Lateinamerikanischer Petro-Sozialismus

Verstaatlichungen, Erdöldiplomatie und Schwierigkeiten bei der lateinamerikanischen Integration

In den vergangenen Jahren sind in Venezuela, Bolivien und Ecuador Linksregierungen gewählt worden, die eine Wiederverstaatlichung der Erdöl- und Erdgasressourcen ihrer Länder zu ihrem wichtigsten Projekt erklärt haben. Mit dieser Politik verfolgen sie das Ziel, die Kontrolle über die Rohstoffe zurückzugewinnen und die daraus resultierenden Mehreinnahmen für die eigene Entwicklung zu nutzen. Darüber hinaus setzt Venezuela seinen Ölreichtum auch zur lateinamerikanischen Integration ein. Dieses Ansinnen weist durchaus Ähnlichkeiten mit der europäischen Montanunion der 50er Jahre auf. Allerdings sind im lateinamerikanischen Fall ausschließlich staatliche Unternehmen beteiligt; dadurch soll verhindert werden, dass der Löwenanteil der Erträge weiterhin in die Kassen der transnationalen Energiekonzerne fließt.

Wie aber sieht die Politik der Verstaatlichung in den drei Ländern im Einzelnen aus?

Politik der Verstaatlichung

Der weltweit fünftgrößte Ölproduzent Venezuela verfügt über gigantische Öl- und Gasreserven. Nach Abschluss der Zertifizierungen der Schwerölreserven im Orinocogürtel wird es mit voraussichtlich 313 Mrd. Barrel sogar über die weltgrößten Ölreserven verfügen [1]. Den eigenen Strombedarf deckt der Energieriese allerdings zu 70 Prozent mit Wasserkraft.

Mit Hugo Chávez" Amtsantritt begann 1999 die schrittweise Wiederverstaatlichung der Öl- und Gasindustrie. Diese war zwar bereits 1976 nationalisiert worden, doch machten Vorzugskonditionen und Mehrheitsbeteiligungen für transnationale Konzerne diese Verstaatlichung zur Farce. Selbst das staatliche Ölunternehmen PdVSA schleuste seine Einnahmen größtenteils am Staat vorbei.

Die neue Regierung brachte die PdVSA wieder unter staatliche Kontrolle, überführte alle Öl- und Gasfelder in gemischte Gesellschaften mit PdVSA-Mehrheitsbeteiligung und erhöhte mehrfach die Steuern und Abgaben. Darüber hinaus verpflichtete sich die PdVSA auch zu einer Direktfinanzierung von Sozialprogrammen und Infrastrukturmaßnahmen. Im Ergebnis stiegen die Einnahmen des Landes erheblich. Im vergangenen Jahr verstaatlichte die Regierung Chávez dann auch den Elektrizitätssektor.

Bolivien besitzt die zweitgrößten Gasreserven des Kontinents und gehört gleichzeitig zu dessen ärmsten Ländern. Unmittelbar nach seiner Wahl verwandelte Präsident Evo Morales am 1. Mai 2006 per Dekret alle ausländischen Konzessionäre in Minderheitspartner des Staatsunternehmens YPFB. Ausländische Unternehmen zahlen jetzt bis zu 82 Prozent ihrer Einnahmen an Steuern und Abgaben. Über die Höhe der Entschädigung für die Enteignungen wird derzeit noch verhandelt. 2007 wurde auch der Stromkonzern ENDE wieder verstaatlicht. Dadurch sind die Erlöse Boliviens aus den fossilen Brennstoffen seit der Verstaatlichung von 200 Mio. auf 1,2 Mrd. US-Dollar jährlich gestiegen.

Ecuador, das mit 4,8 Mrd. Barrel über vergleichsweise geringe Ölreserven verfügt, finanziert durch seine Ölexport-Einnahmen 35 Prozent des Staatshaushaltes. Die Regierung von Präsident Rafael Correa hat den fünf im Land tätigen transnationalen Ölkonzernen neue Verträge zur Verhandlung vorgelegt, die vorsehen, dass Ecuador nur noch deren Dienstleistungen in Anspruch nimmt, anstatt Unternehmensbeteiligungen einzuräumen. Neuverträge bietet die staatliche Petroecuador seitdem ausschließlich staatlichen Ölunternehmen an. Die Regierung hat ferner erklärt, künftig bei Streitfragen auch keine internationalen Schiedsgerichte mehr akzeptieren zu wollen. Einer der ausländischen Konzerne hat daraufhin das Land verlassen. Im Oktober 2007 wurden die aus steigenden Ölpreisen resultierenden Mehrgewinne zu 99 Prozent verstaatlicht. Ende vergangenen Jahres trat Ecuador wieder der OPEC bei.

