Bundestagsreden zum EU-Lateinamerika-Gipfel

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: EU-Lateinamerika-Gipfel – Beziehungen auf gegenseitigem Respekt begründen am 7. Mai 2015

logo_eu_celac2015.png

Der EU-Celac-Gipfel findet am 10. und 11. Juni 2015 in Brüssel statt
Der EU-Celac-Gipfel findet am 10. und 11. Juni 2015 in Brüssel statt

Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Bei diesem Antrag der verehrten Kollegen der Linken drängt sich doch die Frage auf, ob man sich nicht einfach torschlusspanikartig genötigt sah, auf eine Entwicklung in Kuba zu reagieren, die man nicht vorhergesehen hat, und auch noch jetzt nicht dazu bereit ist, zu konzedieren, dass das sozialistische System vor den Realitäten kapituliert hat.

Ich kann ja durchaus nachvollziehen, dass es schon sehr schmerzlich sein muss, mit anzusehen, dass 50 Jahre ideologische Diskussion einfach nicht in der Lage waren, die realen Lebensverhältnisse der Menschen in Kuba und auch in den sozialistisch regierten Staaten Lateinamerikas in funktionierende Gemeinwohlsysteme umzuformen.

Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit hatte offenbar in einer weisen Voraussicht oder Eingebung schon vor über einem Jahr eine Reise nach Kuba in den Reiseplan aufgenommen, die nun im April 2015 durchgeführt wurde – wenige Monate, nachdem es zu denkwürdigen Öffnungen und Begegnungen gekommen war bzw. kommen sollte. Eigentlich gehört es zur politischen Ehrlichkeit, bei diesem Ablauf nicht ernsthaft dem BMZ und Minister Müller den Vorhalt zu machen, dass dieser Prozess noch nicht im neuen Lateinamerika-Programm verarbeitet worden ist. Es gehört schon viel Fantasie dazu, diese Entwicklung als Akt der Befreiung von hegemonialer Beherrschung durch die USA zu bezeichnen.

Wie sehen denn die Realitäten in Kuba aus?

70 Prozent der Ackerflächen sind nicht bearbeitet. 80 Prozent der benötigten Nahrungsmittel werden importiert und werden mit zwei Milliarden Dollar aus Erlösen venezuelanischer Öllieferungen refinanziert. Die Misere der Nahrungsmittelversorgung kann nun aber keineswegs der Blockadepolitik der USA angelastet werden. Vielmehr sieht man die Perspektive in einer akademischen Ausbildung, die durchaus auch beachtliche Leistungen in der medizinischen Ausstattung hervorbringt. Doch diese Errungenschaft wird in Exporte medizinischer Leistung gegen Devisen umgesetzt.

Die von Ihnen verurteilte Privatwirtschaft bahnt sich demgegenüber selbst ihre Bahn und mündet nun in zaghaften Entwicklungen von Handel, Tourismus und Gastronomie.

Privatwirtschaft war nicht die Knute, sondern ist nun die Basis für eine wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft und die Bildung selbstständiger Strukturen.

Das sozialistische System der Geschlossenheit und der staatlichen Daseinsvorsorge ohne Refinanzierung hat den Niedergang des Systems vorprogrammiert. Kuba braucht nun Hilfe zur Strukturbildung und zur Nutzung der unzweifelhaft vorhandenen Ressourcen und Rahmenbedingungen für Landwirtschaft und Handwerk. Ein Wirtschaftssystem kann nicht direkt in reine dienstleistungsorientierte Strukturen überführt werden.

Wenn sie im Antrag von Verdrängungswettbewerb bzw. Privatisierungs- und Liberalisierungsforderungen sprechen und diese verurteilen, wird dies durch die jetzige Entwicklung exakt widerlegt. Privatisierung hat mit Sicherheit keinen Schaden angerichtet, wie Sie im Antrag vorwerfen, sondern ist der notwendige Weg in die Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger und damit in eine wirtschaftliche Belebung. Dies ist bereits jetzt im Tagesgeschehen auf den Straßen Kubas zu sehen, und es ist schon bedauerlich, liebe Frau Kollegin Hänsel, als Mitreisende der Delegation, dass Sie vor einem solchen Aufbruch wider besseres Wissen die Augen verschließen und uneinsichtig der Ideologie das Wort reden wollen. Das kubanische Volk hat lange genug darunter gelitten. Es hat nun verdient, dass seine Bemühungen auch in persönliches Wohlergehen münden.

Natürlich weist Lateinamerika durch die besondere Bevölkerungsstruktur, durch die indigenen Bevölkerungsanteile und den historisch dramatischen Anteil an Gewalt und Rechtlosigkeit eine schwierige Ausgangslage auf, die auch eine besondere Vorgehensweise erfordert. Gerade deshalb weist das Lateinamerika-Programm des BMZ den richtigen Ansatz auf, die Gesellschaft durch Bildung zu stabilisieren und vor allem bei der wirtschaftlichen Entwicklung die Verpflichtung zur Nachhaltigkeit zu beachten. Dabei geht aber keineswegs die Augenhöhe mit den Staaten verloren.

