Ecuador / Politik

Rücktrittsbrief des ecuadorianischen Botschafters Guillaume Long

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Ecuadors UN-Vertreter Guillaume Long
Ecuadors UN-Vertreter Guillaume Long

Genf, 04. Januar 2018

Betreff: Rücktritt als Ständiger Vertreter Ecuadors bei den Vereinten Nationen und anderen Internationalen Gremien in Genf

Herrn

Lenín Boltaire Moreno Garcés

Verfassungsmäßiger Präsident der Republik Ecuador

PRÄSIDIALAMT DER REPUBLIK

Sehr geehrter Herr Präsident,

ich habe zugestimmt, der Ständige Vertreter Ihrer Regierung bei den Vereinten Nationen zu sein, um von einem anderen Ort her zu den wertvollen Aktivitäten beizutragen, die Ecuador auf  multilateraler Ebene unternimmt. Ich bin davon überzeugt, dass einer der wichtigsten Fortschritte, die Ecuador in den letzten Jahren aufzuweisen hat, unser aktives Auftreten in den großen Prozessen der Entscheidungsfindung ist, die die Zukunft der Menschheit bei den sensiblen Themen betreffen. Ecuador ist zu einem Bollwerk bei der Verteidigung der fortschrittlichen Haltungen bezüglich der Menschenrechte und bei der Verteidigung unseres Planeten geworden. Mir schien es fundamental, zum Beispiel weiterhin für den Abschluss eines Vertrages über transnationale Konzerne und Menschenrechte zu kämpfen. Dieses universale, von einer bedeutenden Anzahl von Staaten und von vielen Guppen der organisierten Zivilgesellschaft unterstützte und innerhalb der Vereinten Nationen von Ecuador angeführte Unterfangen kommt gut voran, wobei zähe Opposition, Boykott und Erpressung seitens mächtiger Interessen beiseite geräumt werden. Für mich ist es eine Ehre und eine große Verantwortung gewesen, der Arbeitsgruppe vorzustehen, die beauftragt ist, dieses verbindliche Vertragswerk zu erarbeiten, das ein Ende der Straflosigkeit bei Verletzungen der Menschenrechte seitens großer transnationaler Konzerne anstrebt.

Bedauerlicherweise bin ich zur Schlussfolgerung gelangt, dass ich nicht weiterhin Vertreter einer Regierung sein kann, die solche Regelwidrigkeiten begeht, wie wir sie im Verlaufe der letzten Monate erleben haben. Ich weigere mich, Komplize eines gefährlichen Autoritarismus zu sein, der unter dem Deckmantel einer sinnwidrigen Ökumene und Dialogbereitschaft heutzutage unser Ecuador auf aggressive Weise kolonisiert. Sehr zu meinem Leidwesen und mit großer Sorge sehe ich mich in der Verpflichtung, meinen unwiderruflichen Rücktritt als Ständiger Vertreter der Republik Ecuador bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Gremien in Genf zu erklären.

Die von Ihnen per Dekret angesetzte Volksbefragung, für die der Wahlkampf jetzt beginnt, ist verfassungswidrig, eine flagrante Verletzung der Rolle der Institutionen, der Demokratie und des Rechtsstaats in Ecuador. Ich glaube zutiefst an das Instrument Volksbefragung, damit der Souverän in direkter Form über die grundlegenden Richtungen des Vaterlandes entscheiden kann. Und gerade aus der Bedeutung und Tragweite heraus, die diesem Instrument zukommt, ergibt sich, sein Ansehen nicht zu beflecken und nicht in demagogischer Absicht darauf zurückzugreifen. Gleichwohl stehen wir heute vor einer Volksbefragung und einer Volksabstimmung, mit der die Verfassung geändert werden soll und die allerdings nicht die elementaren Filter der Verfassungsmäßigkeit durchlaufen hat, wie sie von unserer Charta Magna vorgeschrieben sind. Die dieser Tage vom Verfassungsgerichtshof geäußerten Verlautbarungen zeigen, dass es ein richtiges Komplott gegeben hat, um zu verhindern, dass der Gerichtshof sich zur Verfassungswidrigkeit von zumindest zwei Fragen äußert. Die hinterhältige Interpretation der Gesetzeslage durch Ihre Regierung, um den Verfassungsgerichtshof zu übergehen und per Dekret Wahlen ausschreiben zu lassen, ist weder ein notwendiges Übel noch ein kleiner verfahrenstechnischer Ausrutscher, sondern ein schwerwiegender Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit. Das dreiste regierungstreue Herumbasteln des Verfassungsgerichtshofs und des Nationalen Wahlrats stellt in Wirklichkeit einen sehr schwerwiegenden institutionellen Selbst-Putsch für die Zukunft unseres Landes dar.

