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EZLN: Rede von Subcomandante Moisés in Wien am 14. September 2021

Bei der Feier nach der Ankunft zapatistischer Delegierter aus Mexiko am 14. September in Österreich hielt Subcomandante Moisés eine Rede

Guten Morgen, guten Tag, guten Abend, Geschwister der Welt.

Wir Zapatistas, Frauen und Männer, Pueblos originarios der mexikanischen Bevölkerung, sind jetzt hier in Wien. Wir kommen, weil wir wissen, es gibt Arme und Pueblos originarios in anderen Ländern der Welt, auch in den Städten. Wir möchten auch, dass die Geschwister in der Stadt und auf dem Land erkennen, was die Ausbeutung des Kapitalismus bedeutet. Wir Zapatistas, Frauen und Männer, sehen jedoch nicht nur den Kapitalismus [als System], sondern das Problem, was der Kapitalismus geschaffen hat: das Problem des Lebens, das Problem des Lebens auch der Natur.

Die Natur wird sterben, enden – um Euch das zu sagen, sind wir gekommen. Wer es nicht glaubt, wird es erleben. Möglicherweise wird gezweifelt und gesagt: »Was wissen diese Männer und Frauen schon?« Die Natur spricht zu uns, wenn wir es erkennen können. Die Natur lehrt uns, wenn wir verstehen, sie zu respektieren. Wenn nicht, wird sie uns zeigen, dass sie die Mächtige ist. Die Erdbeben werden sich verstärken, das Einstürzen ihrer Gebäude, die sie besitzen, wird es zeigen; die Erde wird sich öffnen, hier und in allen Städten wird sich die Erde in Flüsse und Seen verwandeln.

Das ist nicht schuld von uns Leuten, von uns Frauen und Männern. Den Namen des Schuldigen kennen wir bereits, es ist der Kapitalismus. Der Kapitalismus ist dabei, das Leben der Natur zu zerstören.

Ein Beispiel, was ich Euch geben kann: Woher kommt diese [Plastik]-Flasche, die ich hier in der Hand halte und all das, was wir in Händen halten [ein Wort unverständlich]? Das sind Millionen an Tonnen. Woher entnehmen sie den Treibstoff, den die Flugzeuge gebrauchen, woher kommt das Öl? Aus der Mutter Erde. Millionen Jahre lag es dort, und der Kapitalismus zerstört es in 5 oder 10 Jahren.

Wir sind jedenfalls gekommen, dies anzugehen, darüber zu sprechen: Für das Leben.

Die Natur selbst wird es uns lehren, wie ich Euch sagte. Von dort aus werden wir vergleichen, werden wir die Veränderungen bemerken, die durch die Zerstörungen verursacht wurden. Wir Pueblos originarios haben es am eigenen Leib erfahren, was der Kapitalismus durch den Bergbau zerstörte. Und wenn die Natur zürnt, wird sie kaum respektieren und danach fragen, wer vorbeikommt, um sie zu erhalten. Arm oder reich, wer auch immer daher kommt … wenn die Natur in Zorn gerät – als Reaktion auf die Schäden, die angerichtet werden …

Die Regierenden geben Erklärungen ab, dass sie helfen, unterstützen und Lösungen bieten werden – dies ist [jedoch] eine vergänglich Sache, innerhalb der Minuten, in denen sie sprechen – danach wird es wieder vergessen. Die Regierenden werden nichts tun, denn sie sind Komplizen des Kapitalismus. Sie treffen gemeinsam die Vereinbarungen, um die Zerstörung umzusetzen. Keiner [von ihnen] wird mit uns verteidigen und kämpfen gegen das, was der Kapitalismus anrichtet. Niemals. Ich sage: niemals – denn wir haben bereits seit unseren Urgroßeltern, 500 Jahre lang gesehen: keiner, absolut keiner wird für uns kämpfen.

Die Veränderung, die wir Armen der Welt wollen, ist eine wirkliche Veränderung. Keine Veränderung, wie es den schlecht Regierenden und den Reichen gefällt, nicht wahr?

Wir haben das bereits in anderen Ländern gesehen: Sie sagen, sie verändern, sie sind gute Regierungen – und jetzt sind da andere, die natürlich das schlechte Regieren umsetzen.

Somit Brüder und Schwestern, wir sind gekommen, um mit Euch darüber zu sprechen. Wir sind nicht gekommen, um mit den großen Massen zu sprechen, sondern mit denen, die mit uns sprechen wollen, denen wir zuhören wollen, wie sie kämpfen und sich schlagen und wie sie denken. Was wir denken und was wir wollen, ist, dass sich unsere Augen und unser Verstand öffnen müssen – auf dem Land wie in der Stadt.