Lateinamerika sieht sich kulturell sehr mit Europa verbunden, und wir wissen seine besonderen Naturschätze zu würdigen und arbeiten an deren Erhalt mit. Dies bedeutet Unterstützung zum Schutz gegen den Klimawandel und dies bedeutet auch die zur Verfügungstellung von modernem Know-how. Dies bedeutet aber auch die Einbindung der Wirtschaft. Subsistenzwirtschaft ist keine Entwicklungspolitik, sondern Stillstand und Resignation. Die Bildung von Sozialsystemen funktioniert nur bei wirtschaftlichem Aufschwung. Dies haben die Erfolge der Schwellenländer Mexiko und Brasilien vorgeführt, auch wenn dort sicher noch viel Arbeit vor uns liegt.

Die wirtschaftlichen Ansätze sind in der Region mit Mexiko und Brasilien durchaus erkennbar. Auch dort bestehen aber in eklatantem Maße Rechtsstaatsdefizite, die nur durch Stärkung der staatlichen Rechtssysteme beseitigt werden können. Ausbildung von Justizsystemen, Beseitigung der Straflosigkeit und vor allem Bekämpfung der Korruption sowie des organisierten Verbrechens sind vorrangige Ziele, die der Bevölkerung die Möglichkeit eröffnen, sich in wirtschaftlichen Betätigungen eine Lebensgrundlage zu verschaffen.

Hier zeigt das Konzept des BMZ ebenfalls wertvolle Ansätze und Kooperationen. Gerade die Thematik Bildung – vor allem für Mädchen und junge Frauen – führt zu einer massiven Zurückdrängung der Gewaltexzesse und zur Stabilisierung des Gesellschaftssystems. Die sehr geschätzte und nachgefragte Duale Ausbildung setzt aber zwingend die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft voraus. Dieses Konzept muss auf die besonderen Lebens- und Produktionsverhältnisse zugeschnitten werden. Genau dies leistet ebenfalls unsere Wirtschaft, weil sie weiß, wie Produktivität zu optimieren ist. Dies ist entgegen Ihrer Meinung kein Fluch und auch keine Ausbeutung, sondern geboten. Der Aufruf zur Bildung von Wirtschaftspartnerschaften ist das effektivste und sogar kostengünstigste Entwicklungsmittel, mit dem gerade auch der Gefahr der Korruption entgegengewirkt werden kann.

Dabei ist dann aber auch die Wahrung von wirtschaftlichen Interessen unserer Unternehmen nicht schädlich, sondern konsequent und legitim. Wirtschaftliche Zusammenarbeit bedeutet den angemessenen Austausch von Leistung und Gegenleistung – auch in der Form von Handelsabkommen.

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, die Entwicklung in Kuba als exemplarischer Aufbruch aus dem Sozialismus als Auslaufmodell heraus ist die konsequente Antwort der Menschen auf natürliche Bedürfnisse nach Versorgung und Lebensqualität, nach Gesundheit und gesunder und ausreichender Ernährung, nach Bildung und Gleichberechtigung.

Die ideologische Predigt Ihres Antrags wird der Würde dieser Menschen nicht gerecht.

Waldemar Westermayer (CDU/CSU): Der Botschafter von Honduras hat es erst kürzlich gut auf den Punkt gebracht. Er sagte in einem Interview: Celac ist ein Forum des politischen Dialogs – wir tauschen uns über bewährte Kooperations- und Handelsverfahren aus. ... Wenn wir mit Einzelstaaten, oder auch der EU, an den Verhandlungstisch treten, wird Honduras nicht mehr als ein einzelnes Land wahrgenommen, sondern eher als Teil einer aufstrebenden Wirtschaftsregion, deren dynamisches Wirtschaftswachstum ein ungeheures Potenzial birgt.

Die Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten, Celac, und die Europäische Union werden sich in diesem Sinn dieses Jahr in Brüssel am 10. und 11. Juni zum achten EU-LAK-Gipfel versammeln. Die Regierungen werden genau diesen Dialog weiter pflegen und das angesprochene Potenzial in ihren Regionen gegenseitig weiter fördern.

Das Format des internationalen Austauschs zwischen 61 teilnehmenden Staaten hat sich bewährt. Der Gipfel bietet ein Forum, um die strategische Partnerschaft beider Regionen fortzusetzen. Er bietet Raum für kontroverse Diskussionen, politische Erklärungen und Abkommen. Dieser Dialog ist nicht zu unterschätzen.

Die EU ist in der Celac-Region der größte ausländische Investor. Und sie ist zweitgrößter Handelspartner der Celac.

Zwischenstaatliche Bündnisstrukturen in Lateinamerika, wie die Pazifik-Allianz, können durch solche internationalen Formate gestärkt werden. Wie Sie wissen, ist die Pazifik-Allianz eine Initiative der Staaten Peru, Mexiko, Chile und Kolumbien, welche sich im Bereich Handel und Integration und bei der Entwicklung stabiler demokratischer Strukturen unterstützen.

