Brasilien / Politik

Ansprache von Luiz Inácio Lula da Silva zum Nationalfeiertag am 7. September 2020

"Um Brasilien nach der Pandemie wieder aufzubauen, brauchen wir einen neuen Gesellschaftsvertrag unter allen Brasilianern"

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Lula da Silva bei seiner Ansprache zum Nationalfeiertag am 7. September
Lula da Silva bei seiner Ansprache zum Nationalfeiertag am 7. September

Meine Freunde !

In den letzten Monaten bedrückt eine unendliche Traurigkeit mein Herz. Brasilien durchlebt eine der schlimmsten Perioden seiner Geschichte.

Mit 130.000 Toten und vier Millionen infizierten Menschen stürzen wir in eine nie dagewesene gesundheitliche, soziale, wirtschaftliche und ökologische Krise.

Mehr als zweihundert Millionen Brasilianer wachen jeden Tag auf, ohne zu wissen, ob ihre Verwandten, Freunde oder sie selbst abends noch gesund und am Leben sein werden.

Die überwältigende Mehrheit der durch das Coronavirus Getöteten sind arme, schwarze, verletzliche Menschen, die der Staat im Stich gelassen hat.

In der größten und reichsten Stadt des Landes (São Paulo) ist die Zahl der Todesfälle durch Covid-19 unter Schwarzen und Mulatten in der Peripherie nach Angaben der Gesundheitsbehörden um 60 Prozent höher.

Jeder dieser Todesfälle, die von der Bundesregierung mit Geringschätzung behandelt werden, hatte einen Vornamen, einen Nachnamen und eine Adresse. Er hatte einen Vater, eine Mutter, einen Bruder, einen Sohn, einen Ehemann, eine Frau und Freunde. Es schmerzt zu wissen, dass Zehntausende Brasilianer nicht von ihren Lieben Abschied nehmen konnten. Ich weiß, was das für ein Schmerz ist.

Es wäre möglich gewesen, ja, so viele Tote zu vermeiden.

Wir sind einer Regierung anvertraut, die das Leben gering schätzt und den Tod trivialisiert. Eine unsensible, unverantwortliche und inkompetente Regierung, die die Normen der Weltgesundheitsorganisation missachtet und das Coronavirus zu einer Massenvernichtungswaffe gemacht hat.

Die Regierungen, die aus dem Putsch hervorgingen, froren die Ressourcen ein und schafften das Einheitliche Gesundheitssystem,ab, das weltweit als Modell für andere Entwicklungsländer respektiert wird. Und der Zusammenbruch war nur dank der anonymen Helden, den Mitarbeitern des Gesundheitssystems, nicht noch katastrophaler.

Die Mittel, die zur Rettung von Leben hätten verwendet werden können, wurden eingesetzt, um Zinsen an das Finanzsystem zu zahlen.

Der Nationale Währungsrat hat soeben angekündigt, dass er mehr als 300 Milliarden Reais aus den Gewinnen der Reserven entnehmen wird, die unsere Regierungen hinterlassen haben.

Es wäre verständlich, wenn dieses Vermögen dazu bestimmt wäre, den arbeitslosen Arbeitnehmer zu retten oder die Nothilfe von 600 Reais für die Dauer der Pandemie aufrechtzuerhalten.

Aber das liegt nicht in der Absicht der Regierungsökonomen. Sie haben bereits angekündigt, dass dieses Geld zur Zahlung der Zinsen für die Staatsschulden verwendet werden soll!

In den Händen dieser Menschen wird die öffentliche Gesundheit in all ihren Aspekten misshandelt.

Die Ablösung der Führung des Gesundheitsministeriums durch Militärpersonal ohne Erfahrung im medizinischen Bereich und im Gesundheitswesen ist nur die Spitze des Eisbergs. In einer autoritären Eskalation hat die Regierung Hunderte von Militärangehörigen, aktive und aus der Reserve, in die Bundesverwaltung versetzt, darunter in viele Schlüsselpositionen, was an die dunklen Tage der Diktatur (1964-1985) erinnert.

