Deutschland / Politik / Kultur

Henry Kissinger – Vorbild für Wissenschaft und Lehre?

Nach dem früheren Nationalen Sicherheitsberater und Außenminister der USA soll eine Professur für Völkerrechtsordnung benannt werden

Wir dokumentieren die Stellungnahme des AStA Bonn und den Beschluss des 35. Studierendenparlaments der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zur geplanten Einrichtung einer "Henry-Kissinger-Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrecht" an der Universität Bonn.


AStA Bonn: Kissinger und Völkerrecht passen nicht zusammen

Der Allgemeine Studierendenausschuss der Rheinischen Friedrichs-Wilhelms-Universität Bonn kritisiert die Einrichtung einer nach Henry Kissinger benannten Stiftungsprofessur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung. Es ist völlig unverständlich, dass ausgerechnet eine Professur für Völkerrechtsordnung nach dem früheren Nationalen Sicherheitsberater und Außenminister der USA benannt werden soll. Gegen Kissinger werden bis heute schwere Anschuldigungen erhoben, für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich zu sein. Bis zum heutigen Tag sind Gerichtsverfahren in mehreren Ländern anhängig, denen er sich bis heute nie gestellt hat.

"Diese Verweigerungshaltung gegenüber den Versuchen gerichtlicher Aufklärung, unterstreichen die kontroverse Rolle Kissingers. So lange die bestehenden Beschuldigungen nicht restlos ausgeräumt werden, ist die beabsichtigte akademische Ehrung nicht akzeptabel", so die AStA-Vorsitzende Alena Schmitz.

Die bisher geplante Finanzierung der Professur lehnt der AStA Bonn entschieden ab, da eine Einflussnahme des Verteidigungsministeriums auf die personelle und inhaltliche Aufstellung nicht ausgeschlossen werden kann. Erst im Jahr 2011 stellte der Landesrechnungshof des Landes NRW fest, dass Stifter sehr häufig und umfangreich auf Forschung und Lehre der finanzierten Professuren Einfluss nehmen.

AStA-Pressesprecherin Charlotte Schwarzer-Geraedts: "Wir fordern die Offenlegung der Verträge zur Einrichtung der Professur, sowie eine umfassende Transparenz bei Berufung und inhaltlicher Ausrichtung des Lehrstuhls. Die Direktfinanzierung eines Lehrstuhls durch das Verteidigungsministerium ist ein Novum, welche wir als eine unzulässige Einmischung in die zivile Hochschullandschaft bewerten."

Zur Person Henry Kissinger:

"The illegal we do immediately; the unconstitutional takes a little longer." ("Das illegale machen wir sofort, was gegen die Verfassung verstößt dauert ein bisschen länger.") Henry Kissinger, Ankara 19751

Kissinger als "Vordenker der Kunst des Machbaren" (Außenminister Westerwelle) zu bezeichnen, seine "Verdienste durch die Einrichtung einer Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung auf ganz besondere Art und Weise ... ehren", zu wollen ist eine Beleidigung der Opfer seiner Politik. Wie der Rektor der Universität Bonn, Prof. Dr. Fohrmann, von einer "Beflügelung" von Forschung und Lehre zu sprechen, ist ebenfalls völlig unangemessen. Auf einen solchen "neuen Akzent auf dem Gebiet der internationalen Sicherheitspolitik" (Rektor Fohrmann) sollte eine Universität verzichten, die sich dem Völkerrecht und den Menschenrechten verpflichtet fühlt.2

Aus Respekt vor den Opfern fordert der AStA Bonn die Universität und die Bundesministerien auf, von der geplanten Namensgebung abzusehen.

Henry Kissinger war ein bedeutender Staatsmann des 20. Jahrhunderts, allerdings umfasst sein Wirken auch Kapitel, die die Initiatoren der Henry Kissinger Professur völlig ausblenden:

Kissinger veranlasste während des Vietnamkriegs die Bombardements der neutralen Staaten Kambodscha und Laos von 1969 bis 1973, denen mindestens 200.000, möglicherweise bis zu 950.000 Zivilisten zum Opfer fielen. Die Beteiligung Kissingers an der Vorbereitung und Unterstützung des Militärputsches in Chile 1973 gegen die demokratisch gewählte Regierung unter Präsident Salvador Allende geht aus einschlägigen Dokumenten zweifelsfrei hervor.3

Ausgerechnet im Jahr 2013, in dem sich der Putsch zum 40. Mal jährt, eine Professur nach Kissinger zu benennen spricht den über 3000 Opfern, Zehntausenden gefolterten und vertriebenen Chilenen Hohn. Weiterhin trägt Kissinger Mitverantwortung für den "Schmutzigen Krieg" in Argentinien, da er der Militärjunta 1976 ausrichtete, dass die USA einem harten Durchgreifen gegen die Opposition positiv gegenüberstehen würden. Während der Diktatur der Junta "verschwanden" 30.000 Menschen spurlos. Diese Auflistung weckt erhebliche Zweifel am "Vorbild" Henry Kissingers für Forschung und Lehre des Völkerrechts. Kissinger billigte darüber hinaus auch die Massaker an der Zivilbevölkerung in Bangladesch 1971 und unterstütze den indonesischen Angriffskrieg gegen Osttimor 1975. Die Massaker in Bangladesch kosteten mindestens eine halbe Million Menschen das Leben. Während der Besatzung Osttimors starben mehr als 100.000 Menschen, bei einer Gesamtbevölkerung von nur 800.0004

Viele dieser Handlungen können als Völkerrechtsbruch, Bruch der US-Verfassung und Verletzung von US-Gesetzen gewertet werden.