Besonders in Zeiten vielfältiger Krisen und teilweise bedrohlicher Entwicklungen von fragilen und sich im Zerfall befindlichen Staaten ist so ein friedlicher und regelmäßiger menschenrechtsbasierter Dialog auf internationaler Ebene zentral. Die Folgen von fehlender Rechtsstaatsförderung, von fehlenden strukturellen Reformen und fehlender sozialer Wirtschaftsförderung müssen wir aktuell in Venezuela beobachten.

Ein Mittel der Gewaltprävention sind stabile Bündnisstrukturen. Sie schaffen Transparenz und Sicherheit. Sie sind die Grundlage für eine friedliche und nachhaltige Entwicklung von Gesellschaften auf der sozialen, ökologischen und ökonomischen Ebene.

Die EU und Celac sind gleichberechtigte Partner, die sich zum großen Teil auf dem gleichen Werteparkett bewegen. Sie begegnen sich trotz vorhandener Kontroversen in ihren Verhandlungen respektvoll und handeln und lernen im gegenseitigen Interesse.

Der Gipfel trägt den Titel: "Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft: Für eine prosperierende, durch Zusammenhalt geprägte und nachhaltige Gesellschaft für unsere Bürger". Gefördert werden soll eine gemeinsame Identität, die auf gemeinsamen Werten basiert. Teil des Gipfels ist der Dialog über "bürgerorientierte Initiativen" und Innovationen im Bereich "nachhaltiges Wachstum, Bildung, Sicherheit und Klimaschutz".

Identität geschieht durch Dialog und Förderung von Entwicklung. Die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes berührt auch alle anderen Entwicklungsbereiche einer Gesellschaft.

Wenn wirtschaftliche Entwicklung ganzheitlich gefördert wird, berücksichtigt sie die sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Dimensionen. So sind soziale marktwirtschaftliche Strukturen ein wesentlicher Motor für Stabilität und Frieden. Das ist es, was wir wollen und begleiten.

Staatliche Überregulierung und das Abbrechen von internationalen Verhandlungen tragen nicht zu einer freien, ganzheitlichen und nachhaltigen Entwicklung von Gesellschaften bei.

Ganzheitliche Förderung von wirtschaftlicher Entwicklung bedeutet im konkreten Fall auch, dass die Bereiche Bildung, Demokratieförderung, Förderung von sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Standards Teil des politischen Dialogs mit nationalen, europäischen und internationalen Akteuren sein müssen.

Genau das geschieht im Bereich der nachhaltigen Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika immer mehr. Natürlich sind die Themen der Armutsbekämpfung und Reduzierung von sozialer Ungleichheit in diesem Kontext zentral. Sie sind Teil eines beschwerlichen Entwicklungswegs.

Das Bewusstsein für die Einhaltung der sozialen und menschenrechtlichen Standards wächst mit dem Bewusstsein des betroffenen Staats und seiner von Unrecht betroffenen Gemeinschaften. Das Thema der Landvertreibungen im Zusammenhang mit der Rohstoffförderung ist uns aus vielen lateinamerikanischen Staaten bekannt.

Sichtbarer werden auch die erhöhten Anstrengungen deutscher Unternehmen, um für Transparenz in ihren Lieferketten und im Umgang mit ihren internationalen Zuliefererfirmen zu sorgen.

Vor wenigen Wochen sind die neuen Leitlinien für Lateinamerika vom BMZ veröffentlicht worden. Auch dort liegt der Fokus auf der Förderung der gemeinsamen Werte und Interessen der Regionen diesseits und jenseits des Atlantiks. Lateinamerikanische Staaten wollen, dass europäische Unternehmen in ihren Ländern nachhaltig investieren, und sie wollen im Bereich Klimaschutz und Umweltschutz zusammenarbeiten. Damit verbunden ist der Bedarf an stärkerem Know-how-Transfer. Denn es ist bekannt, dass das Duale System in Deutschland eine entscheidende Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg war und ist. Daher sollten die Anfragen aus mehreren lateinamerikanischen Ländern im Bereich des Exports von dualen Ausbildungsstrukturen noch stärker berücksichtigt werden.

Deutschlands Entwicklungszusammenarbeit legt in Abstimmung mit der EU ihren Fokus auf die Bereiche Umweltschutz, Klimaschutz, Schutz von Regenwald und Meeren sowie auf die nachhaltige Bekämpfung des Klimawandels. Exzellenzzentren für erneuerbare Energien und Geothermie-Entwicklungsfazilität sollen geschaffen werden. Außerdem sind die Themen Dezentralisierung, Strukturpolitik, Ordnungspolitik und Rechtsstaatsförderung besonders in den Andenländern, aber auch in Zentralamerika weiterhin ein Schwerpunkt. Auch die Gewaltprävention, die Stärkung von Menschenrechtsinstitutionen und besonders die Unterstützung beim Friedensprozess in Kolumbien sind wichtige Anliegen deutscher EZ. Die gemeinsame Bearbeitung dieser Themen und die Begleitung durch uns Parlamentarier tragen zur friedlichen Entwicklung der Regionen bei.