Die Frage bezüglich der Beseitigung des Rates für Bürgerbeteiligung und Gesellschaftliche Kontrolle (CPCCS) würde es gestatten, dass Sie die Mitglieder des Übergangsrates ernennen können, die ihrerseits dann die Amtsträger der Justiz und für die Kontrolle des Staates berufen. Geschieht das vielleicht in der Absicht, die Kontrolle über verschiedene Staatsgewalten auszuüben, um die Politik zu verrechtlichen und Ihre politischen Feinde verfolgen zu können? Über das hinaus, was Ihr Motiv sein mag, gibt es Momente, in denen wir die Weisheit besitzen sollten, politische Hassgefühle und Ressentiments zu überwinden und mit Blick auf die Zukunft der demokratischen Institutionen handeln zu können. Das ist jetzt einer dieser Momente, weshalb ich Sie, Herr Präsident, auffordere, gründlich nachzudenken und zu überlegen.

Wenn die Frage des CPCCS aus der Perspektive der "Freiheit" her besorgniserregend ist, so ist es die Frage nach dem Mehrwertsteuergesetz von der unaufschiebbaren Perspektive der "Gleichheit" her. Alle Leute, die sich als fortschrittlich betrachten, können nicht gut heißen, dass versucht wird, mit einem Federstrich eins der wichtigsten Gesetze der Bürgerrevolution zu streichen. Wenn das Gesetz reformiert werden soll, so gibt es dafür die Nationalversammlung. Dafür könnten Sie außerdem die Stimmen der jetzt Ihnen zu Diensten stehenden "Ex-Opposition" hinzuzählen. Aber es scheint so, dass der Pakt für Regierbarkeit, den Sie mit den Banken und den interessierten Oligarchenkreisen abgeschlossen haben, die Verbannung eines jeglichen Gedankens für eine Regulierung der Landfrage zum Inhalt hat. Zynischerweise wollen Sie außerdem, dass das Volk an den Urnen selber der Urheber seiner Unterwerfung unter die Missbräuche des Spekulationskapitals sein soll. Dieser manipulative und absolut reaktionäre Akt darf von der Linken in Ecuador nicht mit komplizenhaftem Stillschweigen hingenommen werden.

Mich besorgt auch, dass – angesichts der Führungsschwäche in diesen Monaten – Ihre Regierung sich fast ausschließlich der Verunglimpfung der Amtsausübung Ihres Vorgängers und der Herabwürdigung eines der interessantesten und hoffnungsträchtigsten politischen Prozesse in der Geschichte Lateinamerikas gewidmet hat. Nicht nur, dass man auf das vereinfachende Rezept zurückgriff, besonders die Fehler hervorzuheben, die im Verlaufe eines rastlosen Jahrzehnts intensiver Tätigkeit zur Rettung des Vaterlandes gemacht wurden, sondern dass erstaunlicherweise sogar die herausragenden Erfolge der Bürgerrevolution in den Schmutz gezogen werden sollen, wie zum Beispiel die Handhabung der Wirtschaft, wodurch es Ecuador möglich war, die großen auswärtigen Schwierigkeiten von 2015-2016 hinter sich zu lassen. Ihre Unredlichkeit besteht also nicht nur gegenüber einer Person, sondern grundsätzlich gegenüber einem politischen Projekt, das gezeigt hat, dass der Neoliberalismus weder der richtige noch der intelligente Weg ist, um sich zu entwickeln. Er ist nicht der Weg in den besten und auch nicht in den schwierigsten Momenten. Aber diese historische Beweisführung – Sie haben das sehr wohl begriffen – , muss beseitigt werden, soll ausgelöscht werden im Gedächtnis der Völker. Die Bürgerrevolution soll zertrümmert werden, damit jener ideologischer Fatalismus sich wieder durchsetzt, der so wunderbar durch den Thatcher-Ausspruch illustriert wird, dass "es keine Alternative gibt", weder zur Austeritätspolitik, noch zur Ungleichheit, noch zum Individualismus des verheerenden neoliberalen Dogmas. Übrigens, sei es bei der Befragung des Gewissens, beim Sich-betrachten im Spiegel und dem Abwägen, sich als Verräter(in) anzusehen oder nicht, es ist die Verantwortung jeder einzelnen der Personen, die genmeinsam mit Correa gingen und jetzt versuchen, ihn zugrunde zu richten.

