Venezuela / Umwelt

"Zum ersten Mal steht Naturschutz in der Verfassung"

Umweltpolitik wird in Venezuela von den Menschen gemacht. Öffentliche Verkehrsnetze sollen gefördert werden. Ein Gespräch mit Miguel Rodríguez

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Miguel Rodríguez, stellvertretender Umweltminister Venezuelas
Miguel Rodríguez ist stellvertretender Umweltminister Venezuelas

Die venezolanische Regierung will die Umweltpolitik neu gestalten. Welche Ziele haben Sie?

Im Zentrum steht heute die Beteiligung der Bevölkerung unseres Landes bei umweltpolitischen Entscheidungen. Die Regierung soll nicht alleine entscheiden, sondern gemeinsam mit den Menschen - wie dies heute in Venezuela auch in anderen Bereichen geschieht. Unsere natürlichen Ressourcen wie Erdöl, Gas, Kohle oder Eisen wurden vor der bolivarischen Revolution nur als Ware betrachtet. Erst durch die Verfassung von 1999 wurde die Natur richtig geschützt. Es war das erste Mal in der venezolanischen Geschichte, dass Naturschutz in der Verfassung erwähnt wird.

Welche Fortschritte hat die neue Verfassung denn konkret gebracht?

In Venezuela steht das Recht auf eine saubere Umwelt heute auf einer Stufe mit anderen Grundrechten wie denen auf Gesundheit oder Bildung. Bereits in der Präambel der Verfassung wird die Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts als einer der Grundwerte festgelegt. Es wird ein Entwicklungsmodell vorgeschrieben, das die Möglichkeiten künftiger Generationen nicht einschränkt und eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht. Zudem wird der Staat verpflichtet, die biologische Vielfalt zu schützen und die Bildung und Aufklärung zum Thema Umweltschutz zu fördern. Außerdem ist die Patentierung von traditionellem Wissen und dem menschlichen Genom verboten.

Doch eigentlich gibt es in Venezuela doch eine lange Tradition im Umweltschutz?

Das stimmt. Früher gab es zwar auch schon ein Umweltschutzgesetz und Venezuela schuf Mitte der siebziger Jahre als eines der ersten Länder in Lateinamerika ein Umweltministerium. Dieser Politik haben wir zu verdanken, dass Venezuela heute eines der Länder auf der Welt mit dem größten Anteil an Schutzzonen und Nationalparks ist. Doch diese Fortschritte waren mit hohen sozialen Kosten verbunden. So wurde mit diesen Gesetzen die traditionelle Lebensweise für illegal erklärt. Große Teile der indigenen Völker und Teile der Landbevölkerung leben auf geschützten Gebieten. Doch auf sie wurde keine Rücksicht genommen. Heute werden in der Verfassung neben dem Naturschutz auch die Rechte der indigenen Gemeinschaften gleichermaßen anerkannt.

Zwischen der heutigen Politik und damals gab es die neoliberalen "Reformen" der neunziger Jahre...

Viele Errungenschaften aus den Siebzigern wurden im Zuge der neoliberalen Periode in den neunziger Jahren angegriffen. So wurde der Etat des Umweltministeriums nach Vorgaben des IWF halbiert und Umweltschutzbestimmungen abgebaut um beispielsweise den Gold- und Diamantenabbau im eigentlichen Schutzgebiet Imataca zu fördern. Die Auslandsinvestitionen stiegen dadurch rapide an, doch damit auch der Schaden für unsere Umwelt.

Welche Rolle spielt der Naturschutz nun im bolivarischen Prozess?

Wir messen dem Umweltschutz und einer nachhaltigen Entwicklung eine große Bedeutung zu. Wir wollen die Artenvielfalt erhalten, unsere großen Wälder und Naturschutzgebiete. Dafür haben wir das Aufforstungsprogramm "Misión Árbol" ("Baum-Mission") aufgelegt, das den Menschen zudem auch einen wirtschaftlichen Nutzen bringen soll. Daneben legen wir großen Wert auf die verantwortliche Nutzung der Ressourcen, die uns die Natur zur Verfügung stellt. Beispielsweise fördern wir das Energiesparen: Jeder Haushalt in Venezuela kann vom Staat kostenlos Energiesparlampen erhalten und die Menschen haben davon bereits regen gebrauch gemacht - schließlich sparen sie damit auch Energiekosten. Dadurch haben wir unseren Energieverbrauch drastisch reduziert. Dies wäre mit einem marktorientierten Lösungsansatz unmöglich gewesen.

Die so genannte Misión Árbol (Baum-Mission) ist ein umweltpolitisch ausgerichtetes Sozialprogramm innerhalb der bolivarischen Revolution. Worum geht es dabei?

Unser Land ist zwar fast zur Hälfte bewaldet, doch bestimmte Flächen waren in schlechtem Zustand oder wurden im Zuge der Rohstoffausbeutung zerstört. Diese Flächen wollen wir nun zurückgewinnen. Dabei spielt für uns der Nutzen für die Bevölkerung neben dem Naturschutz eine herausragende Rolle. Früher wurden private Unternehmen mit der Aufforstung beauftragt. Diese haben die Menschen aus den anliegenden Gemeinden als billige Arbeitskräfte missbraucht. Heute gibt es überall im Land Waldschutz-Komitees der Anwohner, die die Wiederaufforstung mit unserer Unterstützung selber in die Hand nehmen. Damit werden zudem die sozialen Organisationen gestärkt und die Politik wird dort gemacht, wo sie früher nie ankam.