Nicht allein der hohe Öl- und Gaspreis, sondern auch die von den Linksregierungen verfolgte Politik der Verstaatlichung hat in allen drei Ländern also zu beträchtlichen Mehreinnahmen geführt. Diese haben die politischen Handlungsspielräume wesentlich erhöht und dazu beigetragen, dass nunmehr auch die Investitionen in Bereichen wie Infrastruktur, Sozialausgaben und Bildungswesen substanziell erhöht werden konnten. In dieser Hinsicht war die Politik der Verstaatlichung offenbar erfolgreich.

Zugleich hat sie allerdings zu Blockadeversuchen der von der Verstaatlichung betroffenen transnationalen Konzerne geführt. Dies zeigte die Anfang des Jahres in Großbritannien eingereichte, inzwischen aber gescheiterte Klage von ExxonMobil, die Vermögenswerte der venezolanischen PdVSA in Höhe von zwölf Mrd. US-Dollar als Entschädigung für die 2007 enteigneten Anlagen einzufrieren.

Venezolanische Erdöldiplomatie

Insbesondere Venezuela verwendet seine gestiegenen Erdölerlöse aber nicht nur zur eigenen Entwicklung, sondern setzt einen Teil der Zusatzeinnahmen auch für die kontinentale Integration sowie für eine eigenständige Erdöldiplomatie ein [2]. So war das Land maßgeblich an der Wiederbelebung der OPEC beteiligt und fördert auch die Bildung einer Initiative Gas exportierender Länder.

In Venezuela selbst erfolgt derzeit eine Diversifizierung der Kooperationen und Konzessionen mit Beteiligungen von Brasilien, Russland, Weißrussland, China, Vietnam, Indien und dem Iran. Damit will sich das Land aus der einseitigen Abhängigkeit von den USA befreien und einer möglichen Isolierung durch Washington vorbeugen. Zugleich hat man begonnen, mittels Technologietransfer aus den Staatsunternehmen eigene Kapazitäten in allen Bereichen aufzubauen.

Die engste, auf einer politischen Grundlage beruhende Zusammenarbeit in Lateinamerika erfolgt im Rahmen der Bolivarianischen Alternative für Amerika (ALBA), der Venezuela, Kuba, Bolivien, Nicaragua und die Karibikrepublik Dominika angehören. Neben zahlreichen Abkommen in Bereichen wie Bildung, Kultur, Energie und Handel gründen die fünf ALBA-Staaten derzeit ein gemeinsames Telekommunikationsunternehmen.

Die venezolanische Plattform für die direkten Verhandlungen und gemeinsamen Projekte von staatlichen Energiekonzernen und Regierungen ist Petroámerica, das aus den drei regionalen energiepolitischen Initiativen Petroandina, Petrosur und Petrocaribe besteht.

Am weitesten fortgeschritten ist die im Juni 2005 gegründete Energieallianz Petrocaribe, die auf eine gemeinsame Energiepolitik im Karibikraum zielt. Diese soll einen gerechteren und staatlich kontrollierten Zugang zu den Energieressourcen schaffen und zu einer solidarischen und gerechteren sozialen Entwicklung beitragen. Ihr gehören bislang vor allem karibische und mittelamerikanische Staaten an. Venezuela beliefert die Petrocaribe-Mitglieder täglich mit etwa 150 000 Barrel Erdöl sowie mit Flüssiggas. 60 Prozent des Kaufpreises sind innerhalb von 90 Tagen zu begleichen, 40 Prozent werden bei 25 Jahren Laufzeit auf Kredit (mit einem Prozent Zinsen ab dem dritten Jahr) vergeben.

Zusätzlich wurde ein ALBA-Karibik-Fond eingerichtet, in den Venezuela jährlich 50 Mio. US-Dollar einzahlt, die für soziale Projekte und den Ausbau der Wirtschaft verwendet werden. In vielen der beteiligten Länder wird ferner in neue Raffinerien, Lagerkapazitäten, Abfüllanlagen und Stromwerke investiert. Auf diese Weise sollen transnationale Unternehmen und Zwischenhändler ausgeschaltet werden, die den Energiepreis für die Kleinabnehmer in die Höhe treiben. Auf diese Weise ermöglicht Petrocaribe den beteiligten Staaten nicht nur enorme Einsparungen, sondern auch eine größere politische Unabhängigkeit von den USA.

Unter Petroandina schließlich werden die Kooperationsabkommen der Andenregion, vor allem mit Ecuador und Bolivien, zusammengefasst. So raffiniert Venezuela das ecuadorianische Erdöl zum Vorzugspreis, bis der dortige Aufbau eigener Raffinerien abgeschlossen ist. Die Einsparungen, die Ecuador dadurch erzielt, betragen etwa eine Milliarde Dollar jährlich. In Bolivien gründeten PdVSA und YPFB ein Gemeinschaftsunternehmen zur Exploration und Förderung von Gas, für dessen erste Operationen die PdVSA die Anschubfinanzierung bereitgestellt hat. Mit dem staatlichen bolivianischen Stromunternehmen ENDE vereinbarte PdVSA zudem den Bau eines Gaskraftwerkes.