Mit einer Milliarde Euro jährlich fördert Deutschland seine EZ in Lateinamerika und fördert dabei auch immer mehr das Modell der Dreieckskooperationen, um den Einsatz von Eigenmitteln aus den Partnerländern zu verstärken. Das unterstreicht das Prinzip der Hilfe zu Selbsthilfe und die Stärkung der Zusammenarbeit der Akteure vor Ort. Denn Staaten wie Mexiko und Brasilien sind als Schwellenländer bereits selbst in der Lage, andere lateinamerikanische Staaten zu unterstützen, und tun es auch.

Natürlich ist es entscheidend, dass auch bekannte und aktuelle Probleme auf dem Gipfel angegangen werden. Lateinamerika ist immer noch eine Region, in der extreme Unterschiede in der Einkommensverteilung innerhalb der Gesellschaften existieren. Auch der Zugang zu Bildung, zu Gesundheitssystemen und zum Arbeitsmarkt ist nicht für jeden Bürger gleich garantiert. Starke Defizite in der Armutsbekämpfung und damit auch im Bereich Kriminalitätsbekämpfung und Korruptionsbekämpfung müssen noch mehr thematisiert und bearbeitet werden.

Auch soziale Teilhabe und das Einfordern von sozialen und ökologischen Rechten ist in einigen Ländern Lateinamerikas noch immer sehr gefährlich. Regierungen in Guatemala, Mexiko, Kolumbien und Honduras müssen hier noch viel mehr tun und unterstützt werden. Vor allem die Regierungen selbst müssen die Rechte ihrer Bürger schützen – und das heißt konkret, die Menschen vor dem gewaltsamen Tod, der sozialen Diskriminierung, der Folter, Erpressung und dem systematischen Verschwinden schützen. Die strukturelle Korruptionsbekämpfung stellt hier sicherlich ein Schlüsselthema dar.

Darauf gehen Sie in Ihrem Antrag nicht ein, sondern konzentrieren sich – das war ja nicht anders zu erwarten – auf die Aufhebung der TTIP-Verhandlungen und die angebliche positive Wirkung der staatlichen Regulierung.

Wichtiger als die Verdammung der aktuellen Handelspolitik ist im Rahmen der aktuellen Dialoge und Verhandlungen eine Sensibilisierung für die vielfältigen Bedürfnisse und Rechte der einzelnen Gesellschaften und Gesellschaftsschichten in den einzelnen Ländern Lateinamerikas. Eliten können sich effizient für benachteiligte Akteure und Gruppen wie Indigene und die Landbevölkerung einsetzen, wenn das entsprechende Bewusstsein gefördert wird.

Hier geht es besonders um das Thema Rechtsschutz von Menschenrechtsaktivisten, aber auch um flächendeckende und nachhaltige Bildungsprogramme. Die Menschenrechte und der Schutz von Menschenrechtsverteidigern sind integraler Bestandteil der auswärtigen Politik der EU. Eine entsprechende Resolution des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2010 ist zwar wie die Richtlinien nicht unmittelbar rechtlich verpflichtend, hat aber dennoch eine starke politische Wirkung. Sichtbar wird dies immer wieder beim nationalen und europäischen Dialog zu anstehenden Verhandlungen mit Kuba. Europäische und nationale Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba kann jedoch erst dann verwirklicht werden, wenn eine allgemeine Verhandlungsbasis geschaffen worden ist. Dazu zählt auch die Einhaltung der Menschenrechte in Kuba.

Die staatliche und die nichtstaatliche EZ leisten in vielen Staaten Lateinamerikas seit Jahren kontinuierliche Arbeit. Die EZ unterstützt einerseits strukturell in den genannten Themenbereichen. Andererseits engagieren sich die politischen Stiftungen sowie auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen und vor allem die Kirchen durch jahrzehntelange Präsenz. Sie arbeiten auf mehreren Ebenen mit parlamentarischen Akteuren, Verbänden, kommunalen Verantwortungsträgern und ländlichen Gemeinschaften und stärken Rechte und Rechtsbewusstsein von Kindern, Frauen, Männern, Familien und Gemeinschaften. Der Dialog zwischen Regierungen, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Volksvertretern ist hier ein zentrales Element.

Da Sie den Dialog auf verschiedenen Ebenen abbrechen wollen und bestehende und tragfähige europäische Handelsabkommen nicht mittragen, wollen wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.

Als Parlamentarier müssen wir im Gespräch mit den Unternehmen stehen, die beispielsweise ihre Kohle von internationalen Unternehmen in Kolumbien importieren. Wir müssen an ihre Moral appellieren, aber auch an die Regierungen in den jeweiligen Rohstoffländern, damit sie ihr Volk und besonders die indigenen Völker schützen. Genauso müssen wir auch zukünftige internationale Handelsabkommen mit unseren Standards füllen und uns an den weltwirtschaftlichen Handelsbewegungen beteiligen, anstatt sie abzulehnen.

Das ist ein langer Weg des Dialogs, aber einer, bei dem es sich auch in unserem eigenen Interesse der Glaubwürdigkeit Europas lohnt, ihn weiterzugehen.

