Jahrzehnten aufarbeiten. Starke Widerstände aus der Armee

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Szene während des Staatsstreichs in Brasilien 1964
Szene während des Staatsstreichs in Brasilien 1964

Brasília. Brasiliens Wahrheitskommission, die unter anderem die Verbrechen während der Militärdiktatur (1964-1985) untersuchen soll, ist offiziell eingerichtet. "Uns bewegt nicht Revanchismus oder Hass noch der Wunsch, Geschichte umzuschreiben, aber der, zu zeigen was geschehen ist", erklärte eine sichtlich bewegte Präsidentin Dilma Rousseff während der Zeremonie, an der neben der kompletten Ministerriege auch mehrere ehemaligen Präsidenten teilnahmen: Luiz Inácio Lula da Silva, Fernando Henrique Cardoso, Fernando Collor de Mello und José Sarney.

Mit brüchiger Stimme und Tränen in den Augen sagte Rousseff in Anlehnung an Galileo Galilei: "Die Macht kann die Wahrheit verstecken, aber die Zeit wird sie ans Licht bringen, und diese Zeit ist gekommen." Rousseff selbst war während der Militärdiktatur inhaftiert und gefoltert worden.

Die Kommission, der sieben Mitglieder angehören, darunter Anwälte, frühere Minister und Verfassungsrichter, soll Menschenrechtsverletzungen über eine Zeitspanne von 42 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg untersuchen. Im Fokus stehen dabei die während der Militärdiktatur begangenen Verbrechen. Nach zwei Jahren soll sie ihren Bericht vorlegen. Sie erhält jedoch keinerlei Kompetenzen zur Strafverfolgung.

Zudem bleibt nach der jetzigen Einigung das seit 1979 geltende Amnestiegesetz unberührt, das erst 2010 vom brasilianischen Verfassungsgericht bestätigt worden war. Im Gegensatz zu Chile, Argentinien oder Uruguay wurden in Brasilien die für Folter und Morde Verantwortlichen der Militärregierungen deshalb nie vor Gericht gestellt. Die Regelung haben weder Ex-Präsident Da Silva noch seine Nachfolgerin Rousseff angetastet. Sie wollten weder alte Wunden aufzureißen noch das Militär gegen sich aufzubringen.

Der Schaffung der Wahrheitskommission waren jahrelange und zum Teil polemische Auseinandersetzungen vorausgegangen. Vor allem in der Armee hatte es bis zuletzt Widerstände gegen die Einsetzung einer solchen Kommission gegeben.

Unbehagen rief bei den Streitkräften auch die Berufung von Rousseffs früherer Anwältin während der Diktatur, Rosa Maria Cardoso da Cunha, hervor. Die Armee hat der Kommission eine Liste mit 119 Anschlägen und Morden übergeben, die von mutmaßlich linken Guerillagruppen verübt wurden. Ob diese sich damit aber überhaupt beschäftigen wird, ist aufgrund der relativ knapp bemessenen Zeitspanne und der Fülle der Fälle fraglich.

Schätzungen gehen von rund 200 "Verschwundenen" und 20.000 Gefolterten während der Militärdiktatur aus.