Das Schlimmste von allem ist, dass Bolsonaro das kollektive Leid ausnutzt, um in aller Heimlichkeit das Verbrechen des Landesverrats zu begehen, Ein politisch unauslöschbares Verbrechen, das größte Verbrechen, das ein Regierender gegen sein Land und sein Volk begehen kann: die Aufgabe der nationalen Souveränität.

Es ist kein Zufall, dass ich mich entschlossen habe, am 7. September, dem Unabhängigkeitstag Brasiliens, mit Ihnen zu sprechen, dem Tag an dem wir die Geburt unseres Landes als souveräne Nation feiern.

Souveränität bedeutet Unabhängigkeit, Autonomie, Freiheit. Das Gegenteil ist Abhängigkeit, Knechtschaft, Unterwerfung.

Mein ganzes Leben lang habe ich immer für die Freiheit gekämpft.

Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Demonstrations- und Organisationsfreiheit, Gewerkschaftsfreiheit, Freiheit der Initiative.

Es ist deshalb wichtig, sich daran zu erinnern, dass es keine Freiheit geben wird, wenn das Land selbst nicht frei ist.

Der Verzicht auf Souveränität bedeutet, das Wohlergehen und die Sicherheit unseres Volkes den Interessen anderer Länder unterzuordnen.

Die Gewährleistung der nationalen Souveränität ist nicht nur die Frage der Bewachung unserer Landes- und Seegrenzen und unseres Luftraums. Es bedeutet auch, unser Volk, unsere Bodenschätze zu verteidigen, unsere Wälder, unsere Flüsse und unser Wasser zu pflegen und zu schützen.

Im Amazonasgebiet müssen wir mit Wissenschaftlern, Anthropologen und Forschern präsent sein, die sich dem Studium von Fauna und Flora widmen und dieses Wissen in der Pharmakologie, der Ernährung und in allen Bereichen der Wissenschaft einsetzen, unter Achtung der Kultur und der sozialen Organisation der indigenen Völker.

Die gegenwärtige Regierung unterstellt Brasilien den USA in erniedrigender Weise und bringt unsere Soldaten und Diplomaten in eine beschämende Lage. Sie droht auch, das Land entgegen unserer Verfassung in militärische Abenteuer gegen unsere Nachbarn zu verwickeln, um den wirtschaftlichen und militärisch-strategischen Interessen der USA zu dienen.

Die Unterwerfung Brasiliens unter die militärischen Interessen Washingtons wurde vom Präsidenten selbst eingeleitet, als er einen General der brasilianischen Streitkräfte zum Dienst im Südkommando der USA unter dem Befehl eines amerikanischen Offiziers beorderte.

In einem weiteren Angriff auf die nationale Souveränität unterzeichnete die derzeitige Regierung ein Abkommen mit den USA, das die Luft- und Raumfahrtbasis Alcântara unter die Kontrolle von US-Beamten stellt, aber Brasilien den Zugang zu ihrer Technologie, auch aus Drittländern, verwehrt.

Wer die wahren Ziele der Regierung kennen will, braucht nicht die geheimen Akten der ABIN oder des Geheimdiensts des Heeres.

Die Antwort steht jeden Tag im Amtsblatt, in jeder Handlung, in jeder Entscheidung, in jeder Initiative des Präsidenten und seiner Berater, Bankiers und Spekulanten, die er zur Führung unserer Wirtschaft berufen hat.

Hundertjährige Institutionen wie die Bank von Brasilien, die Caixa Econômica Federal und die BNDES, Symbole der Entwicklungsgeschichte des Landes, werden zerschnippelt oder einfach zu einem schäbigen Preis verkauft.

Die staatlichen Banken wurden nämlich nicht geschaffen, um Familien zu bereichern. Sie sind Instrumente des Fortschritts. Sie finanzieren das Eigenheim der Armen, die Landwirtschaft der Familien, sanitäre Einrichtungen und die für die Entwicklung notwendige Infrastruktur.

Wenn wir uns den Energiesektor ansehen, bemerken wir einen ebenso zerstörerischen und schädlichen Umgang mit unserem Land und Boden.