Dr. Sascha Raabe (SPD): Wir debattieren heute Abend den Antrag der Fraktion Die Linke zum EU-Lateinamerika-Gipfel, der in diesem Jahr im Juni in Brüssel stattfinden wird. Auf den Gipfel mit dem diesjährigen Titel "Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft: Für eine prosperierende, durch Zusammenhalt geprägte und nachhaltige Gesellschaft für unsere Bürger" werde ich in meiner Rede nicht näher eingehen. Vielmehr möchte ich mich in meinem Beitrag auf die Kernbotschaft des hier zur Debatte stehenden Antrages konzentrieren.

Der Antrag liest sich teilweise leider wie eine unkritische Lobeshymne auf alle linksgerichteten Regierungen Lateinamerikas und trägt meiner Meinung nach mehr zur Polarisierung der bereits gespaltenen Gesellschaften in Lateinamerika bei. Um nicht missverstanden zu werden: Als Entwicklungspolitiker bin ich sehr erfreut darüber, dass insbesondere in Ländern mit linken Regierungen die Armutsbekämpfung große Fortschritte gemacht hat. Es ist schön, dass mehrere Millenniumsentwicklungziele in vielen Teilen Lateinamerikas in diesem Jahr fristgerecht erreicht werden. Allerdings interessiere ich mich nicht nur für die sozialen, sondern auch für die politischen Menschenrechte. Und da sieht es in einigen von der Linkspartei überschwänglich gelobten Ländern keineswegs nur gut aus.

Was Kuba betrifft, begrüßen wir als SPD-Fraktion die Annäherungsbestrebungen zwischen den USA und Kuba. Präsident Obama hat einen mutigen und lange überfälligen Schritt getan. Wir sehen dies als eine große Chance für Europa, die bisherige Kuba-Politik zu überdenken. Daher begrüßen wir auch die aktuellen diplomatischen Bemühungen der EU-Außenbeauftragten Mogherini und ihr Vorhaben, bis zum EU-Lateinamerika-Gipfel im Juni ein neues, auf Dialog basierendes Abkommen mit Kuba beschließen zu wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, Sie werden sich sicherlich noch daran erinnern, dass wir uns als SPD bereits Anfang 2000 mit der damaligen Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul stets um einen konstruktiven entwicklungspolitischen Ansatz mit Kuba bemüht haben. Auch in den darauffolgenden Jahren haben wir uns für eine Neuausrichtung der Kuba-Politik in der EU regelmäßig eingesetzt. So sehr ich die neuen Entwicklungen begrüße, wird aber Kuba nicht darum herumkommen, den Menschen endlich volle politische Meinungsfreiheit zu garantieren. Nach wie vor ist freie, regierungskritische Meinungsäußerung gefährlich und kann im Gefängnis enden. Auch der Zugang zum Internet ist verboten bzw. wird staatlich erschwert, und die Reisefreiheit ist immer noch äußerst restriktiv. Warum werden diese Missstände von meinen Kollegen der Linken immer ignoriert? Warum fordern sie nicht an dieser Stelle die Einhaltung der Menschenrechte, so wie sie es sonst immer so vehement tun?

In diesem Zusammenhang ist für mich die unkritische Haltung der Linksfraktion in Bezug auf Venezuela genauso inakzeptabel. Seit nun fast 20 Jahren stellt die sozialistische Partei von Hugo Chvez die Regierung, und die Lebenssituation der Venezolaner – trotz einiger Erfolge in der Armuatsbekämpfung und Basisversorgung – war noch nie so desolat. Es herrscht Lebensmittelknappheit in einem fruchtbaren Land, sodass fast bis zu 80 Prozent der Nahrungsmittel importiert werden müssen. Die Industrie und die Wirtschaft liegen brach am Boden, nachdem die meisten Betriebe teilweise zwangsweise verstaatlicht wurden. Und obwohl Venezuela eines der erdölreichsten Länder ist, muss es regelmäßig Neukredite in Milliardenhöhe von China aufnehmen.

Der jetzige Präsident Maduro setzt den autoritären Regierungsstil seines Vorgängers und Ziehvaters Chavez ungehindert fort. Er duldet keine politische Opposition und macht sie entweder mundtot oder steckt sie gleich ins Gefängnis, so wie es mit den zwei Oppositionspolitikern Leopoldo Lopez und dem Bürgermeister der Stadt Caracas, Antonio Ledezma, derzeit der Fall ist. Beiden Politikern wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, einen Staatsstreich geplant zu haben. Darüber zu berichten, ist nicht einfach, denn in Venezuela ist derzeit so gut wie keine freie oder unzensierte Berichterstattung möglich.

Und genau vor diesem Hintergrund fordern die Linken in ihrem Antrag die Bundesregierung auf, die "sozialen und demokratischen Errungenschaften" Venezuelas auf dem Gipfel in Brüssel zu loben. Das wird bei den europäischen Kollegen mit Sicherheit nicht auf viel Zustimmung stoßen, nachdem das EU-Parlament bereits im vergangenen Jahr mit großer Mehrheit eine Resolution verabschiedet hat, die die unverzügliche Freilassung aller willkürlich verhafteten Demonstranten, Studenten und Oppositionsführer forderte.

