Frauen voller Zukunft

Zum 8. März dokumentieren wir einen Artikel von Rayen Kvyeh, international ausgezeichnete Mapuche-Schriftstellerin, Poetin und Dramaturgin. Mehrere ihrer Bücher liegen in deutscher Übersetzung vor.

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Die Autorin Rayen Kvyen schreibt aus Sicht der Mapuche in Chile
Die Autorin Rayen Kvyen schreibt aus Sicht der Mapuche in Chile

Der Winter hüllt sich in Nebel. Still bedecken sich die Berge mit weißem Schnee, und die Flüsse treten aus ihren Ufern. Der Wind "puelche"1 erhebt sich, um die Nachricht von Nicolasa Quintreman zu überbringen, und wie ein Gesang im Araukarienwald berührt seine Stimme die Flügel der Kondore, die in ihrem beflügelten Gang den Kampf für freie Wasser der Flüsse, Meere und Seen des Wallmapu2 ausdrücken. Nicolasa wurde ins Wasser des Stausees gestoßen. Der Stausee von Ralco in der Gemeinde Alto Bío Bío schaufelt ihr Grab.

In Neltume trifft sich der Gesang für freie Wasser von von Macarena Valdés Muñoz, ermordet und später erhängt am 22. August 2016, um den Vorfall als Suizid erscheinen zu lassen, mit den Stimmen von Nicolasa Quintreman, die ins Wasser des Stausees von Ralco gestoßen wurde.

Nicolasa und Macarena treffen sich im gefiederten Flug der ñankues3, die in den Araukarienwäldern des Wallmapu gleitend den Raum durchfurchen.

Der müde Gang der Großmütter, Mütter, Schwestern; Frauen, die Wege in Dörfer oder in die Stadt zurücklegen, um die Umarmung ihrer Enkel, Söhne und Töchter, Schwestern und Brüder zu suchen, die wenxru sind, gefangen in den Gefängnissen in der sogenannten Region Araukanien.

Die Mapuche Frauen hinterlassen ihre Spuren in der Geschichte des Widerstands während der Besetzung des Mapuche-Gebiets durch die großen transnationalen Forst- und Wasser-Unternehmen: Sie verteidigen die Mutter Erde.

Heute ist die mapuñuke, Mutter Erde, blind, ohne Wasser sehen die Wasseraugen4 der leeren Seebecken, wie das Leben entflieht. Die Tannen- und Eukalyptuswälder saugen und saugen Wasser auf.

Bernardita Chacano Calfunao und Angélica Ñancupil im Hungerstreik im Gefängnis von Temuko: Als Terroristinnen angeklagt, sehen sie sich mit der politischen Gefangenschaft konfrontiert…

“Ich will Mapuche sein und ich bin stolz und will als Mapuche leben. ICH WILL WIEDER SEHEN, DASS ES WASSER IN UNSERER MAPU ÑUKE-MUTTER ERDE GIBT.”

Die Großmütter erzählen, dass zu Zeiten des Kriegs gegen die Spanische Invasion die Reihen der Nachhut der Mapuche-Krieger von Frauen gebildet wurden. Waikolxa-Guacolda führte zusammen mit Lefxaru-Lautaro die Reihen gegen die spanische Invasion an. In Literatur und Geschichtsbüchern erscheint sie als Lefxarus Frau.

Machi Francisca Linconao5, als Terroristin angeklagt, in Temuko gefangen, kämpft für die Anerkennung ihrer Unschuld bezüglich der Teilnahme am Brandanschlag auf das Haus der Luchsingers. Nach fünf Jahren Haft, schafft sie es, frei zu kommen.6

Gemüsehandel als Terrorismus

Beschämt versteckt sich die Sonne hinter den Wolken.

Im Zentrum von Temuko verhaftet eine Gruppe Polizisten eine Mapuche Frauen, die Gemüse verkaufen und die seit Jahren Gemüse und Früchte aus ihren Gemeinschaften bringen.