Nachdem die Regierung das Pré-Sal-Gebiet für lächerliche Summen zum Verkauf freigeben hat, demontiert sie Petrobrás. Sie verkaufte dessen Verteilerorganisation und seine Gaspipelines. Die Raffinerien werden demontiert. Nach der Zerschlagung kommen die großen multinationalen Konzerne, um zu beenden, was von dem für die Souveränität Brasiliens strategisch bedeutenden Unternehmen übrig geblieben ist.

Ein halbes Dutzend multinationaler Konzerne bedroht die Einkünfte von Hunderten Milliarden Reais aus Pré-Sal-Ressourcen, die einem Staatsfonds zur Finanzierung der Entwicklung in den Bereichen Bildung und Wissenschaftlichen dienen sollten.

Embraer, einer der größten Trümpfe unserer technologischen Entwicklung, entging bislang der Auslieferung nur wegen der Schwierigkeiten des Unternehmens, das Embraer erwerben wollte, Boeing, das eng mit dem militärisch-industriellen Komplex der USA verbunden ist.

Die Demontage ist damit nicht beendet.

Die Privatisierungswut der Regierung beabsichtigt, das größte Stromerzeugungsunternehmen Lateinamerikas, Eletrobrás, zu verkaufen, einen Giganten mit 164 Anlagen - zwei davon thermonuklear - die für fast 40 Prozent des Energieverbrauchs in Brasilien verantwortlich sind.

Der von der Regierung geförderte Abbau von Universitäten, Bildung und Institutionen, die Wissenschaft und Technologie unterstützen, sind reale und konkrete Bedrohungen unserer Souveränität.

Ein Land, das kein Wissen produziert, das seine Lehrer und Forscher verfolgt, das Forschungsstipendien kürzt und der Mehrheit seiner Bevölkerung die Hochschulbildung verweigert, ist zu Armut und ewiger Unterwerfung verdammt.

Die destruktive Besessenheit dieser Regierung hat die nationale Kultur einer Reihe von Abenteurern überlassen. Künstler und Intellektuelle rufen zur Rettung des Hauses von Ruy Barbosa, von Funarte, von Ancine auf. Die Cinemateca Brasileira, in der ein Jahrhundert der Erinnerung des nationalen Films aufbewahrt wird, läuft ernsthaft Gefahr, das gleiche tragische Schicksal zu erleiden wie das Nationalmuseum.

Meine Freunde!

In der Isolation der Quarantäne habe ich viel über Brasilien und über mich selbst nachgedacht, über meine Fehler und Erfolge und über die Rolle, die mir im Kampf unseres Volkes für bessere Lebensbedingungen noch zukommen kann.

Ich habe beschlossen, mich an Ihrer Seite auf den Wiederaufbau Brasiliens als unabhängige Nation mit demokratischen Institutionen, ohne oligarchische und autoritäre Privilegien zu konzentrieren. Ein echter demokratischer Rechtsstaat auf der Grundlage der Volkssouveränität. Eine Nation, die sich auf Gleichheit und Pluralismus konzentriert. Eine Nation, die sich in eine neue internationale Ordnung einfügt, die auf Multilateralismus, Zusammenarbeit und Demokratie beruht, in Südamerika integriert ist und in Solidarität mit anderen Entwicklungsländern steht.

Das Brasilien, das ich mit Euch wieder aufbauen möchte, ist eine Nation, die sich für die Befreiung unseres Volkes, der Arbeiter und Ausgeschlossenen einsetzt.

In einem Monat werde ich 75 Jahre alt.

Rückblickend kann ich nur Gott danken, der mir gegenüber sehr großzügig war. Ich muss meiner Mutter, Frau Lindu, dafür danken, dass sie einen Lackel ohne Diplom zu einem stolzen Arbeiter gemacht hat, der eines Tages Präsident der Republik werden würde. Dafür, dass sie mich zu einem Mann ohne Groll, ohne Hass gemacht hat.

Ich bin der Junge, der die gültigen Vorstellungen verleugnete, der den Sozialkeller verließ und das oberste Stockwerk erreichte, ohne jemanden um Erlaubnis zu bitten, nur das Volk.