Wie können sich die Menschen bei dem Programm einbringen?

Die Menschen vor Ort haben selbstständig Aufforstungsflächen ausgewählt, die sowohl der Renaturierung in Schutzgebieten wie der Forstwirtschaft als landwirtschaftliche Komponente dienen sollen. Dafür haben sich in zwei Jahren fast 25000 Menschen in den Waldschutz-Komitees organisiert. Mit ihnen zusammen hat das Umweltministerium zuerst eine landesweite Samensammlung initiiert. Nicht nur die Komitees, sondern Schüler, Studenten und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen arbeiten dabei zusammen.

Was passiert dann mit den gesammelten Samen?

Überall in Venezuela gibt es mittlerweile Gewächshäuser, die von den Gemeinschaften vor Ort betrieben werden. Über 2000 Pflanzenzuchtstätten haben wir bereits eingerichtet. Die Jungpflanzen werden später von den Komitees weiter beobachtet und gepflegt. Mit nur 50 Millionen US-Dollar Investitionen wurden schon dutzende Millionen Pflanzen gezüchtet und bereits 14000 Hektar Wald aufgeforstet.

Präsident Hugo Chávez will Venezuela zu einer "Agrarmacht" umwandeln. Welche Auswirkungen hat der Ausbau der Landwirtschaft auf die Umwelt?

Wir nutzen nun Flächen für die Landwirtschaft, die vorher zu großen Teilen brachliegender Großgrundbesitz waren. Damit hat das Programm kaum Auswirkungen auf die Umwelt, denn es gibt im Land riesige unproduktive Gebiete. Der im Frühjahr enteignete Hato El Frío im südöstlichen Bundesstaat Apure ist zum Beispiel ein solches ungenutztes Gebiet, was nun nutzbar gemacht werden soll. Auf dem Gebiet befinden sich auch geschützte Flächen, die wir aber natürlich erhalten werden.

Soll dann auch der Biosprit in Venezuela gefördert werden?

Nein. Dies lehnen wir ab. Nahrungspflanzen sind zum Verzehr für die Menschen da, nicht für die Tanks der Autos.

Venezuela hat ja auch sein Öl und spottbilliges Benzin, muss sich also keine Sorgen um den hohen Spritpreis machen...

Das stimmt, bei uns ist Benzin unglaublich billig, aber das werden wir auch noch ändern. Vorerst wollen wir alle Fahrzeuge im Land auf Gas umstellen. Benzin und Erdöl wollen wir exportieren. Außerdem fördern wir den öffentlichen Verkehr. In den Großstädten bauen wir neue U-Bahn- und Bus-Systeme, die zudem saubere Energie aus Wasserkraft nutzen. Vorher gab es außer Kleinbussen fast keinen öffentlichen Verkehr. Bis 2012 soll es nun auch ein nationales Eisenbahnnetz geben.

Venezuela ist ein Öl-Land. Wie gehen sie mit den enormen Belastungen für die Umwelt um, die die Ölförderung mit sich bringt?

Wir wollen die Belastungen so gering wie möglich halten. Früher wurden hier große Fehler gemacht. Wir versuchen heute, diese nicht zu wiederholen. Gleichzeitig versuchen wir, die alten Fehler so weit wie möglich zu kompensieren, beispielsweise indem wir stillgelegte Ölförderstätten renaturieren. Außerdem stellen wir Wärmekraftwerke von fossilen Brennstoffen wie Öl auf das sauberere Erdgas um. Die Gasturbinen dafür stammen übrigens aus deutscher Produktion. Traditionell produzieren wir den Großteil unserer Energie aus Wasserkraft. Derzeit sind es 70 Prozent unseres Energiebedarfes. Bis 2012 soll der Anteil der Wasserkraft auf über 87 Prozent ausgebaut werden.

Doch auch der Neubau von Wasserkraftwerken belastet die Umwelt...

Dem muss ich widersprechen. Die meisten unserer Wasserkraftwerke nutzen die natürlichen Kräfte der Flussströmung. So auch das momentan größte im Bau befindliche Projekt im Amazonasgebiet. Kein Gebiet muss also überflutet werden, wie das bei dem Bau eines Staudammes der Fall ist.

Ist Umweltschutz denn in Venezuela ein schwieriges Unterfangen? Sind sie zufrieden mit dem bisher erreichten?

Wir haben unglaublich viel erreicht, doch mir persönlich gehen die bisherigen Maßnahmen unserer Regierung noch nicht weit genug. Wenn ich könnte, würde ich mehr machen. Doch dazu fehlen mir die Mittel. Wir bräuchten eine starke Naturschutzbewegung! Nur mit Druck aus der Bevölkerung im Rücken können wir mehr tun und bekommen die nötige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.

Wie steht es denn um die Naturschutzbewegung in Venezuela?

Die Umweltschutzgruppen sind schwach, zudem oft aus dem Mittelstand und an der Opposition orientiert. Leider finden diese Gruppen die meisten unserer Vorschläge schlecht. Dazu hat progressiver Umweltschutz einflussreiche Feinde, auch innerhalb der bolivarischen Bewegung. Doch wir geben nicht auf und gehen unseren Weg weiter.


Die Tageszeitung junge Welt veröffentlichte einen Auszug des Interviews. Diesen finden Sie hier.