Um zu beschönigen, was wirklich auf dem Spiel steht, wird versucht, den Gedanken zu verbreiten, dass wir, die wir wegen des von dieser Regierung eingeschlagenen Kurses besorgt sind, die Absicht hätten, diese nicht regieren zu lassen, dass wir nicht wüssten, uns mit Würde von der Macht zu verabschieden, dass wir uns weigerten, Selbstkritik zu üben, oder ganz einfach, dass wir dem Personenkult verfallen seien. Es wäre schön, wenn das, was wir erleben, eine gesunde Ausübung der Selbstkritik wäre, denn gewiss haben wir viele Fehler begangen. Zweifelsohne musste rigoros gegen die Korruption vorgegangen werden, unter der Ecuador strukturell leidet. Es musste eine stärkere, autonomere, mehr ideologische politische Bewegung geschaffen werden. Es war nötig, die Beziehungen mit bestimmten gesellschaftlichen Schichten wiederherzustellen, die allmählich von der Bürgerrevolution abrückten, mehr der Missverständnisse wegen als wegen großer politischer Gräben oder Differenzen. Das Eingreifen des Staates in unzähligen Gebieten musste verbessert werden, und das unter ständiger Neueinschätzung, Verbesserung und Neuausrichtung der öffentlichen Politik.

Mit Schmerzen sehen wir jetzt nach Ablauf einiger Monate, dass es sich nicht um einen Prozess des Nachdenkens handelt, wie die Irrtümer der Bürgerrevolution ausgemerzt oder korrigiert werden könnten. Ihr Ziel ist es, sie zu begraben. Jeder Schlag ist genau berechnet, mit minuziös kalkulierten wöchentlichen Skandalen, mit der Beratung durch die finstersten Marketingexperten und Fachleute für politische Operationen, um mit gespielter Offenherzigkeit und vermeintlichem Versöhnungsgeist nach und nach zu versuchen, die vorhandene Verbundenheit der Ecuadorianer mit der Bürgerrevolution zu beseitigen.

Herr Präsident, Ihre kleinen Siege in den letzten Monaten sind natürlich Pyrrhussiege. Wenn die Volksbefragung einmal vorbei ist, wenn Sie für die herrschende politische Klasse bei dieser Aufgabe, die sie Ihnen übertragen hat, nicht mehr zweckdienlich sind, wird man sich wegen der jeweiligen Machtgelüste gegenseitig an die Gurgel gehen. Schon jetzt ist außerdem klar absehbar, dass die Geschichte Sie nicht freisprechen wird und dass die Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer bald aus der momentanen Lethargie erwachen, um sich darüber klar zu werden, dass sie auf niederträchtige Weise betrogen wurden.

Am 23. Mai dieses Jahres habe ich es gesagt: Die Ehre meines Lebens ist es gewesen, Ecuador zu dienen, mit Eifer und Hingabe für ein fortschrittliches politisches Projekt zu arbeiten, ohne je aus den Augen zu verlieren, dass unser Prozess verbesserungsfähig war und einem historischen Kontext mit seinen spezifischen Bedingungen und Bedürfnissen entsprach. Wenn ich jetzt sehe, dass Ihre Regierung eine Rückkehr zu einem prämodernen Staat anstrebt, den alten Pakt der Eliten wiederherstellt, mit Ehrerbietung gegenüber plutokratischen Kreisen und ausländischen Mächten, und Erste Damen Puppen zu Weihnachten überreichen, so wird mir klar, dass ich meine Beteiligung als öffentlicher Bediensteter für beendet erklären muss.

Das Gewissen ist das höchstgeschätzte Gut, das wir Menschen haben. Das meinige diktiert mir diesen Rücktritt.

Hochachtungsvoll

elektronisch unterzeichnetes Dokument

Botschafter Guillaume Long

STÄNDIGER VERTRETER BEI DEN VEREINTEN NATIONEN - GENF

Kopie:

María Fernanda Espinosa Garcés

Ministerin für Auswärtige Beziehungen und Menschliche Mobilität

Herrn Doktor Andrés lván Mideros Mora, Generalsekretär des Präsidialamtes der Republik