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"Für das Recht auf eigenständige Entwicklung ‒ Widerstand gegen den US-Imperialismus"

Redebeitrag von Yoerky Sánchez Cuellar, Chefredakteur der kubanischen Tageszeitung Juventud Rebelde, auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin am 11. Januar 2020

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Yoerky Sánchez Cuellar ist Chefredakteur der Tageszeitung Juventud Rebelde
Yoerky Sánchez Cuellar ist Chefredakteur der Tageszeitung Juventud Rebelde

Für das Recht auf eigenständige Entwicklung ‒ Widerstand gegen den US-Imperialismus

Sehr geehrte Teilnehmer der 25. Rosa-Luxemburg-Konferenz,

als junger Kubaner ist es für mich ein echtes Privileg, mich auf dieser Veranstaltung, die seit 1996 zu einer Referenz für das revolutionäre Avantgardedenken geworden ist, an Euch zu wenden. Es ist ein Raum, dem Kuba seine höchste Aufmerksamkeit gibt. Er ermöglicht uns, Kriterien auszutauschen, Kräfte im Kampf gegen den Kapitalismus zu vereinen und die Aggressionen anzuprangern, denen wir, die Völker, die den Weg der Würde und Unabhängigkeit gewählt haben, ausgesetzt sind.

Haben nicht auch die Ärmsten, diejenigen von uns, denen es an großen Ressourcen mangelt, das Recht auf eine eigene Entwicklung? Sollen sich die Länder der Dritten Welt damit abfinden müssen, Quellen für Rohstoffe und billige Arbeitskräfte für das transnationale Kapital zu sein? Welcher Grad an Bewusstsein ist nötig, um die Ungerechtigkeiten des Planeten, verpackt in neoliberale Pakete, hinwegzufegen?

Unsere kleine Karibikinsel liegt nur 90 Meilen von den Vereinigten Staaten entfernt, dem kriegerischen Imperium, das heute den Frieden auf der Erde bedroht. Von dort aus zeigt Kuba, dass es möglich ist, "einen sozialistischen Staat des Rechts und der sozialen Gerechtigkeit aufzubauen, demokratisch, unabhängig und souverän, organisiert mit allen und zum Wohle aller". Ein sozialistischer Staat, der "auf der Arbeit, der Würde, dem Humanismus und der Ethik seiner Bürger für den Genuss von Freiheit, Gleichheit, Gleichberechtigung, Solidarität, Wohlergehen und individuellem und kollektivem Wohlstand" basiert.

Dies steht wörtlich in Artikel 1 der neuen Verfassung der Republik zum Ausdruck, die im vergangenen Jahr mit der Zustimmung von 86,85 Prozent der Wahlberechtigten angenommen wurde. Zuvor hatten in einem breiten Konsultationsprozess mit dem Volk rund neun Millionen Bürgerinnen und Bürger Beiträge zu dem Verfassungsvorschlag geleistet, die zu 60 Prozent inhaltlich davon abwichen. Dies ist nur ein Beispiel für die breite Demokratie, die wir genießen. Sie ist aus unseren Wurzeln hervorgegangen ist und hat zwar universelle Erfahrungen berücksichtigt, aber keine fremden Modelle kopiert.

Die neue Magna Carta garantiert die Kontinuität der Revolution, die Unumkehrbarkeit des Sozialismus in Kuba und weist den Weg zum Voranschreiten der kommunistischen Gesellschaft. Diejenigen, die von den jüngeren Generationen der Kubaner Verrat und Entmutigung erwartet haben, oder dass wir den sozialistischen Weg verlassen würden, haben sich wieder einmal geirrt. Das Volk ist mehr denn je vereint, unter der trefflichen Leitung von Raúl Castro, dem Ersten Sekretär der Kommunistischen Partei, und der Führung von Präsident Miguel Díaz-Canel, einem in der Revolution geborenen und ausgebildeten Mann.

Das ist eine weitere schlechte Nachricht für die Trump-Regierung. Vielleicht verstärkt sie deshalb die wirtschaftliche, kommerzielle und finanzielle Blockade, die die USA unserem Land seit fast 60 Jahren auferlegt haben, auf ein noch nie dagewesenes Niveau. Die Folge dessen beläuft sich auf mehr als 138,8 Milliarden US-Dollar zu laufenden Preisen.

Die Blockade wird von der internationalen Gemeinschaft jedes Jahr mit überwältigender Mehrheit verurteilt. Sie ist das Haupthindernis für die Entwicklung unserer Nation. Es gibt keinen Bereich des kubanischen Lebens, der von den Auswirkungen dieser Völkermord-Politik nicht betroffen ist.