Ich ging nicht durch die Hintertür, sondern durch den Haupteingang. Das ist es, was die Mächtigen nie verziehen haben.

Sie hatten mir die Rolle eines Statisten reserviert, ich wurde zum Protagonisten in den Händen brasilianischer Arbeiter.

Ich konnte zeigen, dass das Volk in den Haushalt der Regierung passt. Mehr noch, ich habe bewiesen, dass die Menschen ein außerordentliches Gut, ein enormer Reichtum sind. Mit dem Volk schreitet Brasilien voran, wird reicher, stärker, ein souveränes und gerechtes Land.

Ein Land, in dem der von allen produzierte Reichtum an alle verteilt wird - aber in erster Linie an die Ausgebeuteten, die Unterdrückten, die Ausgeschlossenen.

Alle Fortschritte, die wir gemacht haben, wurden von konservativen Kräften, die mit den Interessen anderer Mächte verbündet sind, heftig bekämpft.

Sie haben sich nie damit abgefunden, Brasilien als ein unabhängiges Land in Solidarität mit seinen lateinamerikanischen und karibischen Nachbarn, mit afrikanischen Ländern, mit Entwicklungsländern zu sehen.

Und diese Errungenschaften der Arbeiter, dieser Fortschritt der Armen, das Ende der Unterwürfigkeit, sie sind der Grund des Putsches von 2016.

Darin liegt die Wurzel des Verfahrens gegen mich, meiner illegalen Verhaftung und das Verbot meiner Kandidatur 2018. Prozesse, die sich - wie inzwischen jeder weiß - auf die kriminelle geheime Zusammenarbeit der US-Geheimdienste verlassen haben.

Indem wir 40 Millionen Brasilianer aus ihrem Elend befreit haben, haben wir in diesem Land eine Revolution ausgelöst. Eine friedliche Revolution, ohne Schießereien oder Gefangene.

Als sie sahen, dass dieser Prozess des sozialen Aufstiegs der Armen weitergehen würde, dass die Bekräftigung unserer Souveränität nicht aufgegeben würde, beschlossen diejenigen, die glauben, Brasilien zu besitzen, drinnen und draußen, ihn zu stoppen.

Und da wurde die Unterstützung der konservativen Eliten für Bolsonaro geboren. Sie akzeptierten ihre Flucht aus den Debatten als selbstverständlich. Sie dirigierten Flüsse von Geld in die Branche der Nachrichtenfälschung. Sie schlossen die Augen vor seiner schrecklichen Vergangenheit. Sie gaben vor, seine Rede zur Verteidigung der Folter und der Vergewaltigung zu ignorieren.

Die Wahlen von 2018 warfen Brasilien in einen Alptraum, der kein Ende zu haben scheint. Mit dem Aufstieg von Bolsonaro wechselten die Milizionäre, Geschäftemacher und Auftragsmörder von den Registern der Polizei in die politischen Kolumnen der Medien über.

Wie in den Horrorfilmen haben die brasilianischen Oligarchien ein Monster geboren, das sie nun nicht mehr kontrollieren können, aber sie werden es bestehen lassen, solange es ihren Interessen dient.

Eine skandalöse Tatsache illustriert diese Duldung: In den ersten vier Monaten der Pandemie erhöhten vierzig brasilianische Milliardäre ihr Vermögen um 170 Milliarden Reais.

Unterdessen sank die Lohnsumme der Beschäftigten innerhalb eines Jahres um 15 Prozent, der höchste jemals von der IBGE verzeichnete Rückgang. Um zu verhindern, dass sich die Beschäftigten gegen diese Plünderungen verteidigen können, stranguliert die Regierung die Gewerkschaften, schwächt die Gewerkschaftszentralen und droht damit, die Türen der Arbeitsgerichte zu schließen.

Sie wollen der Gewerkschaftsbewegung das Rückgrat brechen, was nicht einmal die Diktatur erreicht hat.

Sie verstießen gegen die Verfassung von 1988. Sie lehnten demokratische Praktiken ab. Sie implantierten einen obskuren Autoritarismus, der die in jahrzehntelangem Kampf erreichten sozialen Errungenschaften zerstörte.

