Offener Brief zum Besuch des deutschen Botschafters bei ZEDE Próspera in Honduras

Anlässlich des Besuchs des deutschen Botschafter Jens Janik am 28. Juli 2021 bei ZEDE Próspera dokumentiert amerika21 einen an ihn gerichteten offenen Brief

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Der Widerstand gegen das Projekt der "Freien Privatstadt" ist ungebrochen
Der Widerstand gegen das Projekt der "Freien Privatstadt" ist ungebrochen

Sehr geehrter Herr Botschafter,

wir schreiben Ihnen in Bezug auf Ihren Besuch bei der ZEDE Próspera auf Roatán am 28. Juli 2021. Ziel Ihres Besuchs war es laut der entsprechenden Veröffentlichung auf dem offiziellen Twitter-Account der Deutschen Botschaft, "sich ein umfassendes und eigenes Bild über ein sehr wichtiges Thema wie #ZEDEs zu machen".

Als deutsches Menschenrechtsnetzwerk, das seit 2010 in Honduras aktiv ist, begrüßen wir die Absicht, die ZEDEs in Honduras besser zu verstehen. Wir möchten jedoch unsere Besorgnis über die Art und Weise zum Ausdruck bringen, in der diese Absicht Ihrerseits in die Praxis umgesetzt wurde. Nach Angaben honduranischer Medien haben Sie sich ausschließlich mit den Betreiber*innen und einigen Mitarbeiter*innen der ZEDE Próspera getroffen. Dem Vernehmen nach fand der offizielle Besuch zusammen mit einer Vertreterin der Deutsch-Honduranischen Industrie- und Handelskammer (AHK) statt, und es wurden Investitionsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen in der ZEDE erörtert.

Laut einem weiteren Medienbericht sollen Sie am Ende Ihres Besuchs gesagt haben: "Die deutsche Botschaft ist daran interessiert, sich ein vollständiges Bild von der Entwicklung von Próspera zu machen. Nachdem ich das Projekt persönlich besichtigt habe, bin ich froh über diese wertvolle Erfahrung auf der Insel Roatan."

Wir würden gerne wissen, ob diese Schlussfolgerung tatsächlich dem Tenor Ihres Besuchs entspricht. Haben Sie insofern Ihre Meinungsbildung bereits abgeschlossen?

Würde die AHK deutschen Unternehmen – auch nach dem Rückzug der TUM International GmbH – empfehlen, in honduranische ZEDEs, insbesondere in die ZEDE Próspera, zu investieren? Auf Grund welcher Risikoabschätzung?

Bereits vor einem Jahr, am 10. August 2020, hat sich ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen aus den Islas de la Bahía gegen die Einrichtung der ZEDE ausgesprochen und auf die

Verletzung der ILO-Konvention 169 bei der Ausweisung der ZEDE Próspera hingewiesen. Soweit uns bekannt ist, haben Sie sich während Ihres Besuchs in Roatan weder mit Vertreter*innen der Gemeinde Crawfish Rock noch mit anderen ZEDE-kritischen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen oder sozialen Bewegungen getroffen. Zumindest haben Sie dies im Gegensatz zu Ihrem Besuch bei der ZEDE Próspera nicht öffentlich gemacht. Warum ist das nicht geschehen? Hätte ein solcher Austausch nicht zu einer umfassenden Betrachtung des Problems beigetragen und darüber hinaus die Legitimität kritischer Haltungen gegenüber der ZEDE und die Bedeutung der Meinungsfreiheit wirksam unterstrichen?

In Honduras gibt es seit langem eine rechtlich und vor allem verfassungsrechtlich begründete, grundsätzliche Kritik der Zivilgesellschaft an ZEDEs.

Es ist hier vor allem wichtig, den Kontext hervorzuheben, in dem die ZEDEs in Honduras genehmigt und umgesetzt wurden. So ist allgemein bekannt, dass die Art und Weise, in der das ZEDE-Gesetz 2013 nach der willkürlichen Entlassung von vier Mitgliedern der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs verabschiedet wurde, von der honduranischen Gesellschaft stark in Frage gestellt wurde. Gleiches gilt für die fehlende Transparenz bei der Ernennung der Mitglieder des Committee for Adoption of Best Practices (CAMP), dem Leitungsorgan des ZEDE-Systems.