Zuweilen stoßen wir auf Analysten, die sich der kubanischen Realität von der rein theoretischen Ebene aus nähern. Sie greifen den Sozialismus an, um ihn als ein dekadentes System darzustellen. Sie ignorieren konkrete objektive Realitäten, als ob die Verluste durch die Blockade nichts mit den Schwierigkeiten unseres täglichen Lebens zu tun hätten. Dennoch verfügt Kuba inmitten der Wechselfälle und Mängel über ein erfolgreiches Sozialmodell. Wie viel mehr könnten wir zum Wohl unserer Kinder, Männer, Frauen und alten Menschen tun, wenn dieser unerbittliche Wirtschaftskrieg aufhören würde?

US-Funktionäre behaupten, dass die Blockade ein Vorwand für die kubanische Regierung ist. Sie sagen, dass die wahre Ursache der Probleme unseres Landes in dem von uns gewählten politischen, wirtschaftlichen und sozialen System liegt. Wenn dem so wäre: Warum heben sie die Blockade nicht auf? Warum beseitigen sie diesen Vorwand nicht? Dann würden wir sehen, wie wir uns weiterentwickeln könnten.

Trump und Pompeos Behauptung, dass nicht das Volk von Kuba das Ziel ihrer Angriffe ist, sondern die Regierung, erweist sich als falsch und heuchlerisch. Ihre Arroganz bringt sie dazu, dass sie die Fähigkeiten von Millionen Töchtern und Söhnen der Insel unterschätzen. Wir kennen die Absicht hinter diesem Diskurs sehr gut: die nationale Einheit zu untergraben und die Menschen glauben zu machen, dass diejenigen Schuld an unseren wirtschaftlichen Problemen sind, die uns anführen. Das sind keine internationalen Sanktionen gegen die Regierung, wie sie behaupten. Sie richten sich direkt gegen unser Volk.

Als Leiter eines Kommunikationsmediums, das sich hauptsächlich an junge Menschen richtet, habe ich die Verantwortung, über jede aggressive Aktion der US-Regierung gegen Kuba und die Antwort unseres Landes zu berichten. Im Jahr 2019 war es eine Maßnahme pro Woche, "alle sieben Tage eine Umdrehung weiter beim Anziehen der Schraube", wie Präsident Díaz-Canel in seiner jüngsten Rede vor der Nationalversammlung betonte.

Die bloße Aufzählung dieser Aktionen würde das Zeitlimit für meinen Vortrag hier überschreiten. Man kann sie aber auf den digitalen Seiten der kubanischen Medien nachverfolgen. Ich werde kurz auf die wichtigsten eingehen.

Im Mai 2019 aktivierte Präsident Trump den Abschnitt 3 des Helms-Burton-Gesetzes, der absolut illegal und ein Verstoß gegen das Völkerrecht sowie gegen kubanische und US-amerikanische Gesetze ist. Frühere Präsidenten haben dies nicht getan. Abschnitt 3 erlaubt es US-Bürgern, einschließlich kubanischer US-Amerikaner, die diese Staatsbürgerschaft 1959 noch nicht besaßen, vor Gericht Klagen gegen Einzelpersonen oder Unternehmen mit wirtschaftlichen Interessen an dem von der kubanischen Regierung legal verstaatlichten Eigentum einzureichen.

Dieses Gesetz verstößt gegen elementare Regeln und Prinzipien, die in der UN-Charta anerkannt sind, wie die Selbstbestimmung, die Handelsfreiheit und die Nichteinmischung in Angelegenheiten, die in die innere Zuständigkeit der Staaten fallen, sowie gegen den Grundsatz des friedlichen Zusammenlebens der Völker.

Alle seine Postulate führen zu Aggression und Einmischung. So schlägt z. B. Abschnitt II einen Zukunftsentwurf für die politische, wirtschaftliche und soziale Organisation Kubas nach dem Sturz der verfassungsmäßigen Revolutionsregierung vor.

Deshalb hat unser Parlament nach der Verabschiedung des Helms-Burton-Gesetzes im März 1996 mit dem Gesetz Nr. 80 reagiert, dem Gesetz über die Würde und Souveränität Kubas. Dieser Text erklärte das Helms-Burton-Gesetz für illegal, unanwendbar und ohne jegliche Rechtswirkung auf unserem Staatsgebiet.

Ebenfalls im letzten Jahr hat die US-Regierung die Überweisungen an Personen in Kuba auf nur noch 1.000 Dollar pro Quartal reduziert. Sie verbot Reisen mit Kreuzfahrtschiffe aus den USA und Flüge von dort in die Provinzen, mit Ausnahme von Havanna. Sie reaktivierte das Verbot für Unternehmen aus Drittländern, die uns Waren mit mehr als zehn Prozent US-Komponenten verkaufen. Sie setzte das Verbot für US-Vermittlerbanken wieder in Kraft, die Zahlungen in Dollar zwischen kubanischen und Banken in Drittländern vornehmen, und erweiterte die Liste der Einrichtungen und Personen, die vom Office of Foreign Assets Control (OFAC) des Finanzministeriums finanziell blockiert werden.