Der Antrag enthält durchaus auch einige Forderungen, die ich mittragen könnte. So bin auch ich für eine "Neuausrichtung" der europäischen Handelspolitik. Denn trotz Formulierungen in den bereits bestehenden Freihandelsabkommen der EU mit Kolumbien und Peru, in dem sich die Vertragspartner dafür ausgesprochen haben, arbeits- und umweltrechtlich Mindestnormen einzuhalten, sind beide lateinamerikanische Staaten in Wirklichkeit noch sehr weit davon entfernt, diesen Verpflichtungen nachzukommen. Und obwohl es auch in beiden Ländern zu einem Rückgang der Gewalt gegen Gewerkschafter insgesamt gekommen ist, finden weiterhin brutale und tödliche Übergriffe auf Gewerkschafter statt. An dieser Stelle wäre in dem Abkommen eine verpflichtende und sanktionsbehaftete Regelung unbedingt notwendig gewesen.

Der kommende Gipfel in Brüssel sollte dazu genutzt werden, um genau auf diese Missstände hinzuweisen. Es sollten klare Botschaften formuliert werden, die im Sinne der Kohärenz in anderen Politikbereichen – wie beispielsweise in der Außenhandelspolitik – ihre Anwendung finden. Es sollte in Brüssel nicht darum gehen, Regierungen je nach politischer Couleur zu loben. Menschenrechte kennen kein Parteibuch.

Heike Hänsel (DIE LINKE): Der 7. Gipfel der Organisation der Amerikanischen Staaten, OAS, im April 2015 stellte eine historische Zäsur dar. Erstmals reichten sich die Präsidenten der USA und Kubas während eines offiziellen, geplanten Gesprächs die Hände. Mit dieser Begegnung zwischen Barack Obama und Raúl Castro verbindet sich die Hoffnung auf neue, auf gegenseitigem Respekt basierende Beziehungen zwischen den USA sowie den Staaten Lateinamerikas. Diese Entwicklung ist das Ergebnis des erfolgreichen Integrationsprozesses in Lateinamerika, der in den vergangenen zehn Jahren von linken Regierungen vorangetrieben worden ist. Er hat die hegemoniale Rolle der USA auf dem Kontinent erheblich geschwächt und damit den Staaten Lateinamerikas eine gleichberechtigtere Position gegenüber den USA verschafft.

Es freut mich besonders, dass Fidel Castro diesen historischen Moment erleben kann. Das sozialistische Kuba hat der aggressiven Politik der USA widerstanden. Fidel Castro selbst hat elf US-Präsidenten und zahllose Attentatsversuche der CIA überlebt. Aber Kuba konnte auch durch eine völkerrechtswidrige Handelsblockade und Terrorakte nicht in die Knie gezwungen werden. Weil in ganz Lateinamerika die Solidarität mit Kuba in dem Maße gewachsen ist, wie die Anfeindungen aggressiver wurden.

Und das nicht ohne Grund. Wir wissen, dass Kuba einen großen Anteil an der Armutsbekämpfung in Lateinamerika hat. Zehntausende von kubanischen Ärzten arbeiten weltweit, auch in vielen lateinamerikanischen Ländern, und versorgen dort die Menschen, die bis dahin keinen Zugang zu medizinischer Betreuung hatten. Auch in den von Ebola betroffenen Regionen Westafrikas. Medizinstudentinnen und -studenten aus vielen Ländern des Südens werden in Kuba für den Dienst in ihren Heimatländern ausgebildet. Kubanische Pädagoginnen und Pädagogen haben ein Alphabetisierungsprogramm entwickelt, das auf dem gesamten Kontinent zum Einsatz kommt und durch das Millionen Menschen lesen und schreiben gelernt haben.

Kuba spielt eine Schlüsselrolle im Prozess der politischen Einigung des Kontinents. Die Integrationsprojekte Alba und Celac gehen maßgeblich auf das kubanische und venezolanische Engagement zurück. Und nicht zufällig finden in Havanna die Friedensverhandlungen statt, die den ältesten bewaffneten internen Konflikt der Region, den Krieg in Kolumbien, der Zehntausende von Toten gefordert hat, beenden sollen.

Der Weg nach Lateinamerika führt deshalb über Kuba. Doch die Bundesregierung bringt es fertig, in diesen bewegten Zeiten – in Zeiten einer epochalen Veränderung, die sich in Lateinamerika vollzieht – ein Lateinamerika-Konzept zu formulieren, das diese Entwicklungen in keinem Wort erwähnt. Dabei liegen hier große entwicklungspolitische Potenziale.