Petrosur soll die Kooperation zwischen den staatlichen Energieunternehmen Brasiliens, Argentiniens, Uruguays und Venezuelas fördern. Dabei besteht zwischen Venezuela und Argentinien eine strategische Partnerschaft mit zahlreichen Projekten, die dadurch begünstigt wird, dass sich der Erdölproduzent Venezuela und der Lebensmittelproduzent Argentinien in Angebot und Nachfrage gut ergänzen. Uruguay und Venezuela unterzeichneten ebenfalls ein strategisches Abkommen, in dem Venezuela die Energieversorgung Uruguays garantiert, während Uruguay seine Versorgung umgekehrt auf die Verarbeitung und Nutzung venezolanischer Brennstoffe umstellt. Auch mit Brasilien, das im April die Entdeckung eines der größten Ölfelder der Welt vor seiner Küste bekannt gab, hat Caracas zahlreiche Kooperationsabkommen geschlossen, die von der Lieferung venezolanischen Stroms über die Beteiligung von Petrobras an der Ausbeutung des Orinocogürtels bis hin zum Bau gemeinsamer Raffinerien und der gemeinsamen Gasförderung vor Venezuelas Küste reichen.

Integration mit Reibungen

Die hier genannten gemeinsamen Projekte sollten aber nicht über die Schwierigkeiten des Integrationsprozesses hinwegtäuschen. Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay folgen primär eigenen Interessen. Dadurch wird eine verstärkte kontinentale Kooperation und Integration mitunter erschwert oder gar blockiert. Auch der Mercosur hat zwar mit dem Beitritt Venezuelas einen neuen Impuls erhalten, bleibt aber im Wesentlichen eine von starken internen Widersprüchen gekennzeichnete Handelsallianz.

Hinzu kommt, dass Kolumbien, der letzte enge Verbündete der USA in der Region, den Integrationsprozess torpediert. So ist die Regierung in Bogota der turnusmäßigen Verpflichtung, den Gipfel der zur energiepolitischen Integration gegründeten Südamerikanischen Staatenunion (UNASUR) auszurichten, im vergangenen Jahr nicht nachgekommen. Angesichts der jüngsten politischen Spannungen zwischen Venezuela und Kolumbien wurden auch die bestehenden Kooperationsprojekte auf Eis gelegt.

Die Zusammenarbeit mit Brasilien gestaltet sich ebenfalls nicht unproblematisch - vor allem, weil das Land 2007 ein Abkommen mit den USA zur Förderung der Biospritproduktion abschloss. Diese wird von Venezuela, Kuba, Nicaragua, Ecuador und Bolivien abgelehnt, da sie der Lebensmittelproduktion Anbauflächen entzieht und die Lebensmittelpreise entsprechend steigen lässt. Auch der Bau einer vereinbarten 8000 km langen Gaspipeline von Venezuela durch Brasilien bis Argentinien (mit Abzweigungen nach Bolivien, Paraguay und Uruguay) ist aufgrund der Haltung Brasiliens, aber auch der hohen Kosten, ungewiss. Mit Chile und Peru sind darüber hinaus zwei wichtige Länder an der energetischen Integration nicht beteiligt.

Dennoch hat die energiepolitische Integration Lateinamerikas in den vergangenen Jahren insgesamt erhebliche Fortschritte gemacht. Zum einen konnte durch die Politik der Verstaatlichung politische Handlungs- und Gestaltungsmacht zurückerobert werden. In der Folge wurden die dadurch erzielten Mehreinnahmen auch für spürbare Verbesserungen der Lebenssituation gerade der ärmsten Bevölkerungsschichten in Venezuela, Bolivien und Ecuador eingesetzt.

Zum anderen hat die kontinentale energiepolitische Kooperation die Abhängigkeit von den Ländern des Nordens, vor allem von den USA, stark reduziert und so die Chancen einer eigenständigen wirtschaftlichen Entwicklung verbessert. In diesem Sinne kann die "energiepolitische Wende", die die neuen Linksregierungen in Lateinamerika eingeleitet haben, durchaus auf erste Erfolge verweisen. Spannend bleibt, ob diese in den nächsten Jahren konsolidiert werden können.

[1] Vgl. das Interview mit dem venezolanischen Energie- und Erdölminister und PdVSA-Präsidenten Rafael Ramírez, in: "América XXI", 30 (2007), S. 6-11.
[2] Vgl. auch Dario Azzellini, Venezuela und das "Neue Lateinamerika", in: "Blätter", 3/2006, S. 317-323.