Deutschland finanziert Sektensiedlung in Chile

Auswärtiges Amt will keine Kenntnisse über Terrorstrukturen in Colonia Dignidad haben. Finanzielle und personelle Unterstützung besteht weiter

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Der Eingang zur Colonia Dignidad
Der Eingang zur Colonia Dignidad

Berlin/Santiago de Chile. Ungeachtet wachsender politischer Kritik und Ermittlungen der Justizbehörden in Chile und Deutschland hält sich die deutsche Bundesregierung im Skandal um die Sektensiedlung Colonia Dignidad bedeckt. In einer Teilantwort auf eine umfassende Anfrage der Linksfraktion im Deutschen Bundestag gibt das Auswärtige Amt unter anderem an, über die Flucht des Sektenarztes Hartmut Hopp keine genauen Erkenntnisse zu besitzen. Dabei beschäftigt das Thema seit Wochen regionale und überregionale Medien sowie die internationale Presse.

Der von Interpol gesuchte Hopp hatte sich Anfang Mai nach Deutschland abgesetzt, um sich in dem südamerikanischen Land einer fünfjährigen Haftstrafe wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch zu entziehen. Nach der Flucht über Argentinien und Brasilien war der 67-jährige über Frankfurt am Main nach Deutschland gekommen und lebt inzwischen in Krefeld. Die dortige Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen den Mediziner aufgenommen, der nach Zeugenangaben an Folter und Medizinversuchen beteiligt gewesen sein soll.

Trotz dieser Bemühungen um Aufklärung fallen die Antworten der deutschen Bundesregierung ernüchternd aus. Das Auswärtige Amt teilt in der 13-seitigen Stellungnahme, die amerika21.de vorliegt, lediglich mit, dass sich der in Chile wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauchs verurteilte Hopp "nach jüngsten Erkenntnissen in der Bundesrepublik Deutschland" aufhält. Ansonsten gebe es zu dem Fall "keine Kontakte", "keine Gespräche" und auch "kein Ersuchen" chilenischer Behörden.

Auch bei anderen heiklen Punkten versteckt sich die Bundesregierung hinter vermeintlicher Unkenntnis. Es sei ihr nicht bekannt, heißt es in der Antwort von FDP-Staatssekretärin Cornelia Pieper, in welchem Ausmaß die Führung der Colonia Dignidad in Waffenhandel und Waffenschmuggel verstrickt war. Hopp selbst hatte wegen entsprechender Vergehen in Chile eine Haftstrafe verbüßt. Die Antwort der Bundesregierung hält der Bundestagsabgeordnete Jan Korte, dessen Büro die Anfrage eingereicht hatte, für "dreist". Immerhin habe mit dem ehemaligen SS-Mitglied und späteren BND-Mann Gerhard Mertins ein direkter Kontakt zwischen der Sektensiedlung und westdeutschen Stellen bestanden. Die Bundesregierung "hofft offenbar, das Thema aussitzen zu können", sagte Korte.

Während die Bundesregierung angesichts der in der Colonia Dignidad begangenen Verbrechen die Augen verschließt, hält sie die Kontakte zur Sekte aufrecht. In der Antwort des Auswärtigen Amtes wird die "fortbestehende Anwesenheit einiger ehemaliger Führungsmitglieder der Colonia Dignidad" auf dem Gelände der Siedlung bestätigt, die sich nach dem Tod des Gründers Paul Schäfer in "Villa Baviera" (Bayrisches Dorf) umbenannt hat. Auch wenn die Bundesregierung die Anwesenheit mutmaßlicher Kinderschänder, Folterer und Mörder als "sehr problematisch für einen glaubwürdigen Neuanfang" bewertet, unterstützt sie die Sektenstrukturen bis heute finanziell. Nach der Erhöhung eines entsprechenden Haushaltstitels auf bis zu 250.000 Euro bei den Beratungen im vergangenen Jahr wurden die Bundesmittel für die umbenannte Colonia Dignidad für 2012 zwar auf 150.000 Euro reduziert. Dennoch behält sich Berlin die Entsendung von Experten der Entwicklungshilfeagentur GIZ und des Senior Experten Service nach Chile vor, um die wirtschaftlichen Tätigkeiten der Deutschensiedlung zu unterstützen.

Die Colonia Dignidad war 1961 von dem im vergangenen Jahr verstorbenen Deutschen Paul Schäfer gegründet worden. Nach dem Militärputsch gegen die sozialistische Regierung von Salvador Allende 1973 diente die Colonia Dignidad als Folter- und Vernichtungslager.