Colonia Dignidad: Berlin "mauert und wiegelt ab"

Bundesregierung weicht auf Fragen aus dem Bundestag zur Sektensiedlung aus. BND-Kontakte als Privatangelegenheit dargestellt

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Antwort der Bundesregierung: Viel Text, wenig Inhalt
Antwort der Bundesregierung: Viel Text, wenig Inhalt

Berlin/Santiago de Chile. Die in der Sektensiedlung Colonia Dignidad in Zentralchile begangenen Verbrechen beschäftigen derzeit die Justiz in Deutschland und Chile. Dennoch gibt die Bundesregierung an entscheidenden Stellen des Falls nach wie vor Unkenntnis vor. Gut drei Monate, nachdem die Linksfraktion im Bundestag einen umfangreichen Fragenkatalog zu den Verbindungen bundesdeutscher Akteure zu der umstrittenen Deutschensiedlung eingereicht hat, liegen nun die kompletten Antworten aus dem Auswärtigen Amt vor (siehe Anhang). Ein Teil der Fragen war schon Mitte September beantwortet worden. Doch auch nach der vollständigen Replik beklagen die Fragesteller entscheidende Lücken.

So heißt es auf die Frage nach Reisen von Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes (BND) und anderer Sicherheitsbehörden in die Colonia Dignidad (CD): "Nachrichtendienstliche Verbindungen" – also Spione – "des BND haben sich nicht in Ausübung ihrer Tätigkeit in der CD aufgehalten." Gegebenenfalls hätten sich BND-Spione "zu privaten Zwecken in der CD aufgehalten".

Vor wenigen Tagen erst war publik geworden, dass der Nazi-Kriegsverbrecher Walter Rauff Ende der 1950er Jahre vom BND angeworben worden war. Nach Auskunft des CD-Flüchtlings Klaus Schnellenkamp ging Rauf in der CD ein und aus. Die Bundesregierung greift, darauf befragt, auf eine immer wiederkehrende Antwort zurück: "Der Bundesregierung liegen (...) keine Erkenntnisse vor."

Dennoch legt das zuständige Auswärtige Amt Archivangaben zu ehemals hochrangigen deutschen Faschisten in der CD vor. Unter Rückgriff auf Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR bestätigt das Außenamt den Aufenthalt von neun Nazis in der Sektensiedlung. Neben drei NSDAP-Mitgliedern lebte in der CD je ein Mitglied des NS-Frauenwerks, der SA, der SS, zwei Angehörige der Waffen-SS und ein Mitglied des SS-Arbeitsdienstes. In nur zwei Fällen werden aber Namen genannt. In deutschen und chilenischen Medien war wiederholt spekuliert worden, ob auch Sektengründer Paul Schäfer Mitglied der Waffen-SS war. Die Bundesregierung bleibt hier auch nach drei Monaten Prüfung der Archive eine Antwort schuldig.

Unkenntnis wird auch in Bezug auf die Vermögensverhältnisse der inzwischen in Villa Baviera (Bayrisches Dorf) umbenannten Siedlung vorgegeben. Dabei setzt sich die deutsche Bundesregierung seit Jahren durch die Zusammenarbeit der Botschaft und der ehemaligen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit für die "Verbesserung der unternehmerischen Aktivitäten" der Siedlung ein. Die bundesdeutschen Berater arbeiten in diesem Zusammenhang mit einem von der Siedlungsleitung bestellten chilenischen Wirtschaftsanwalt zusammen, zudem hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren hunderttausende Euro zur Verfügung gestellt. Dennoch heißt es auch hier: "Nähere Erkenntnisse hierzu liegen der Bundesregierung nicht vor."

Im Bundestag provoziert die Antwort schon jetzt Kritik. "Während sich die Bundesregierung kein Deut um die Opfer, die die Colonia Dignidad verlassen haben, kümmert – geschweige denn die chilenischen Folteropfer unterstützt – wird der aktuelle Leitung Jahr für Jahr Wirtschaftshilfe gezahlt", sagt der Linkspartei-Abgeordnete Jan Korte: "Das ist unfassbar und ein bodenloser Skandal."

Die Bundesregierung verstecke sich bei diesem dunklen Kapitel der deutschen Außenpolitik unverändert hinter anderen, mauere und wiegle ab, sagt Korte. Von einem echten Willen zur Aufklärung fehle nach wie vor jede Spur.