Kuba verfolgt seit 1959 eine vielfach von internationalen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation und sogar der Weltbank belobigte erfolgreiche Orientierung auf freien Zugang zu Bildung und Gesundheit. Kuba gehört zu den wenigen Ländern des Südens, in denen niemand Hunger leiden muss. Andere links regierte Länder wie Venezuela, Ecuador, Bolivien, Brasilien und Nicaragua gehören zu den Ländern, die in der Bekämpfung von Hunger und Armut in den letzten Jahren die größten Erfolge erzielt haben. Sie haben die Armutsraten erheblich gesenkt und es zugleich geschafft, die soziale Ungleichheit, die in ihren Ländern traditionell sehr stark ausgeprägt war, zu verringern. Das beweisen unter anderem die jährlichen Statistiken der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika, CEPAL.

Alle diese Prozesse sind auch widersprüchlich. Das sage ich ganz bewusst angesichts der derzeitigen schwierigen ökonomischen Lage in Venezuela. Die Prozesse weisen innere Widersprüche auf. Ihnen stehen mächtige, über Jahrzehnte gewachsene Macht- und Profitinteressen im Inneren der Gesellschaften entgegen – und geostrategische Interessen von außen. Es ist vielen lateinamerikanischen Ländern bisher auch nicht gelungen, sich aus einseitigen Handelsbeziehungen, Export von Rohstoffen, Import von Industriegütern, zu befreien. Auch die Abhängigkeit von der Förderung fossiler Rohstoffe wurde bisher nicht überwunden. All das sind gemeinsame Herausforderungen auf dem Weg zu einer internationalen Klimaschutzpolitik. Hier gäbe es viele Potenziale für eine Kooperation zwischen Europa und Lateinamerika. Zum Beispiel einen Transfer von Technologie und Ausbildung im Bereich der regenerativen Energien. Auch Kuba, das der Entwicklungsausschuss erst vor wenigen Wochen erstmalig besucht hat, hat daran ein großes Interesse.

Die Realität ist aber eine andere. Die US-Regierung unter Präsident Obama hat dem sozialistischen Venezuela offen den Kampf angesagt. Präsident Obama selbst hat vor einigen Wochen ein skandalöses Dekret erlassen, das Sanktionen gegen die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Nicolas Maduro Tür und Tor öffnet. Wie überzogen, wie realitätsfern diese Linie ist, zeigt sich in der Formulierung, Venezuela würde eine "Bedrohung für die nationale Sicherheit" der USA darstellen. In Lateinamerika hat das massive Empörung und heftige Gegenreaktionen provoziert. Die neue, aggressive Linie Washingtons führte auch dazu, dass auf dem Amerika-Gipfel in Panama wieder einmal keine gemeinsame Abschlusserklärung zustande kam. Aber hat die Bundesregierung die neuen Fehlentwicklungen in der US-Politik angesprochen, die quasi ein Spiegel der historisch verfehlten Kuba-Politik sind? Fehlanzeige. In Berlin herrschte und herrscht Schweigen. Wir lehnen jegliche Angriffe auf Venezuela ab. Das venezolanische Volk muss sein Schicksal selbst bestimmen können. Und wer ernsthaft abstreitet, dass dies bei Wahlen in dem südamerikanischen Land möglich ist, wie dies aus den Reihen der Union zu vernehmen ist, ist politisch einfach nicht ernst zu nehmen.

Auch der Friedensprozess in Kolumbien braucht internationale Unterstützung, nachdem sich bisher vor allem Kuba, Venezuela, Chile und Norwegen engagiert haben. Es bleibt zu hoffen, dass der Abschluss eines Friedensabkommens in Havanna den Anfang für eine demokratischere und sozialere Entwicklung bedeutet. Dafür wird es aber notwendig sein, dass die breite soziale Bewegung tatsächlich in den Prozess aktiv integriert und die Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger und Opferverbände nicht mehr verfolgt, sondern geschützt werden. Ich appelliere an die kolumbianische Regierung: Rufen Sie auch einen umfassenden Waffenstillstand aus! Dies wäre ein deutliches, glaubwürdiges Zeichen der Regierung und Armee für die Friedensverhandlungen.

Wir können viel aus der erfolgreichen Armutsbekämpfung in den progressiv regierten Ländern Lateinamerikas lernen – für unsere Entwicklungspolitik, aber auch für den Umgang mit der Krise im Euro-Raum. Im linken Lateinamerika sinkt die Armut, im neoliberalen Europa wächst sie. Wir haben also etwas von den Lateinamerikanerinnen zu lernen und ihnen keine Ratschläge zu erteilen. Dies wäre ein wichtiges Signal, das von dem kommenden EU-Celac-Gipfel im Juni in Brüssel ausgehen könnte.

Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das im Juni stattfindende Brüsseler Gipfeltreffen zwischen der EU und dem Staatenbündnis Celac eröffnet die Chance, sich für eine strategische Partnerschaft zwischen Europa und Lateinamerika stark zu machen.

Lateinamerika hat mit seinen rund 560 Millionen durchschnittlich sehr jungen Menschen, einer starken Zivilgesellschaft, positiven wirtschaftlichen Kennzahlen und einem enormen Reichtum an natürlichen Ressourcen großes Potenzial. Der Staatenverbund kann ein wichtiger Bündnispartner für Europa auf der Suche nach Lösungen für globale Herausforderungen wie die Finanz-, Wirtschafts-, Klima- und Ernährungskrisen sein.