Was die finanzielle Verfolgung angeht, weise ich nur auf ein Beispiel hin. Am 14. Februar 2019 verhängte das OFAC eine Strafe von mehr als fünf Millionen Dollar gegen eine US-Tochtergesellschaft mit Sitz in Deutschland wegen 304 Verstößen gegen die Vorschriften zur Kontrolle kubanischer Vermögenswerte. Dieses Unternehmen, das Laborsubstanzen und chemische Produkte für den industriellen Gebrauch herstellt, verkaufte seine Produkte zwischen Mai 2012 und Februar 2016 nach Angaben des OFAC unter Verletzung der Blockadegesetze an Kuba.

Insbesondere führte die US-Regierung eine heftige Jagd auf Öltanker durch, die das Land mit Treibstoff versorgen, was die nationale Wirtschaft in eine komplizierte Situation brachte. Jede andere Nation hätte unter diesen Umständen die Sozialbudgets gekürzt oder die Preise für fossile Brennstoffe und Strom erhöht.

Obwohl die Auswirkungen schwerwiegend waren, wurde in Kuba nicht eine einzige Schule, nicht ein einziges Krankenhaus geschlossen. Niemals werden wir auf neoliberale Maßnahmen zurückgreifen. Der Apell war auf Sparsamkeit und auf die Solidarität unter uns gerichtet. Er ging dahin, als Land zu denken. Wir haben wieder einmal gezeigt, dass die Fähigkeit des kubanischen Volkes zum Widerstand stärker ist als jede Aggression des Imperialismus.

In dem Bericht, den Kuba jedes Jahr bei den Vereinten Nationen vorlegt, werden die Auswirkungen der Blockade klar und präzise beschrieben. Die Blockade ist real, sie existiert, sie ist niemandes Erfindung, sondern eine grausame und harte Realität, die sieben von zehn Kubanern bereits durchlebt und erlitten haben.

Ein weiterer permanenter Angriffspunkt, der sich in den letzten Monaten noch verstärkt hat, ist unsere medizinische Zusammenarbeit. In 56 Jahren haben mehr als 400.000 kubanische Spezialisten in 164 Ländern gearbeitet und ihre Solidarität und Fürsorge denjenigen gegeben, die sie am meisten brauchen. Sie tun dies absolut frei und freiwillig. Die Weltgesundheitsorganisation selbst hat diese Leistung anerkannt, insbesondere den Beitrag der Insel zum Kampf gegen die Ebola-Epidemie in Afrika.

Doch für die imperiale Macht und ihre Medien sind unsere Ärzte "Sklaven". Sie greifen sie voller Hass mit Hetzkampagnen an, die einige Lakaienregierungen wie die von Bolsonaro in Brasilien oder die De-facto-Regierung in Bolivien nachvollziehen.

In Lateinamerika und der Karibik dürfen wir nicht vergessen, dass die älteste Doktrin in der US-Außenpolitik die Monroe-Doktrin ist, die von den Repräsentanten des Imperiums wieder aufgegriffen wurde. "Amerika den Amerikanern", wiederholen sie unablässig, aber es bleibt nicht nur bei Worten. Jüngste Ereignisse belegen den Angriff der reaktionären Rechten auf die fortschrittlichen Prozesse in unserer Region. Mit Methoden nicht-konventioneller Kriegsführung schränken sie die Ausübung der freien Selbstbestimmung der Völker ein, setzen Medienkonsortien und soziale Netzwerke für ihre Interessen ein, weiten die Praxis des Einsatzes der Justiz für politische Zwecke aus oder fördern den Putsch. Die Fälle von Lula in Brasilien und Evo Morales in Bolivien sind dabei die paradigmatischsten.

Der Imperialismus und seine Verbündeten auf dem Kontinent stehen jedem Versuch einer umgestaltenden Emanzipation ablehnend gegenüber. Sie können die Existenz fortschrittlicher Regierungen in einer Region nicht tolerieren, die sie als ihren eigenen Hinterhof ansehen. Sie tun ihr Möglichstes, die Köpfe mittels der großen Medien zu zähmen. Sie versuchen, indigene Werte wegzufegen, unsere Nationen identitätslos zu machen und an ihre Stelle entfremdende kapitalistische Symbole zu setzen. Sie verkaufen das neoliberale Modell als Allheilmittel und verteufeln jeden, der sich ihrem Diktat entgegenstellt.