 Beschluss "Kissinger-Professur"

Das 35. Studierendenparlament der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität hat auf seiner 12. ordentlichen Sitzung am 16. Oktober 2013 mehrheitlich folgenden Beschluss gefasst:

Die Universität Bonn plant die Einrichtung einer so genannten "Henry-Kissinger-Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrecht". Das Studierendenparlament der Universität Bonn lehnt die Namensgebung und das bisherige Finanzierungskonzept ab. Zum Einen ist fraglich ob Henry Kissinger, aufgrund der von ihm verantworteten Politik, als Vorbild für Wissenschaft und Lehre des Völkerrechts geeignet ist. Zum Anderen bereitet die Finanzierung durch das Verteidigungs- und Außenministerium Anlass zur Sorge, dass die wissenschaftliche Unabhängigkeit dieses Lehrstuhls nicht gewährleistet ist.

Das Studierendenparlament fordert die Universität und die Bundesministerien auf, von der geplanten Namensgebung abzusehen. Aufgrund des Finanzierungsmodells äußert das Studierendenparlament seine Sorge um die Freiheit von Wissenschaft und Lehre. Wir fordern die Universität auf, Maßnahmen zu ergreifen, welche die Unabhängigkeit der Forschung und Lehre von  Stiftungsprofessuren sicherstellt. Dazu gehört vor allem ein transparentes Verfahren, bei der Berufung und inhaltlichen Ausrichtung, sowie eine Offenlegung der Verträge, die zur Einrichtung zwischen Stiftern und der Universität geschlossen werden.

Von Seiten der Bundesministerien werden die Mittel für den Lehrstuhl nur für fünf Jahre bereitgestellt. Nach Wunsch der Bundesregierung soll die Finanzierung anschließend von der Universität fortgeführt werden. Das Studierendenparlament Bonn fordert die Universität auf, ein Konzept vorzulegen, wie diese Finanzierung sichergestellt werden kann, ohne dafür Mittel heranzuziehen, die bisher für Forschung und Lehre in anderen Bereichen benötigt werden.

Zur Begründung wurde ausgeführt:

An der Universität Bonn soll im Jahr 2014 eine so genannte "Henry Kissinger Professur fürInternationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung" eingerichtet werden. Die Finanzierung übernehmen das Verteidigungsministerium mit 250.000 Euro und das Auswärtige Amt mit 50.000 Euro für maximal fünf Jahre. Mit der Professur soll Henry Kissinger anlässlich seines 90. Geburtstages am 27. Mai dieses Jahres als "einer der großartigsten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts" (Verteidigungsminister de Maizière) geehrt werden. Kissinger sei ein "Vordenker der Kunst des Machbaren" und habe sich "in herausragender Weise um Friedenspolitik und Entspannung, um Sicherheit und Abrüstung in der Welt verdient gemacht", so noch Außenminister Westerwelle.5

Aufgrund der Mitverantwortung Kissingers für die Massenbombardements über den neutralen Staaten Kambodscha und Laos 1969 bis 1973, denen Hunderttausende Zivilisten zum Opfer fielen,6ist Kissinger gerade als Vorbild für Forschung und Lehre des Völkerrechts völlig ungeeignet. Auch war Kissinger an den Planungen zur Herbeiführung eines Militärputsches in Chile in den Jahren 1970 bis 1973 beteiligt.7Während des Putsches am 11. September 1973 gegen die demokratisch gewählte sozialistische Regierung unter Salvador Allende wurden 3.000 Menschen ermordet, Zehntausende wurden gefoltert und mussten das Land verlassen.

Am 7. Dezember 1975 startete Indonesien einen Angriffskrieg gegen Osttimor. Während der Besatzung durch Indonesien starben mehr als 100.000 der nur 800.000 Timoresen. Noch am 6. Dezember trafen Außenminister Kissinger und Präsident Ford auf den indonesischen Diktator Suharto, welchem sie ihr Einverständnis für eine Invasion des Nachbarstaats gaben.8

Nach einem Mann mit dieser Vita ausgerechnet eine Professur für Völkerrecht zu benennen ist mehr als abwegig. Der Landesrechnungshof von NRW stellte in seinem Jahresbericht 2011 fest, dass es in NRW oft zu Einflussnahmen von Seiten der Stifter auf die von ihnen finanzierten Professuren kommt.9Deshalb müssen Maßnahmen getroffen werden, welche bei Berufungsverfahren und inhaltlicher Ausrichtung Transparenz garantieren. Dazu könnte von der Universität eine, auch vom Landesrechnungshof geforderte, "allgemeingültige Richtlinie für den Umgang mit Zuwendungen ... Dritter" erlassen werden.

Wie aus der Kleinen Anfrage der Bundestagsabgeordneten Katja Dörner (Grüne) hervorgeht, wird von Seiten der Ministerien der Wunsch geäußert, dass die Finanzierung der Professur nach fünf Jahren von der Universität übernommen wird.10Angesichts der angespannten finanziellen Lage der Universität sollte von dieser öffentlich gemacht werden, wie sie gedenkt jährlich 300.000 Euro aufzubringen, ohne dass darunter Forschung und Lehre in anderen Bereichen zu leiden haben.