Sie gaben eine stolze und aktive Außenpolitik zugunsten einer beschämenden und demütigenden Unterwerfung auf.

Dies ist das wahre und bedrohliche Bild des heutigen Brasiliens.

Einem solchen Unglück muss ein neuer Sozialvertrag gegenübergestellt werden, der die Rechte und das Einkommen der arbeitenden Menschen verteidigt.

Meine Lieben,

mein langes Leben, einschließlich der fast zwei Jahre, die ich in einem ungerechten und illegalen Gefängnis verbracht habe, hat mich eine Menge gelehrt. Aber alles, was ich war, alles, was ich gelernt habe, passt in ein Korn, wenn diese Erfahrung nicht in den Dienst der Arbeiter gestellt wird.

Es ist nicht hinnehmbar, dass zehn Prozent der Bevölkerung vom Elend von 90 Prozent der Menschen leben.

Es wird niemals Wachstum und sozialen Frieden in unserem Land geben, solange der von allen produzierte Reichtum auf den Bankkonten von einem halben Dutzend Privilegierter landet.

Es wird niemals Wachstum und sozialen Frieden geben, wenn die öffentliche Politik und die Institutionen nicht alle Brasilianer gleich behandeln.

Es ist nicht hinnehmbar, dass brasilianische Arbeitnehmer weiterhin unter den perversen Auswirkungen der sozialen Ungleichheit leiden. Wir können nicht zulassen, dass das Leben unserer schwarzen Jugend von Gewalt geprägt ist, die an Völkermord grenzt.

Seit ich in jenem schrecklichen Video die acht Minuten und 43 Sekunden der Agonie von George Floyd gesehen habe, frage ich mich immer wieder: Wie viele George Floyd haben wir in Brasilien gehabt? Wie viele Brasilianer haben ihr Leben verloren, weil sie nicht weiß waren? Schwarze Leben sind wichtig, ja. Aber das gilt für die ganze Welt, für die USA und es gilt für Brasilien.

Es ist nicht hinnehmbar, dass sie in das Land der indigenen Völker eindringen, es ausplündern und seine Kulturen zerstören lassen. Das Brasilien, das wir wollen, ist das von Marschall Rondon und der Brüder Villas-Boas, nicht das der Kricketspieler und der Waldverwüster.

Wir haben eine Regierung, die die schönsten Tugenden unseres Volkes, wie Großzügigkeit, Friedensliebe und Toleranz, abtöten will. Die Menschen wollen keine Revolver oder Karabinerpatronen kaufen. Die Menschen wollen Lebensmittel kaufen.

Wir müssen entschieden gegen unbestrafte Gewalt gegen Frauen kämpfen. Wir können nicht akzeptieren, dass ein Mensch aufgrund des Geschlechts stigmatisiert wird.

Wir weisen die öffentliche Verspottung der Quilombolas zurück. Wir lehnen das Vorurteil ab, das als arm und minderwertig einstuft, wer in den Randgebieten der Großstädte lebt.

Wie lange werden wir mit so viel Diskriminierung, so viel Intoleranz und Hass leben?

Meine Freunde,

um Brasilien nach der Pandemie wieder aufzubauen, brauchen wir einen neuen Gesellschaftsvertrag unter allen Brasilianern.

Ein Gesellschaftsvertrag, der jedem das Recht auf ein Leben in Frieden und Harmonie garantiert. In der wir alle die gleichen Möglichkeiten haben, zu wachsen, in der unsere Wirtschaft im Dienste aller und nicht nur einer kleinen Minderheit steht. Und in dem unsere Naturschätze, wie der Cerrado, das Pantanal, Amazonien und der Atlantik-Wald respektiert werden.

Die Grundlage dieses Gesellschaftsvertrags muss das Symbol und die Grundlage des demokratischen Regierens sein: die Wahl.

Durch die Ausübung des Stimmrechts, frei von Manipulation und gefälschten Nachrichten, müssen Regierungen gebildet und die großen und grundlegenden Entscheidungen der Gesellschaft getroffen werden.