Wir, die wir die Mutter Erde bearbeiten, das Land bearbeiten, wir haben dort viele Probleme der Ausbeutung, Ungerechtigkeit, Armut und Ungleichheit. Und dies erzeugt viel Wut und Zorn, denn es sind viele, lange Jahre, dass dies erlitten wird. Jedoch, Brüder und Schwestern in der Stadt, all diese Arbeiten, die wir machen, tun wir auf dem Land, auf der Mutter Erde. Und von all dem essen wir – auf dem Land wie auch in der Stadt.

Zum Beispiel dies [er zeigt ein Päckchen]. Ich stelle mir vor, es beinhaltet Weizen oder Reis oder Mais. Aber woher kam der Mais, wo wuchs der Weizen oder Reis heran? Er kam von der Erde. Oder irre ich mich? Dies essen auch die Brüder und Schwestern der Stadt. Und die Brüder und Schwestern in der Stadt arbeiten, sei es als Sekretäre, Buchhalter, Sekretärinnen in großen Gebäuden, nicht wahr? Um etwas zu verdienen.

Was ich diesen sagen möchte, ist: Wenn wir uns als Menschen, die wir sind, auf diesem Planeten Erde nicht verstehen – dann werden wir wütend sein und sagen: "Diese Faulpelze, sie wollen bloß nicht arbeiten!" – wenn Indígenas, Kleinbäuerinnen, Landarbeiterinnen kämpfen wegen all dem, von dem ich Euch zuvor sprach – wenn sie ihre Blockaden machen und all das. Weil wir nicht sehen, was den Land-Arbeitenden leiden macht. Denn es ist ja nicht das Gleiche [in der Stadt zu arbeiten], wie auf dem Land zu arbeiten.

Genauso wie wir hier jetzt mit einem beschränktem Blick stehen – auf diejenigen, die im Büro arbeiten. Auch sie sind jedoch ausgebeutet.

Somit brauchen wir Stadt und Land zusammen, wir müssen gemeinsam die Mutter Erde verteidigen und bewahren. Denn sie ist es, die uns Leben gibt – tatsächlich, wirklich. Und nicht das, was vermeintlich der Kapitalismus gibt, der lediglich möchte, dass sein Geld regiert. Das Geld ist für sie die Macht und ihr König.

Für alle Zapatistas, Frauen und Männer, ist es dringlich: Wir müssen etwas tun – denn die schlecht Regierenden werden nichts machen. Sie werden einfach nur bei dem, was passiert, zuschauen.

Alles was gegenwärtig und in den letzten Wochen, Monaten zu sehen ist – und was passiert wegen der Zerstörung und der Reaktion der Mutter Natur – zeigt: Es wird noch schlimmer kommen. Wenn wir bemerken, dass in unserer Stadt niemals zuvor gesehene Überschwemmungen auftreten, werden wir sagen: Niemals werden wir zulassen, dass der Kapitalismus, dessen Namen wir so oft erwähnt haben, mit seiner Zerstörung fortfährt.

Schwestern und Brüder, wir sind hier, wir zapatistischen Frauen und Männer, weil es unsere Compañeros und Compañeras gab, die kämpfend gefallen sind. Sie fielen in der Morgendämmerung [zu Beginn] des Jahres 1994 – als wir los gingen, um gegen die schlechte Regierung zu kämpfen. Wir sind hier, Compañeras, Compañeros – dank unserer Compañeros und Compañeras, die im Widerstand und in der Rebellion gefallen sind. Und unser Widerstand und unsere Rebellion liegt darin, uns als Pueblo selbst regieren zu wollen. Wir möchten nicht töten, wir möchten nicht sterben. Das Problem ist: Sie geben uns nicht die Gelegenheit, das zu tun, was wir als Frauen und Männer denken.

Das, was wir im Laufe dieser 28 Jahre tun, ist: Wir schießen nicht, wir töten nicht. Wir möchten nicht sterben, wir möchten das Leben. Und wir werden dort weiter machen, wo wir stehen. Und wir denken, derart sollten es auch die Armen der Welt machen; wir denken, jedejeder gemäß ihrenseinen Geographien und Kalendern, wie wir dazu sagen.

Unsere gefallenen Compañeras und Compañeros haben uns gesagt: "Eines Tages werden wir zu unseren Geschwistern der Welt sprechen müssen." Wir haben nicht gedacht, dass wir dazu in Wien ankommen würden. Und jetzt sind wir in Wien, der Hauptstadt Österreichs. Und derart werden wir zu anderen Welten gehen – zu jenen, die uns einladen werden, so wie wir nach hier eingeladen worden sind. Das kostet [viel Anstrengung], aber so ist es für diejenigen, die kämpfen wollen.

Danke – und wir werden uns in diesen Tagen noch öfters sehen.


Transkribiert und übersetzt: lisa-colectivo malíntzin. [nicht autorisierte Übersetzung]

Original-Audio-Quelle: https://pozol.org/?p=19499