Eine alte Frau steht aufrecht in der Straße, einen Salat in der Hand, schaut mir in die Augen und sagt: “Seit Jahren bringe ich mein Gemüse und meine Früchte, um sie zu verkaufen, die Leute kennen mich und warten auf mich... ICH BIN NACKT, DER POLIZIST HAT MIR MEIN IKIY-TUCH WEGGENOMMEN, MEINE XAPELAKUXA–BROSCHE AUS SILBER, Erbe meiner Großmutter.”

Der Silberschmuck der Mapuche spiegelt ihre Identität.

Die Staatsgewalt will keine Präsenz von Mapuche im Zentrum.

Die Staatsgewalt schläft seelenruhig, das Licht ausgelöscht, in ihrem Haus. Sie weiß nicht, dass im Zentrum der ruka7 das Feuer brennt und die Erinnerung der unterdrückten Großmutter bewahrt, während die Großtöchter, Großsöhne, Söhne und Töchter der Erzählung von der Repression horchen, die gegen die Großmutter ausgeübt wurde.

Der Mond tritt durch die offene Tür der ruka und beleuchtet die Geschichte der Erinnerung.

Im Jahr 2010 sind es Mapuche-Frauen, die während eines der längsten und massivsten Streiks von Mapuche in politischer Gefangenschaft  – zu Terroristen erklärt  in den Gefängnissen von Arauco Concepción, Angol, Temuko, Collipulli, Valdivia die Rolle von werkenes – Botinnen – Sprecherinnen für die Freiheit der Gefangenen übernehmen.

Die Mütter, Großmütter, Töchter, Schwestern, Ehefrauen der Mapuche-Gemeinschaften von Arauko bis Valdivia sind bis zum Regierungspalast La Moneda in Santiago gereist, um die Freiheit der Mapuche in politischer Gefangenschaft zu fordern.

Im Oktober 1992 fand das grosse XAWUN DOMO – Treffen von Frauen des Wallmapu statt. Die Hauptforderungen sind bis heute:

- Ein alternatives Bildungs- und Erziehungsprojekt aus der Perspektive der Mapuche-Kultur zu schaffen, welches die Weisheit, die Geschichte, die wissenschaftlichen Kenntnisse, die Sprache, die Kosmovision unseres Volkes und das Wissen anderer indigenen Völker stärkt.

- Wir klagen die Rolle der transnationalen Firmen an. Die unbotmäßige Ausbeutung der Seen, Flüsse, Meere und Wälder, ist ein Angriff auf die Kultur, die Ökologie und das nachhaltige Zusammenleben der Wesen der Mutter Erde.

- Die Wiedergewinnung des Territoriums ermöglichen und festigen.

- Mechanismen der Partizipation einführen, die uns erlauben, unsere eigenen Gesetze des sozialen Zusammenlebens wiederzuerlangen und zu schaffen.

- Eigene Politiken zur eigenständigen Finanzierung und technologischen Selbstversorgung zu schaffen, die eine ganzheitliche, autonome Entwicklung ermöglichen, um nicht mehr Opfer des monopolitischen Kapitals zu sein, und die Ernährungssouveränität zurückzugewinnen, damit das Volk überleben kann.

- Unsere aktive Teilnahme auf dem Land und in der Stadt ist notwendig.

- Aktive und bewusste Beteiligung bei die Wiedererlangung unserer Identität, kultureller Wurzeln, Geschichte: Schaffung einer Zukunft OHNE UNTERDRÜCKER.

Dieser Artikel erschien unter dem Titel “Mujeres preñadas de futuro” im Juli 2018 in der chilenischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique.

  • 1. Ein Ostwind, der von der Cordillera de los Andes talabwärts weht.
  • 2. Historisch von Mapuche bewohntes Gebiet.
  • 3. Wichtiger Vogel in der Mapuche-Poesie.
  • 4. Ein “ojo de augua”, “Wasserauge”, ist ein Ort, wo Wasser aus dem Boden quellt.
  • 5. Machis erfüllen eine wichtige spirituelle Funktion in der Mapuche-Kultur.
  • 6. Nach einem Brandanschlag auf das Ehepaar Luchsinger – McKay wurden mehrere Mapuche inhaftiert. Der Prozess gegen sie wurde bereits mehrere Male wiederaufgenommen, nachdem sie wegen mangelnder Beweislage freigesprochen worden waren.
  • 7. Traditionelles Mapuche-Haus.