Durch diesen Wiederaufbau auf der Grundlage der Abstimmung werden wir ein demokratisches, souveränes Brasilien haben, das die Menschenrechte und Meinungsverschiedenheiten respektiert, die Umwelt und Minderheiten schützt und seine eigene Souveränität verteidigt.

Ein Brasilien von allen und für alle.

Wenn wir uns hierin einig sind, können wir diesen dramatischen Moment überwinden.

Das Wesentliche heute ist die Überwindung der Pandemie, die Verteidigung des Lebens und der Gesundheit der Menschen. Es geht darum, dieser Misswirtschaft und der Ausgabenobergrenze ein Ende zu setzen, die den brasilianischen Staat vor dem nationalen und internationalen Finanzkapital in die Knie zwingt.

Bei diesem mühsamen, aber unerlässlichen Unterfangen stelle ich mich dem brasilianischen Volk, insbesondere den Arbeitern und Ausgegrenzten, zur Verfügung.

Meine Freunde,

wir wollen ein Brasilien, in dem es Arbeit für alle gibt.

Wir sprechen vom Aufbau eines Wohlfahrtsstaates, der die Gleichberechtigung fördert, in dem der durch kollektive Arbeit erzeugte Reichtum der Bevölkerung entsprechend den Bedürfnissen eines jeden Einzelnen zurückgegeben wird.

Ein fairer, egalitärer und unabhängiger Staat, der den Arbeitern, den Ärmsten und den Ausgegrenzten Chancen bietet.

Dieses Brasilien unserer Träume ist vielleicht näher, als es scheint.

Selbst die Propheten der Wall Street und der City of London haben bereits erkannt, dass die Tage des Kapitalismus, wie die Welt ihn kennt, gezählt sind. Es dauerte Jahrhunderte, bis sie eine unbestreitbare Wahrheit entdeckten, die die Armen seit ihrer Geburt schon kennen: Was den Kapitalismus stützt, ist nicht das Kapital. Wir sind es, die Arbeiter.

In diesen Stunden kommt mir dieser Satz in den Sinn, den ich in einem Buch von Victor Hugo gelesen habe, das vor anderthalb Jahrhunderten geschrieben wurde und das jeder Arbeiter in seiner Tasche tragen sollte, auf ein kleines Stück Papier geschrieben, um ihn nie zu vergessen: "Aus der Hölle der Armen wird das Paradies der Reichen gemacht…"

Keine Lösung wird jedoch ohne die arbeitenden Menschen als Protagonisten Sinn machen. Wie die meisten Brasilianer glaube und akzeptiere ich nicht die sogenannten Pakte "von oben", mit den Eliten. Diejenigen, die von ihrer eigenen Arbeit leben, wollen nicht die Rechnung für die politischen Abmachungen, die oben gemacht werden, bezahlen.

Deshalb möchte ich einige persönliche Gewissheiten bekräftigen:

Ich unterstütze, akzeptiere und befürworte keine Lösung, die nicht die effektive Beteiligung der Arbeitnehmer vorsieht.

Zählen Sie nicht auf mich, wenn es um eine Vereinbarung geht, bei der nur das Volk herhalten muss.

Mehr denn je bin ich davon überzeugt, dass der Kampf für soziale Gleichheit einen Prozess erfordert, der die Reichen zwingt, Steuern proportional zu ihrem Einkommen und Vermögen zu zahlen.

Und dieses Brasilien, meine Freunde, ist für uns zum Greifen nah.

Ich kann dies bestätigen, wenn ich jedem einzelnen von Euch in die Augen sehe. Wir beweisen der Welt, dass der Traum von einem gerechten und souveränen Land wahr werden kann.

Ich weiß - Ihr wisst - dass wir Brasilien wieder zum Land unserer Träume machen können.

Und von ganzem Herzen sage ich: Ich bin hier. Lassen Sie uns gemeinsam Brasilien wieder aufbauen.

Wir haben noch einen langen gemeinsamen Weg vor uns.

Bleibt standhaft, denn gemeinsam sind wir stark.

Wir werden leben und wir werden siegen.

Luiz Inácio Lula da Silva