Die Garífuna-Gemeinschaften an der Atlantikküste von Honduras warnen seit Jahren vor den negativen Auswirkungen der ZEDE auf die Menschenrechte der Bevölkerung, auch wenn diese Warnungen von der derzeitigen und früheren Regierungen weitgehend ignoriert wurden. In letzter Zeit haben sich zudem immer mehr Munizipien im ganzen Land gegen das ZEDE-Regime ausgesprochen. Dies geschieht im Rahmen von gut besuchten und demokratisch legitimierten Bürgerbversammlungen, den so genannten cabildos abiertos municipales. Inzwischen hat auch ein Teil der honduranischen Geschäftswelt starke Vorbehalte gegen die ZEDE geäußert. Ablehnung kam auch vom Antikorruptionsrat (CNA) und der Nationalen Universität von Honduras (UNAH). Letztere hat gegen einige Bestimmungen des ZEDE-Gesetzes Verfassungsbeschwerde eingereicht. Ein umfassender Überblick über die breite Opposition der Zivilgesellschaft wurde kürzlich von CESPAD publiziert.

Die honduranische Bischofskonferenz gab just am 28. Juli 2021 folgende Erklärung ab:

"... wir sind besorgt darüber, dass die Regierung den fairen und begründeten Äußerungen und Erklärungen vieler wichtiger Institutionen des Landes, wie der UNAH, der Vereinigung der Staatsanwälte von Honduras, der honduranischen Hochschule für Ökonomen, Sektion Nord-West, der Anwaltskammer, der CNA, der FOSDEH, sowie den Debatten und anderen Ausdrucksformen der Bevölkerung nicht zuhört oder sie nicht beachtet.

Auf der anderen Seite sind wir Zeugen der unverständlichen und verdächtigen Unempfindlichkeit und Gleichgültigkeit der entsprechenden Behörden und der Mehrheit der Politiker in unserem Land gegenüber den Stimmen, die nach Gerechtigkeit und Achtung solcher Grundrechte wie der Verteidigung der Souveränität und Integrität unseres Heimatlandes rufen.

Die Bischofskonferenz bringt ihre Solidarität zum Ausdruck und schließt sich der Erklärung unserer bischöflichen Mitbrüder in ihren Diözesen an, die sich die Forderungen der Zivilgesellschaft zu eigen gemacht haben, indem sie friedlich die Nichtumsetzung der Zonen für Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung (ZEDE) fordern, da diese unter offenem Verstoß gegen die Verfassung der Republik Honduras und zum Nachteil unserer territorialen Ordnung geschaffen wurden."

In Bezug auf die genannten Punkte möchten wir Ihnen folgende Frage stellen:

Wie haben Sie die grundsätzlichen demokratietheoretischen und rechtlichen Bedenken, wie z.B. menschenrechtliche Bedenken, gegen ZEDEs im Allgemeinen, die breite gesellschaftliche Ablehnung von ZEDEs und die konkreten Befürchtungen von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen im Besonderen bei der im Tweet der Botschaft genannten umfassenden eigenen Meinungs- und Ideenbildung berücksichtigt?

Zu welchem Ergebnis sind Sie dabei gekommen?

Diese Fragen sind für uns von großer Bedeutung, nicht zuletzt, weil offensichtlich drei der für die private Sondergerichtsbarkeit von ZEDE Próspera vorgeschlagenen Richter aus Deutschland stammen. Dies wirft Fragen zu den möglichen Interessen deutscher, öffentlicher und privater, Akteur*innen in Bezug auf ZEDEs auf und läßt den Verdacht aufkommen, dass von offizieller deutscher Seite ein "libertäres", antidemokratisches Projekt offiziell legitimiert und gutgeheißen wird.

Normalerweise würden wir Ihnen nicht-öffentlich schreiben und versuchen, über die angesprochenen Fragen miteinander ins Gespräch zu kommen. Da die deutsche Botschaft jedoch Ihren Besuch bei der ZEDE Próspera in der genannten Form öffentlich gemacht hat und, nach unserer Kenntnis, keinen öffentlichen Raum für Gespräche mit ZEDE-Kritiker*innen und Betroffenen angeboten hat, erlauben wir uns, unsere Fragen öffentlich zu stellen.

Wir denken, die deutsche wie auch die honduranische Öffentlichkeit haben ein Recht darauf zu erfahren, wie Ihre umfassende Meinungsbildung zu den ZEDEs in Honduras ausfällt. Sonst entsteht allenfalls der - medial vermittelte - Eindruck, dass die deutsche Botschaft in Honduras ZEDEs im Allgemeinen und ZEDE Próspera im Besonderen unterstützt.

Mit freundlichen Grüßen,

Andrea Lammers

Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V. München für HondurasDelegation Deutschland

München/Berlin, 6. August 2021

Nachtrag vom 12. August: Der Botschafter hat inzwischen auf den Brief reagiert, aber die Fragen nicht beantwortet