Im kapitalistischen Lexikon reservieren sie die Begriffe Diktator und Tyrann für diejenigen, die das Wort Sozialismus erwähnen oder einfach nur zugunsten der Unterdrückten regieren wollen. Die Kampagne gegen Venezuela ist Teil dieser von den USA entworfenen Strategie.

Von Kuba aus verteidigen wir die Proklamation Lateinamerikas und der Karibik als Zone des Friedens, wie sie auf dem Gipfeltreffen der Gemeinschaft der Staaten Lateinamerikas und der Karibik im Jahre 2014 in Havanna ratifiziert wurde.

Wir treten für das Recht jeder Nation ein, ihr eigenes politisches, wirtschaftliches, soziales und kulturelles System ohne Einmischung oder Druck von außen zu bestimmen. So weisen wir den Anspruch westlicher Mächte zurück, ein einheitliches Demokratiemodell durchzusetzen, denn dies ist nicht das Erbe irgendeines Landes oder einer Region.

Kuba exportiert sein demokratisches Modell nicht, noch will es jemandem Formeln vorgeben. Wir sind uns seiner Verbesserung, seiner Perfektionierbarkeit bewusst. Wir wissen, dass sich die eigenen Realitäten und die des globalen Zusammenlebens ändern können. Was wir niemals ändern werden sind die Prinzipien, für die wir, mehrere Generationen von Kubanern, gekämpft haben. Was wir nie ändern werden, ist der Wille, weiterhin den Sozialismus aufzubauen.

Ich bin in meiner Rede auf die jüngsten Ereignisse eingegangen, aber der Konflikt zwischen den USA und Kuba hat einen historischen Charakter. Er begann nicht mit dem Sieg der kubanischen Revolution 1959. Sein Ursprung liegt in der Politik der "Reifen Frucht" von 1823 1und in den Versuchen der verschiedenen US-Präsidenten im 19. Jahrhundert, die Insel zu kaufen oder zu annektieren. Das illegal durch den Marinestützpunktes Guantánamo besetzte Gebiet ist ebenfalls ein klarer Beleg dafür.

Angesichts jedes Manövers des Imperiums, unsere Heimat zu beherrschen, gab es immer eine energische und entschiedene Reaktion des kubanischen Volkes.

Im Jahr 2019 antwortete unser Volk auf die US-Aggression mit verstärktem Widerstand, Arbeit und Einheit. Das sind die Ergebnisse. Die kubanische Wirtschaft ging nicht zurück und lag über dem Durchschnitt in Lateinamerika und der Karibik. Wir entwickeln weiterhin freie und qualitativ hochwertige Bildung und Gesundheitsfürsorge. Diesen Bereichen weisen wir 52 Prozent des Staatshaushalts für 2020 zu. Die Säuglingssterblichkeitsrate betrug fünf pro Tausend Lebendgeburten. Die Zahl der Beschäftigten ist gestiegen und trotz des Boykotts des Tourismus haben mehr als 4,3 Millionen Menschen Kuba besucht. Es wurden mehr Wohnungen gebaut, Fortschritte beim Internetzugang und der Computerisierung gemacht und neue ausländische Investitionsprojekte realisiert.

Wir gehen in das Jahr 2020 mit der Herausforderung, trotz der imperialen Belagerung mit unseren eigenen Kräften weiter zu wachsen und uns zu entwickeln.

Heute vor 60 Jahren übergab der Comandante en Jefe Fidel Castro, historischer Führer der kubanischen Revolution, dem Bildungsministerium eines der Repressionszentren der Batista-Diktatur, die Polizeistation Nummer 5, um sie in eine Schule umzuwandeln. Ihm zu Ehren und mit der Gewissheit, dass die neuen Generationen das Werk, das er uns übergeben hat, fortsetzen werden, möchte ich meine Rede auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz mit den Worten Fidels an jenem 11. Januar 1960 abschließen:

"Wir sind ganz ruhig, denn wenn sie etwas niemals erreichen werden, dann ist es, das Volk zu verwirren, unserem Volk die Zuneigung zu nehmen, die es für die Revolution empfindet, dem Volk den Glauben an die Revolution zu nehmen, dem Volk die Hoffnung auf ein besseres Land zu nehmen; wenn sie nie etwas erreichen werden, dann: dem Volk die Erinnerung an die verhasste Vergangenheit zu nehmen, die nie wiederkehren wird."

Vielen Dank

Yoerky Sánchez Cuellar, Journalist und Dichter, ist Chefredakteur der Tageszeitung Juventud Rebelde, Abgeordneter der Nationalversammlung und Mitglied des Staatsrats

  • 1. Die besagt, dass Kuba den USA eines Tages wie eine reife Frucht in den Schoß fallen müsse