Die Bundesregierung muss den anstehenden Gipfel zum Anlass nehmen, sich auf EU-Ebene für eine grundsätzliche Veränderung der derzeit durch wirtschaftliche Interessen dominierten Beziehung mit Lateinamerika und der Karibik stark zu machen, und Impulse für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung auf beiden Kontinenten setzen.

Derzeit werden die globalen Krisen durch die Handelsstrategie der EU und der Celac-Staaten noch verschärft. Intransparenz und geringe politische Partizipation führen dazu, dass unter Umgehung von Parlamenten und Ausschluss der Zivilgesellschaft Abkommen und Verträge abgeschlossen werden, die zu ökologischen und sozialen Verwerfungen führen und Partikularinteressen den Vorrang vor dem Gemeinwohl geben. Dabei finden die Menschenrechte nicht genug Beachtung.

Hoher Fleischkonsum und Massentierhaltung in Europa sind mitverantwortlich für den ressourcenintensiven Anbau von genmanipuliertem Soja, der zu einer massiven Belastung von Mensch und Umwelt, zur Vertreibung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und Indigenen sowie zum Verlust wertvoller Ökosysteme führt. Der ungebremste Rohstoffhunger der EU treibt den extensiven Bergbau und die Gewinnung seltener Erden voran. Dadurch werden vor Ort unter anderem der Energie- und Wasserverbrauch, der Druck auf Wälder und Böden gesteigert und Land Grabbing gefördert. Daran trägt die EU eine Mitschuld.

Ziele des Gipfeltreffens müssen deshalb die Erarbeitung von Konzepten für eine diversifizierte und nachhaltige Wirtschafts- und Handelsstrategie und der Beginn einer intensiven Diskussion mit den lateinamerikanischen Parlamenten und der Zivilgesellschaft sein. Ein verstärkter Einsatz beider Regionen für den Schutz der Menschenrechte ist zudem von größter Wichtigkeit. Einige der LAK-Staaten weisen alarmierende Anzeichen fragiler Staatlichkeit auf. Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und die Drogenkartelle hat in vielen Ländern zu hohen Opferzahlen geführt. Zuletzt zeigte die schreckliche Ermordung der Studenten in Mexiko, wie es die dortigen Sicherheitskräfte mit den Menschenrechten halten. Dazu darf Deutschland nicht weiter schweigen.

Die Kanzlerin darf neben ihrem Bemühen, auf diesen Gipfeln Zutritt zu den attraktiven lateinamerikanischen Märkten zu gewinnen, nicht vergessen, auch für die Frauenrechte einzutreten, so wie sie es für den G-7-Gipfel angekündigt hat. Lateinamerika schlägt Deutschland zwar in Sachen Geschlechtergerechtigkeit, in den Frauenanteilen in der Politik und einer geringeren Einkommensschere zwischen Männern und Frauen. Gleichzeitig hat der lateinamerikanische Kontinent für seine herrschende soziale Ungleichheit Berühmtheit erlangt. Nicht nur sind Frauen überproportional von politisch-sozialer Teilhabe ausgeschlossen; sie sind auch stärker von den Auswirkungen der extensiven Ressourcenausbeutung, von Klimawandel und bewaffneten Konflikten betroffen. Die häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen nimmt nicht ab. Die Straflosigkeit bei den unterschiedlichen Gewaltformen liegt bei weit über 90 Prozent.

Die Verhandlungen auf den EU-Celac-Gipfeln vernachlässigen nicht handelspolitische Dimensionen der Partnerschaft: den politischen Dialog und die Zusammenarbeit in Bereichen wie der Armutsreduzierung, den Menschenrechten, der Stärkung des Rechtsstaates, dem Klima- und Umweltschutz, sozialer Kohäsion und Geschlechtergerechtigkeit, Bildung und Beschäftigung, Innovation und Technologie und der Vereinbarung von Nachhaltigkeits-, Transparenz- und Menschenrechtskriterien im Agrar- und Bergbausektor.

All dies sind Themen, die die "strategische Partnerschaft" der EU und der LAK-Staaten mit konkreten Inhalten füllen können. Die aktuellen multilateralen Prozesse im Gipfeljahr sollten dafür als geeigneter Rahmen dienen. Lateinamerika ist eine sehr selbstbewusste Region. Dies zeigt sich zum Beispiel in der zunehmenden Selbstständigkeit regionaler Institutionen und der zunehmenden Unabhängigkeit von klassischen Finanzorganisationen wie dem Internationalen Währungsfonds, IWF, und der Weltbank. Nicht zuletzt die Initiativen für die SDGs gehen auf lateinamerikanischen Anstoß zurück. Die Celac-Staaten haben ihre Abhängigkeit von den USA deutlich verringert und sind auch weniger auf Europa angewiesen. Sollten es die europäischen Regierungen erneut verpassen, die LAK-Staaten als strategische Partner im Kampf gegen Armut und Klimawandel ernst zu nehmen und einzubinden, so könnten diese die wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Regionen vorziehen und die zu Europa in Zukunft vernachlässigen.