Kuba

Buchvorstellung: Zwei Jahrzehnte gegen Kuba

Die deutsche Politik gegenüber Havanna ordnet sich den Vorgaben aus Washington unter. Umfassende Studie in der kubanischen Hauptstadt vorgestellt

In den zwanzig Jahren nach der Wiedervereinigung ist es der bundesrepublikanischen Regierung nicht gelungen, eine eigenständige Politik gegenüber dem sozialistischen Kuba zu entwickeln: Deutschland setzt sich - in unterschiedlicher Intensität und komplementär zur US-Blockade - für einen Sturz der revolutionären Regierung ein. Zu diesem Ergebnis kam der deutsche Politologe und Medienwissenschaftler Steffen Niese, der seine Diplomarbeit zu dem Thema auf der 19. Internationalen Buchmesse in Havanna vorstellte.

"Unmittelbar nach dem Ende der DDR hat die damalige Regierung unter Helmut Kohl gegenüber Kuba eine feindselige Haltung eingenommen", führte Niese vor mehreren Dutzend Gästen auf der Festungsanlage Fortaleza de San Carlos de la Cabaña, dem Veranstaltungsort der Buchmesse, aus. So seien bereits 1990 die Lieferungen von Milchpulver der DDR an Kuba einseitig aufgekündigt worden. Der sozialistische deutsche Staat hatte seit 1981 jährlich 24.000 Tonnen "Leche en Polvo" gen Kuba verschifft, um so die Schulspeisungen zu garantieren. Entgegen internationalem Recht und im Widerspruch zu dem "Einigungsvertrag" und dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag stoppte die Kohl-Führung diese Exporte. Laut Niese ein "rechtswidriges Verhalten, das sogar im Europäischen Parlament gerügt wurde". Auf die Begleichung der Altschulden Kubas aus DDR-Zeiten habe das kapitalistische Gesamtdeutschland zugleich bestanden.

Gegenüber den USA bescheinigte der Autor der Studie Deutschland eine "weitgehende Unterordnung". Nachdem Washington 1992 auf Druck ultrarechter Exilkubaner das sogenannte Toricelli-Gesetz verabschiedete, "hat die Bundesrepublik keine Anstrengungen unternommen, gegen die Auswirkungen dieser Bestimmung vorzugehen". Mit dem Gesetz bedrohten die USA erstmals Drittstaaten, also auch deutsche Unternehmen, mit Sanktionen, sofern sie mit Kuba Handel betrieben. Auch nach einer weiteren Verschärfung durch das "Helms-Burton-Gesetz" vier Jahre später blieb die Berliner Regierung passiv. Deutschland, so die Schlussfolgerung des Forschers, riskiere mit den USA wegen Kuba keinen Konflikt und akzeptiere sogar die völkerrechtswidrige Blockadepolitik.

Statt eine eigenständige Kuba-Politik auf der Basis internationaler Rechtsnormen zu entwickeln, habe sich Deutschland stärker der Europäischen Union und damit den veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Die Probleme dauerten somit an, denn seit 1996 verteidigt Berlin innerhalb der EU den sogenannten Gemeinsamen Standpunkt und damit die Sanktionspolitik. "Diese Positionierung ist auch diskriminierend, weil Brüssel damit einen Regimewechsel in Kuba fordert", konstatierte Niese, der zugleich auf die Widersprüche der andauernd antikubanischen Politik Berlins hinwies. So habe vor 1990 sowohl die DDR als auch die BRD Wirtschaftskontakte mit Kuba unterhalten. Heute pflegt ausgerechnet das CSU-dominierte Bayern diese ökonomischen Bande. "Die Wirtschaftspolitik ist klar von der ideologischen Haltung abgekoppelt", urteilte der Autor, um auf die Rolle der großen Industrieverbände zu verweisen. Dies sei unter den konservativen deutschen Regierungen ebenso zu beobachten gewesen wie unter SPD und Grünen. In Bezug auf die Schröder-Regierung erinnerte der Autor an den Boykott gegen die internationale Buchmesse von Havanna im Jahr 2004. Der im Berliner Außenamt damals heftig umstrittene Boykott war vom ehemaligen Außenminister Joseph Fischer (Bündnis90/Die Grünen) durchgesetzt worden. "Unabhängig von der Regierungspartei geht es Deutschland seit 1990 in beachtlicher Kontinuität um ein Ende des kubanischen Sozialismus", resümierte der Autor.

Neben dem Kuba-Thema wurde bei der Buchpräsentation auch die zunehmend aggressive Haltung der aktuellen deutschen Regierung gegen die anti-neoliberalen Staaten Lateinamerikas und der Karibik angesprochen. Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung habe den Putsch in Honduras Ende Juni vergangenen Jahres "vorbereitet, unterstützt und verteidigt", stellten die Teilnehmer des Podiums fest. Bei den kubanischen Gästen traf dieser Punkt auf großes Interesse. Die Rolle der deutschen Stiftungen solle politisch und wissenschaftlich stärker Beachtung finden, hieß es bei der anschließenden Debatte aus dem Publikum. Schließlich habe sich der Putsch in Honduras gegen einen Mitgliedsstaat der Bolivarischen Alternative für Amerika (ALBA) gerichtet. Dieses linksgerichtete Staatenbündnis war vor gut fünf Jahren von Kuba und Venezuela als Gegenmodell zu den neoliberalen Freihandelsregimes der USA und Europas ins Leben gerufen worden.

Mit seiner Arbeit "Die deutsche Kuba-Politik seit 1990" hat Steffen Niese eine der umfassendsten Studien zu einem bislang in Deutschland weitgehend unbeachteten Thema vorgestellt. Das Studium der Genese der deutschen Kuba-Politik hilft nicht nur, die aktuellen Spannungen zu verstehen. Es ist auch der Ausgangspunkt, um Alternativen zu entwickeln. Der Druck des gut 100 Seiten starken Buches aus dem Kölner PapyRossa-Verlag wurde auch deshalb von der Solidaritätsorganisation Cuba Sí unterstützt. Die Vorstellung des Buches fand im Rahmen der Präsenz von Cuba Sí auf der 19. Internationalen Buchmesse in Havanna statt.

Niese, Steffen

Die deutsche Kuba-Politik seit 1990. Bilanz und Perspektiven

PapyRossa, Köln 2010

112 Seiten, 12 €.

Amerika21.de berichtet in lockerer Folge von der Buchmesse in Havanna. Weitere Berichte und Informationen finden sich auf der Seite von Cuba Sí.


Bildquelle: Andreas Schmidt